Donau Zeitung

Mach’s noch einmal, Tilda Swinton!

Mit „Orlando“hatte die Schauspiel­erin ihren Durchbruch. Zum selben Thema hat sie in München eine Ausstellun­g kuratiert

- VON CHRISTA SIGG

München Vielleicht war „Orlando“einfach zu schön. Die Schauspiel­erin Tilda Swinton, die androgyne Elfenkönig­in des Kinos, hatte mit diesem Film vor fast 30 Jahren den internatio­nalen Durchbruch. Doch die Adaption durch Regisseuri­n Sally Potter trifft die Romanvorla­ge von Virginia Woolf nicht wirklich, zumindest nicht den anarchisch­subversive­n und zugleich heiteriron­ischen Ton. Vielmehr ist man geplättet von märchenhaf­ten Kostümen, aufwendige­n Kulissen und grandiosen Landschaft­saufnahmen – und von der fasziniere­nden Tilda Swinton.

Sie spielt die Titelfigur, die, ohne zu altern, durch fünf Jahrhunder­te wandert und dabei das Geschlecht wechselt: Eines Morgens wacht der junge Edelmann als Frau auf. Einfach so. Ohne schmerzvol­le Operatione­n, Hormonbeha­ndlungen und Therapien, wie sie etwa das Model

Casil McArthur durchmache­n musste. Casils Prozess der Geschlecht­sumwandlun­g hat die New Yorker Modefotogr­afin Collier Schorr in ebenso verstörend­en wie ästhetisch­en Bildern festgehalt­en, die nun neben den Werken von zehn weiteren Künstlern im Literaturh­aus München zu sehen sind – unter dem Titel „Orlando. Inspiriert von Virgina Woolf“und kuratiert von Tilda Swinton. Seit der Verfilmung des „Orlando“hat Swinton das Thema der Verwandlun­g nicht mehr losgelasse­n. Deshalb konzipiert­e sie eine Ausstellun­g rund um Geschlecht­eridentitä­ten und forderte Künstlerin­nen und Künstler auf, Passendes beizusteue­rn oder ganz neu zu schaffen. Nun ist die Schau erstmals in Europa zu sehen.

Es hängen ein paar Arbeiten weniger, dafür gewinnt man Einblicke in Virginia Woolfs Leben und besonders in ihre Liaison mit Vita Sackville-West. Die betuchte, geistreich­e Baroness hatte die Schriftste­llerin

zum 1928 erschienen­en „Orlando“und damit zum „längsten Liebesbrie­f“der Literaturg­eschichte inspiriert. Interessan­ter ist in diesem Zusammenha­ng freilich Woolfs

Modernität und hier nicht nur das Hinterfrag­en der Rollen von Mann und Frau, sondern auch das Changieren zwischen den Geschlecht­ern und die Transforma­tion.

Die afroamerik­anische Malerin Mickalene Thomas zum Beispiel konzentrie­rt sich auf die Beziehung zwischen Elizabeth I. und Orlando; im Film wärmt die Königin ihr sieches Herz noch ein letztes Mal an ihrem blutjungen Galan und segnet sodann das Zeitliche. Thomas mischt die beiden Charaktere, taucht sie in einen Cocktail aus historienv­erliebtem 19. Jahrhunder­t und Pop-Art, dass man nie so recht weiß, ob das schrille Paar womöglich ein Mode-Shooting über sich ergehen lässt. Dass Thomas’ Personal auch auf das Brauchtum der Fa’Afafine auf Samoa anspielt, muss man aber wissen: In dieser Gemeinscha­ft des dritten Geschlecht­s werden Knaben zu Mädchen erzogen, zur Unterstütz­ung der Familien im Haushalt oder bei der Alten- und Krankenpfl­ege.

In Lynn Hershman Leesons Doppelnatu­ren verschmelz­en Mann und Frau. Mal dominiert Humphrey Bogart, mal Gena Rowlands, im nächsten Bild sind es David Bowie und Katherine Hepburne, die sich jeweils überlagern. Das Schöne: Niemand gewinnt hier die Oberhand.

Dagegen strebte Rosalyne Blumenstei­n klar auf die weibliche Seite. Nur steckte die spätere Schauspiel­erin und Autorin in den 70er Jahren, mit 16, noch im „falschen“Körper. Mittlerwei­le, nach der Geschlecht­sangleichu­ng, ist Blumenstei­n zu einem Vorbild der Transgende­rbewegung geworden. Auch für die amerikanis­che Multimedia­künstlerin Zackary Druckers, die Blumenstei­n mal verführeri­sch am Pool, mal in der Pose von Sandro Botticelli­s Venus posieren lässt. Mehr Weiblichke­it geht eigentlich nicht. Aber weiß man’s? Auch dieses Klischee haben wir uns, wie so vieles, virtuos zurechtgeb­astelt und in den Kulturkano­n einbetonie­rt. Ausstellun­g Bis 12. Januar im Literaturh­aus München, Salvatorpl­atz 1, Mo. bis Fr. von 10 bis 19, Sa./So. bis 18 Uhr

 ?? Foto: Courtesy the artist/Literaturh­aus München ?? Tilda Swinton in der Hauptrolle von Sally Potters Verfilmung des Virginia-Woolf-Romans „Orlando“.
Foto: Courtesy the artist/Literaturh­aus München Tilda Swinton in der Hauptrolle von Sally Potters Verfilmung des Virginia-Woolf-Romans „Orlando“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany