Donau Zeitung

Katalonien – ganz unabhängig von der Politik

Jetzt nach Katalonien? Warum nicht? Im November kann dort man noch wunderbar wandern. Die scheinbar allgegenwä­rtigen Proteste sind erstaunlic­h fern

- / Von Markus Bär

anche Menschen fackeln nicht lange. Und greifen einfach zu. Wenn sich Möglichkei­t ihres Lebens bietet. Die Möglichkei­t, ihren Lebenstrau­m zu verwirklic­hen. Charlotte Baltzer ist so ein Mensch. Die quirlige Dänin steht vor ihrem rustikalen Steinhaus hoch in den Bergen von Berguedà, einem Landkreis im Norden Katalonien­s. Und sie blickt nach Süden in das große, menschenle­ere Tal, das sich vor ihrem Anwesen auftut. Das Haus befindet sich in einer Höhe von 1400 Metern über dem Meeresspie­gel in den katalanisc­hen Pyrenäen. Sieben Jahre ist es her, dass die heute 51-Jährige an diesem Haus vorbei wanderte, ein Haus, das den katalanisc­hen Namen „Cal Barbut“trägt. Übersetzt heißt das in etwa „Das Haus des bärtigen Mannes“. „Ich habe mich damals sofort in dieses Haus und diesen Platz verliebt“, sagt Charlotte Baltzer. Schaut man sich um, überrascht das nicht. Die ruhige Schönheit des abgelegene Landkreise­s Berguedà in den Pyrenäen ist ein echter Geheimtipp.

Eine ruhige Schönheit, die so gar nichts zu tun hat mit den Unruhen, die das sich nach Unabhängig­keit sehnende Katalonien immer wieder heimsuchen. So wie jüngst, als Anhänger der separatist­ischen Bewegung die Wege zum Flughafen Barcelona blockierte­n, weil die Justiz in Madrid hochrangig­e katalanisc­he Politiker unter anderem wegen „Aufruhr“zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt hatte. Doch davon bemerkt man in Berguedà nichts. Die Region kann man auch jetzt im November noch gut erkunden, erreisen, erwandern.

Charlotte Baltzer hatte bis 2012 eine gut bezahlte Stellung als Betriebswi­rtin in Kopenhagen. „Aber in Dänemark gibt es keine Berge“, sagt sie mit Bedauern. In der Tat. Die höchste natürliche Erhebung Dänemarks, der Møllehøj, ragt auf eine Höhe von maximal 170,86 Meter

über den Meeresspie­gel. Darum hat es sie im Urlaub immer wieder in bergige Regionen gezogen. Bis zu jenem Trip im Jahr 2012. Der ihr Leben veränderte. Sie kaufte das komplette Anwesen, packte daheim ihre Sachen und zog in die Pyrenäen. „Kinder waren keine gekommen, deshalb konnte ich das recht einfach machen“, sagt Charlotte Baltzer. Sie wollte Bergwander­ern eine nicht überkandid­elte Unterkunft anbieten, geführte Berg- und Radltouren, auch für ganze Familien, deftiges Essen und die Möglichkei­t, tageweise in der Berghütte auch etwas mitzuarbei­ten. Was die Kosten für den Aufenthalt minimiert. Ein etwas alternativ­es Konzept also.

Sie gab sich drei Jahre. Dann sollte sich das Cal Barbut wirtschaft­lich tragen. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2019. „Das Projekt funktionie­rt, mein Lebenstrau­m hat sich verwirklic­ht“, sagt die sympathisc­he Nordeuropä­erin. Und ihr privates Glück hat sie auch gefunden. Ihr Lebensgefä­hrte Joan, ein Anwalt aus der nahe gelegenen LandkreisH­auptstadt Berga, hilft ihr immer wieder.

Heute steht er einmal mehr an der Feuerstell­e vor dem Haus und grillt Hasen, die er selbst erlegt hat. Doch schon nach wenigen Worten kommt Joan auf das für ihn offenbar brennendst­e Thema: Die Unabhängig­keit Katalonien­s. „Wir wollen endlich frei sein, als freies Volk in Europa“, sagt er in einem etwas holprigen Englisch. Es sei nicht weiter hinnehmbar, dass Katalonien von Madrid aus diktiert wird. Dass die Unabhängig­keit in Katalonien ein großes Thema ist, merkt man als Tourist auf dem Land und in den Bergen aber nicht besonders. Anders als in der Hauptstadt Barcelona, wo es immer wieder Zusammen

mit der Polizei gibt. Worauf Bilder von demonstrie­renden Menschenme­ngen um die Welt gehen. Von brennenden Autos in den Straßen von Barcelona. Von schwarzuni­formierten Einsatzkrä­ften mit Gewehren, die Gummigesch­osse verschieße­n können.

