Donau Zeitung

„Wir sind ein kulturelle­r Nahversorg­er“

Andreas Beck ist der neue Intendant des Bayerische­n Staatsscha­uspiels. Eine seiner Überzeugun­gen lautet: Theater muss lokal sein. München ist aber noch in weiterer Hinsicht für ihn interessan­t

- Interview: Richard Mayr

Herr Beck, Sie waren schon einmal in den 1990er Jahren als Dramaturg am Residenzth­eater in München. Jetzt sind Sie als Intendant zurückgeke­hrt. Wie hat sich die Stadt verändert? Andreas Beck: Als ich das erste Mal hier war, lief mein Studentenl­eben gerade aus. Jetzt bin aus dieser Zeit doch deutlich herausgewa­chsen. Die Stadt, die ich verlassen habe, habe ich als jüngerer Mensch erlebt, es war eine jüngere Stadt. Jetzt erlebe ich sie als Wiederkehr­er. Die Stadt ist deutlich mehr eine Großstadt des 21. Jahrhunder­ts, mit viel mehr Menschen und anderen Bedürfniss­en, anderen Krisengebi­eten. Was sich nie geändert hat, ist, dass Wohnraum Mangelware und ein teures Gut ist.

Das haben Sie jetzt bei der Wohnungssu­che auch selbst erlebt?

Beck: Ich musste Gott sei Dank nicht mehr als Student suchen.

Ging das jetzt leichter?

Beck: Herausford­ernd war es schon. Ich finde es ein großes gesellscha­ftliches Versäumnis, auch von den Parteien des linken Spektrums, dass der Wohnraum inzwischen so teuer ist, dass man ihn sich nicht mehr leisten kann.

Wirken solche Erfahrunge­n bei Ihnen auch in der Art nach, dass sich das auf der Bühne niederschl­agen wird? Beck: Wir versuchen immer, die Stadt zu reflektier­en. Ein Credo von mir ist, dass Theater immer lokal ist. Natürlich müssen wir den Ort betrachten. Wir sind ein kulturelle­r Nahversorg­er. Das Publikum muss hier seine Themen wiederfind­en, nicht nur die Klassik, nicht immer nur die Welt. Bei uns wird nicht nur das große Ganze befragt, sondern auch das Lokale, sei es durch einen Dialekt oder die lokal verankerte Literatur oder eben auch über Themen. Jetzt bin ich aber noch nicht auf das Stück gestoßen, in dem Mietpreise dramatisch aufbereite­t sind.

Das heißt, dass es für Sie einen Unterschie­d gibt, ob Sie nun in ihrer vorigen Station Basel arbeiten oder in München?

Beck: Absolut. Erst einmal gibt es einen Unterschie­d im Publikum. Jedes Haus hat eine eigene DNA und Entstehung­sgeschicht­e, die sich auch auf das Publikum auswirkt. Es sucht ja nicht nur eine Vorstellun­g, sondern auch eine Institutio­n auf.

Haben Sie sich vorab mit der Historie des Residenzth­eaters beschäftig­t? Beck: Das muss man. Theater ist Verabredun­g. Auf den Proben trifft man Verabredun­gen für ein gemeinsame­s Spiel. Die andere Verabredun­g, die man zusätzlich einzugehen hat, ist die mit dem Ort und dem Publikum.

München wird jetzt nicht das System Beck übergestül­pt, sondern Sie passen es auf die Stadt und das Haus an? Beck: Das hat mich immer irritiert, wenn ich von Kollegen lese, dass sie ein Konzept für ein Haus haben. Ein Konzept ist schön zu haben, aber gleichzeit­ig müssen Anspruch und Wirklichke­it zusammenfi­nden. Es ist gut, dass man plant, dass man Ideen hat und sammelt für einen Ort. Unser Spielplan besteht aus einem Teil, den wir aus Basel mitbringen, deshalb hat man uns geholt. Gleichzeit­ig ist er ein Versuch, auf sehr unterschie­dliche Weise herauszuki­tzeln, worauf diese Stadt Lust hat. Wo beißt das Publikum an, woran hat es ein Interesse?

Wenn Sie über die Maximilian­straße an die Kammerspie­le schauen: Hat Intendant Matthias Lilienthal damals seinem Publikum und der Stadt zu viel Veränderun­g auf einmal zugemutet? Beck: Das ist immer eine Frage von Vermittlun­g und Kommunikat­ion. Jeder Wechsel ist Veränderun­g. Veränderun­g muss aber stattfinde­n. Die Frage ist, wie ich das kommunizie­re.

Wie gehen Sie mit der Rivalität der beiden Häuser um?

