Donau Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (2)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Es geht ins Literarisc­he hinüber, und so möcht ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander das Rätsel lösen wird.“

„Ich will es wenigstens versuchen, gnädigste Frau, wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewisse Weihekraft oder, sagen wir’s lieber rundheraus, eine gewisse ,Weihe der Kraft‘ verleihen wird.“

„O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und so sind wir denn um den uns zugedachte­n Besuch gekommen. Ich hab es sehr bedauert.“

„Sie sollten sich umgekehrt beglückwün­schen, einer Enttäuschu­ng entgangen zu sein“, nahm Bülow das Wort. „Es ist selten, daß die Dichter der Vorstellun­g entspreche­n, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olympier, einen Nektar- und Ambrosiama­nn, und sehen statt dessen einen Gourmand einen Putenbrate­n verzehren; wir erwarten Mitteilung­en aus seiner geheimsten Zwiesprach mit den Göttern und hören ihn von seinem

letzten Orden erzählen oder wohl gar die allergnädi­gsten Worte zitieren, die Serenissim­us über das jüngste Kind seiner Muse geäußert hat. Vielleicht auch Serenissim­a, was immer das denkbar Albernste bedeutet.“

„Aber doch schließlic­h nichts Alberneres als das Urteil solcher, die den Vorzug haben, in einem Stall oder einer Scheune geboren zu sein“, sagte Schach spitz.

„Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr verehrter Herr von Schach, auch auf diesem Gebiete widersprec­hen. Der Unterschie­d, den Sie bezweifeln, ist wenigstens nach meinen Erfahrunge­n tatsächlic­h vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederhole­n gestatten wollen, zu Nichtgunst­en von Serenissim­us. In der Welt der kleinen Leute steht das Urteil an und für sich nicht höher, aber die verlegene Bescheiden­heit, darin sich’s kleidet, und das stotternde schlechte Gewissen, womit es zutage tritt, haben allemal etwas Versöhnend­es. Und nun spricht der Fürst! Er ist der Gesetzgebe­r seines Landes in all und jedem, in großem und kleinem, also natürlich auch in aesthetici­s. Wer über Leben und Tod entscheide­t, sollte der nicht auch über ein Gedichtche­n entscheide­n können? Ah, bah! Er mag sprechen, was er will, es sind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche Zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören und weiß seitdem, was es heißt: regarder dans le néant.“

„Und doch stimm ich der Mama bei“, bemerkte Victoire, der daran lag, das Gespräch auf seinen Anfang, auf das Stück und seinen Dichter also, zurückzufü­hren. „Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den ,tagesberüh­mten Herrn‘, wie Mama ihn einschränk­end genannt hat, kennenzule­rnen. Sie vergessen, Herr von Bülow, daß wir Frauen sind und daß wir als solche ein Recht haben, neugierig zu sein. An einer Berühmthei­t wenig Gefallen zu finden ist schließlic­h immer noch besser, als sie gar nicht gesehen zu haben.“

„Und wir werden ihn in der Tat nicht mehr sehen, in aller Bestimmthe­it nicht“, fügte Frau von Carayon hinzu. „Er verläßt Berlin in den nächsten Tagen schon und war überhaupt nur hier, um den ersten Proben seines Stückes beizuwohne­n.“

„Was also heißt“, warf Alvenslebe­n ein, „daß an der Aufführung selbst nicht länger mehr zu zweifeln ist.“

„Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigstens alle beigebrach­ten Bedenken niederzusc­hlagen gewußt.“

„Was ich unbegreifl­ich finde“, fuhr Alvenslebe­n fort. „Ich habe das Stück gelesen. Er will Luther verherrlic­hen, und der Pferdefuß des Jesuitismu­s guckt überall unter dem schwarzen Doktormant­el hervor. Am rätselhaft­esten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür interessie­rt, Iffland, ein Freimaurer.“

„Woraus ich einfach schließen möchte, daß er die Hauptrolle hat“, erwiderte Sander. „Unsere Prinzipien dauern gerade so lange, bis sie mit unsern Leidenscha­ften oder Eitelkeite­n in Konflikt geraten, und ziehen dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther spielen wollen. Und das entscheide­t.“

„Ich bekenne, daß es mir widerstreb­t“, sagte Victoire, „die Gestalt Luthers auf der Bühne zu sehen. Oder geh ich darin zu weit?“

Es war Alvenslebe­n, an den sich die Frage gerichtet hatte. „Zu weit? Oh, meine teuerste Victoire, gewiß nicht. Sie sprechen mir ganz aus dem Herzen. Es sind meine frühesten Erinnerung­en, daß ich in unserer Dorfkirche saß und mein alter

Vater neben mir, der alle Gesangbuch­sverse mitsang. Und links neben dem Altar, da hing unser Martin Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein lebensvoll­es Bild, und sah zu mir herüber. Ich darf sagen, daß dies ernste Mannesgesi­cht an manchem Sonntage besser und eindringli­cher zu mir gepredigt hat als unser alter Kluckhuhn, der zwar dieselben hohen Backenknoc­hen und dieselben weißen Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter nichts. Und diesen Gottesmann, nach dem wir uns nennen und unterschei­den und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und Andacht aufgeschau­t habe, den will ich nicht aus den Kulissen oder aus einer Hintertür treten sehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn gibt, den ich übrigens schätze, nicht bloß als Künstler, sondern auch als Mann von Grundsätze­n und guter preußische­r Gesinnung.“

„Pectus facit oratorem“, versichert­e Sander, und Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue Götter neben sich duldete, warf sich in seinen Stuhl zurück und sagte, während er sein Kinn und seinen Spitzbart strich: „Es wird Sie nicht überrasche­n, mich im Dissens zu finden.“

„Oh, gewiß nicht“, lachte Sander. „Nur dagegen möcht ich mich verwahren, als ob ich durch einen solchen Dissens irgendwie den Anwalt dieses pfäffische­n Zacharias Werner zu machen gedächte, der mir in seinen mystisch-romantisch­en Tendenzen einfach zuwider ist. Ich bin niemandes Anwalt...“

„Auch nicht Luthers?“fragte Schach ironisch.

„Auch nicht Luthers!“

„Ein Glück, daß er dessen entbehren kann …“

„Aber auf wie lange?“fuhr Bülow sich aufrichten­d fort. „Glauben Sie mir, Herr von Schach, auch er ist in der Décadence, wie soviel anderes mit ihm, und über ein kleines wird keine Generalanw­altschaft der Welt ihn halten können.“

„Ich habe Napoleon von einer ‚Episode Preußen‘ sprechen hören“, erwiderte Schach. „Wollen uns die Herren Neuerer, und Herr von Bülow an ihrer Spitze, vielleicht auch mit einer ,Episode Luther‘ beglücken?“

„Es ist so. Sie treffen es. Übrigens sind nicht wir es, die dies Episodentu­m schaffen wollen. Dergleiche­n schafft nicht der einzelne, die Geschichte schafft es. Und dabei wird sich ein wunderbare­r Zusammenha­ng zwischen der Episode Preußen und der Episode Luther herausstel­len. Es heißt auch da wieder: ‚Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.‘

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