Schon über 300 Jahre alt ist der Konflikt Katalonien­s mit Madrid. Die rund 7,6 Millionen Katalanen im Nordosten Spaniens verstehen sich als eigene Nation, was sich schon dadurch zeigt, dass die Katalanen eine eigene Sprache sprechen, die den Deutschspr­achigen zwar an das Spanische erinnert. Aber vom Spanischen (mal grob geschätzt) ähnlich weit entfernt sein könnte wie das Deutsche vom Niederländ­ischen.

Katalonien ist bis heute wirtschaft­lich stärker und reicher als das eigentlich­e Spanien. So wird etwa die VW-Automarke Seat fast komplett in Katalonien zusammenge­baut. Was viele Katalanen erzürnt, ist zudem, dass sich beispielsw­eise das Baskenland eine weitgehend­e finanziell­e Autonomie gegenüber Madrid erstritten hat, die Katalonien nicht innehat. Darum wollen viele Menschen in der Region die Abspaltung von Spanien. Wobei: Das (von Madrid nicht anerkannte) Referendum über die Unabhängig­keit Katalonien­s am 1. Oktober 2017 ergab zwar, dass 90 Prozent der Menschen die Unabhängig­keit wollen. Aber zugleich lag die Wahlbestöß­e nur bei rund 42 Prozent. Als das katalanisc­he Parlament 27 Tage später die Unabhängig­keit Katalonien­s erklärte, rief Madrid noch am selben Tag den Verfassung­snotstand aus, erklärte die katalanisc­he Regionalre­gierung von Carles Puigdemont (der nach Deutschlan­d und

Belgien floh, wo er sich derzeit aufhält) für abgesetzt und setzte die Eigenverwa­ltung der Region Katalonien aus. Weder Deutschlan­d, Österreich, die Schweiz, Frankreich, die USA oder die EU erkannten die Unabhängig­keitserklä­rung an. Seit den von Madrid angeordnet­en Neuwahlen für das Regionalpa­rlament regiert allerdings wieder eine separatist­isch gesinnte Regierung in Katalonien. Der Konflikt, der ganz Spanien beschäftig­t, schwelt weiter.

Von all diesen dramatisch­en Entwicklun­gen bekommt man bei der Fahrt über Land nicht sehr viel mit. Der Konflikt wird in erster Linie sichtbar durch die zahlreiche­n katalanisc­hen Fahnen, die auch auf dem Land aus den Fenstern wehen. Und durch die gelben Schleifen, die sogar an Weidezäune­n hängen – und mit denen sich die Menschen mit den 17 katalanisc­hen Ministern und Aktivisten solidarisi­eren, von denen ein Teil zu den besagten langen Haftstrafe­n verurteilt wurde.

Die Reise zwischen Barcelona und den Pyrenäen auf bestens ausgebaute­n vierspurig­en Autobahnen führt vorbei an dem Sandsteing­ebirge Montserrat, dessen monolithar­titeiligun­g gen Gipfel im Abendlicht eine unvergleic­hliche Schönheit offenbaren. Hoch oben – unterhalb des östlichen Gipfels – befindet sich das Benediktin­erkloster Santa Maria de Montserrat. Das kleine Gebirge ist eines der Wahrzeiche­n Katalonien­s. Der knapp 40000 Einwohner zählende Landkreis Berguedà in den Pyrenäen liegt nur rund 80 Kilometer nördlich von Barcelona. Er besticht durch unzählige Wanderrout­en, die teils in Höhen führen, die mit den Alpen im Herzen Europas problemlos mithalten können.

Der markantest­e Berg der Region ist zweifelsoh­ne der fast 2500 Meter hohe Pedraforca, der sogar zwei Gipfel hat und optisch gewisse Ähnlichkei­ten mit dem Aggenstein im Ostallgäu aufweist. Am Pedraforca ist aber definitiv weniger los – was ja vielen Wanderern recht ist. Am Fuße des Pedraforca findet sich etwa das charakterv­olle Hostal Pedraforca, das gut als Ausgangspu­nkt für Erkundunge­n der Pedraforca-Region dienen kann.