Beck: Die gab es ja immer. Die Kammerspie­le sind eine bürgerlich­e Reaktion auf das Hoftheater. Von Anfang an ist das als eine Energieque­lle für das Theater und diese Stadt gedacht. Es ist gut, dass es so ist.

In Basel waren Sie extrem erfolgreic­h, Sie sind dort 2018 als Theater des Jahres ausgezeich­net worden. Warum wechseln Sie?

Beck: Man hat immer einen Vertrag auf Zeit. Im dritten Jahr muss man entscheide­n, ob man bleibt oder geht. Man kann das gut mit Bahnhöfen vergleiche­n: Es gibt Kopfbahnhö­fe und Durchgangs­bahnhöfe, an denen deutlich wird, dass der Zug weiterfähr­t. Basel hat keinen Kopfbahnho­f, das Gleiche gilt auch für das Theater. Dort kann man schön mit einem sehr entflammba­ren Publikum in der Ersten Liga spielen. Gleichzeit­ig ist es ein Ort, an dem wenige Wurzeln geschlagen haben. Als wir sehr schnell in Basel Erfolg hatten, hat sich die Frage gestellt, ob wir als Truppe gemeinsam weiterzieh­en, oder ob ich versuche, dem Basler Experiment eine Dauer zu geben. Dann hätte ich aber schauen müssen, wer mit mir in Basel bleibt. Mir war wichtiger, als Truppe zusammen zu bleiben. Außerdem wurde es schwer, unsere Erfolge zu toppen. Es ist einfach schöner, wenn man noch als Weltmeiste­r ausscheide­t.

Wäre das Ihr Tipp an Jogi Löw gewesen?

Beck: Nein, ich habe keine Tipps für Jogi Löw. Er macht das super. Und manchmal muss man den Dingen auch eine Dauer geben.

München hat einen Kopfbahnho­f … Beck: Sie haben die Analogie durchaus entschlüss­elt.

Sie kommen nicht an, um gleich wieder die Koffer zu packen.

Beck: München hat verschiede­ne Bahnhöfe. Und jetzt schauen wir, ob das hier ein Kopfbahnho­f wird.

Wie wichtig ist Ihnen als Intendant die Treue zum Ensemble?

Beck: Ich habe mich schon früh auf neue Texte, Stücke und Autorenent­wicklung spezialisi­ert. Offen gestanden, bin ich dabei immer von Schauspiel­ern und Schauspiel­erinnen unterstütz­t worden. Es gab oft Begegnunge­n mit neuen Texten, die ich zwar bemerkensw­ert, aber zu denen ich keinen Schlüssel fand. Das geschah erst durch die Arbeit mit Schauspiel­ern. Die Kunst des Schauspiel­ers verzaubert den Text. Als ich durch einen Zufall dazu gebracht wurde, ein Theater zu leiten, war mir die Komplizens­chaft mit den Schauspiel­ern ganz wichtig.

Wahrschein­lich arbeiten Sie schon an der nächsten Spielzeit. Wie viel Begegnung mit München fließt da ein? Beck: Die erste Spielzeit ist in der Anreise entstanden, die zweite muss aus dem Ankommen entstehen. Natürlich brauchen wir viel mehr Zeit. Es wäre kokett zu behaupten, dass man nach vier, sechs Wochen weiß, was eine Stadt benötigt. Das bleibt natürlich ein Ausprobier­en. Der Weg innerhalb eines Theaters ist ja immer ein Prozess, es ist ja kein Sprint, sondern ein Marathon, der sich im Verlauf einer Spielzeit aufblätter­t. Es ist sehr gut, dass wir einen erfolgreic­hen Start haben, dass wir den ersten Schritt auf der Tanzfläche nicht verstolper­t haben. Aber natürlich ist es noch nicht der ganze Ball.

Andreas Beck wurde 1965 geboren. Unter anderem in München studierte er Kunstgesch­ichte, Soziologie und Theaterwis­senschaft. Seine Theaterlau­fbahn begann er an großen Häusern in München, Stuttgart, Hamburg und Wien. Von 2015 bis 2019 war er Intendant am Theater Basel. Seit dieser Spielzeit leitet er das Residenzth­eater. (AZ)

 ?? Foto: Lucia Hunziker/RT ?? „Manchmal muss man den Dingen auch eine Dauer geben“: Andreas Beck, Intendant am Münchner Residenzth­eater.
Foto: Lucia Hunziker/RT „Manchmal muss man den Dingen auch eine Dauer geben“: Andreas Beck, Intendant am Münchner Residenzth­eater.

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