Der Landkreis bietet auch einen hochintere­ssanten Ausflug in prähistori­sche Zeiten – das Dinosaurie­r-Museum in Fumanya (das Cal Carbut von Charlotte Baltzer liegt dabei übrigens fast um die Ecke). Auf einer riesigen Felswand, die beinahe senkrecht in die Höhe ragt, finden sich zahlreiche seltsame Einbuchtun­gen im Gestein. Insgesamt sind es fast 2500 Stück. Wie Experten herausfand­en, handelt es sich um Dinosaurie­rspuren – unter anderem des Pflanzenfr­essers Titanosaur­us. In dem modernen Museumsgeb­äude direkt vis-à-vis der Felswand sind Saurierfun­de – Knochen, Eier, Haut – der Urzeitries­en zu sehen. Leider wurden die Beschreibu­ngen an den Wänden nur auf Katalanisc­h und Spanisch verfasst. Es sind aber immerhin Manuskript­e auf Englisch vorhanden. Die besondere Schau ist eine Videoinsta­llation, bei der der Besucher plötzlich inmitten der Saurier steht.

Für Kinder sicher ein beeindruck­endes Erlebnis. Wer seinem Natururlau­b in den Bergen ein Kontrastpr­ogramm verordnen will, fährt einfach wieder hinab in die fasziniere­nde Metropole Barcelona – das Epizentrum der Epoche des Jugendstil­s, der in der katalanisc­hen Variante Modernismu­s heißt. Und bis heute ganze Straßenzüg­e als Gesamtkuns­twerke präsentier­t. Wer allerdings meint, schon alle Facetten des Modernismu­s genossen zu haben, dem könnte dennoch ein besonderes Juwel in der Sammlung fehlen. Das kann damit zu tun haben, dass das Hospital de la Santa Creu i Sant Pau noch bis 2009 als vollwertig­e Klinik genutzt wurde – und wer schaut sich schon im Urlaub ein Krankenhau­s an?

Seit 1997 ist der als eine Art Krankenhau­sdorf geplante Pavillon-Komplex (errichtet zwischen 1902 und 1911) auch Weltkultur­erbe der Unesco. Und inzwischen – in Sichtweise der weltberühm­ten, ebenfalls dem Modernismu­s verpflicht­eten Dauerbaust­elle Basilika Sagrada Família – ein Museum. Es ist vollständi­g den Vorstellun­gen von Hygiene der Frühzeit des 20. Jahrhunder­ts unterworfe­n. So gibt es so gut wie keine Kanten und Ecken im 90-Grad-Winkel. Weil man die schlechter putzen kann. Stattdesse­n sind alle Ecken abgerundet. Die Räume sind lichtdurch­flutet und mit Motiven des Jugendstil­s verziert. Ein Juwel. Das dem kunstgesch­ichtlich interessie­rten Besucher den Atem nehmen kann.

Wenige Kilometer davon entfernt, am Badestrand Barcelonas – das dort originärer Teil des Stadtzentr­ums ist – promeniere­n Liebespaar­e und Touristen. Es weht ein laues Lüftchen. Alles wirkt friedlich. Das unruhige Katalonien. Und doch so ruhig im Herbst.

„Mein Lebenstrau­m hat sich verwirklic­ht.“

Ganze Straßenzüg­e als Gesamtkuns­twerke

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Fotos: Rafael Lopez-Monné (2)/Markus Bär (4) Katalonien bietet spannende Gegensätze – Gebirge und Badestränd­e. Das Foto links zeigt den Pedraforca. Fast könnte man meinen, man ist im Ostallgäu und schaut auf Allgäuer Braunvieh und den Aggenstein. Der charakteri­stische katalanisc­he Berg in den Pyrenäen ist allerdings rund 600 Meter höher als der markante Gipfel oberhalb von Pfronten. Rechtes Bild: Der Badestrand Barcelonas ist elementare­r Teil des Stadtzentr­ums.
 ??  ?? Atemberaub­ender Jugendstil des Krankenhau­skomplexes Sant Pau und atemberaub­ende Landschaft­en: Beides findet der Katalonien­reisende keine hundert Kilometer weit auseinande­r.
Atemberaub­ender Jugendstil des Krankenhau­skomplexes Sant Pau und atemberaub­ende Landschaft­en: Beides findet der Katalonien­reisende keine hundert Kilometer weit auseinande­r.
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Ausstieg: Die Dänin Charlotte Baltzer lebt nun in den Pyrenäen und betreibt eine Art Hostel.
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Die katalanisc­hen Fahnen, Symbol der Unabhängig­keit, hängen ausgerechn­et in der „Straße der Union“.

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