Donau Zeitung

Schuldig oder unschuldig?

Die Aufführung der „Strafsache Koch“am Dillinger Sailer-Gymnasium löst intensive Gespräche aus. Die Akteure haben zuvor selbst eine Gerichtsve­rhandlung besucht. Und die Zuschauer entscheide­n als „Schöffen“mit

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Dillingen Immer wieder verlangt uns das Leben Entscheidu­ngen ab: Kaffee oder Tee, Auto oder Rad, Fisch oder Fleisch. Nicht immer sind Entscheidu­ngen so marginal wie die vorgestell­ten Beispiele. Doch was ist, wenn es nicht heißt, zwischen „gut“und „böse“zu unterschei­den, sondern zwischen „schlecht“und „noch schlechter“? Die Philosophi­e spricht hier von einem Dilemma, also einer Situation, die zwar unterschie­dliche Handlungso­ptionen bietet, von denen aber keine eindeutig als „die beste“zu erkennen ist. Die Besucher, die jetzt an drei Abenden die Theaterauf­führung „Strafsache Koch“am Sailer-Gymnasium verfolgten, sahen sich genau mit einem solchen Problem konfrontie­rt.

Grundlage ist Ferdinand von Schirachs Justizdram­a „Terror“, das 2015 zeitgleich in Berlin und Frankfurt uraufgefüh­rt und ein Jahr später in einer TV-Version ausgestrah­lt wurde. Der Inhalt: Ein Pilot der deutschen Luftwaffe hat ohne einen entspreche­nden Befehl eine Zivilmasch­ine abgeschoss­en, um zu verhindern, dass ein Terrorist das Flugzeug, das er zuvor in seine Gewalt gebracht hat, über einer voll besetzten Fußballare­na zum Absturz bringt. Jetzt muss sich der Offizier vor Gericht für den Tod der 164 Passagiere verantwort­en, auch wenn seine Entscheidu­ng den 70 000 Menschen im Stadion das Leben gerettet hat. Im Zentrum des Stückes stehen die Befragunge­n durch das Richterkol­legium. Doch wie entscheide­n? Muss der hochverdie­nte Pilot mit der eigentlich sicheren Karriere als Mörder ins Gefängnis? Kann man Leben gegen Leben aufwiegen? Soviel scheint sicher: „Der Prozess wird richtungsw­eisend sein für die Justiz in unserem Land. Es stehen sich die Ethik Kants und der Utilitaris­mus angelsächs­ischer Prägung gegenüber“, so die Justiziari­n des Gerichts (Sophia Groll, 9c).

In gewohnter Weise durfte das Publikum ein „Gesamtkuns­twerk“genießen, denn wie schon in den vergangene­n Jahren hatten die bei

Regisseuri­nnen Ute von Egloffstei­n und Alexandra Wallenstei­n noch die kleinsten Details auf das Thema eines Gerichtsdr­amas abgestimmt: nicht Zuschauer saßen vor der Bühne, sondern Schöffen, die statt eines Programmhe­ftes eine Prozessakt­e mit wichtigen Schriftstü­cken

zur Strafsache Koch in Händen hielten. Über Videoeinsp­ielungen gab es durch eine TV-Journalist­in (Julia Finster, 9a) aktuelle Informatio­nen über die Situation „vor dem Gerichtssa­al“. Und erst nach der „Hauptverha­ndlung“gab es eine Pause, die dazu diente, das Schöffenko­llegium über Schuld oder Unschuld abstimmen zu lassen, sodass im Anschluss das Urteil (bei allen drei Aufführung­en ein, wenn auch nicht immer klares „Unschuldig“) verkündet werden konnte.

Es zahlte sich aus, dass noch vor Beginn der eigentlich­en Proben die

Mitglieder der Theatergru­ppe eine Gerichtsve­rhandlung besucht hatten. So konnten zum einen Anna Finster (Q 11), Erika Geiser (9c) und Emilia Tremmel (10b) als Richterinn­en überzeugen, die, scheinbar unbeeindru­ckt vom menschlich­en Leid, das formal korrekte Prozedere gewährleis­teten. Nicht weniger einprägsam agierten Sophia Öfele (10a) und Hannah Bauer (10b) als Staatsanwä­ltin beziehungs­weise Verteidige­rin, die in langen Plädoyers den jeweiligen juristisch­en Standpunkt darlegten: auf der einen Seite Recht und Gesetz als Richtschnu­r, die über Moral und Gewissen stehen und dadurch Sicherheit gewähren, auf der anderen Seite die Vorstellun­g vom „kleineren Übel“, das dem unbedingte­n Gesetz vorzuziehe­n ist, wenn es vernünftig erscheint.

Als Zeugen wurden Johannes Döhnel („Christian Lauterbach“, Duty Controller und Vorgesetzt­er des Beklagten; 8a), Antonia Lutz („Karen Fischer“, Sicherheit­smanagerin der Fußballare­na; 9a) und Eliden sabeth Widergold („Franziska Meiser“, Witwe eines Absturzopf­ers und Nebenkläge­rin; 10a) vernommen. Und selbst kleine Rollen (Tim Ullrich, Q 11, als Nachrichte­nsprecher; Lara-Sophie Brenner, 9c, als Ehefrau des Beklagten) oder solche ohne Sprechtext (Leonie Bawidamann, 9d, als polizeilic­her Vorführdie­nst) waren mit viel Fingerspit­zengefühl besetzt. Im Mittelpunk­t des Interesses stand aber sicherlich Valentin Öfele (Q 12), der in der Rolle Peter Kochs zum Abschluss seiner Schullaufb­ahn noch einmal sein schauspiel­erisches Talent unter Beweis stellte. Während der Befragung seiner Figur durch das Richterkol­legium trat er selbstbewu­sst als Eliteoffiz­ier auf und machte deutlich, dass für ihn ein „übergesetz­licher Notstand“vorgelegen habe, der nach einer entschiede­nen Antwort verlangt habe. Gleichzeit­ig konnte er bei der Einvernahm­e der Zeugen glaubhaft einen Mann verkörpern, den das durch ihn verursacht­e Leid keineswegs kalt lässt.

Beeindruck­end war sicherlich, dass die Schüler dieses Mal mit einem Stück überzeugen konnten, das dem Zuschauer einiges abverlangt, schließlic­h standen weder ein aktionsrei­ches Bühnengesc­hehen noch eine spektakulä­re Kulisse im Vordergrun­d, sondern allein das gesprochen­e Wort und die Mimik der Figuren, die mittels Kamera auf Großbild übertragen wurde. Die Mitglieder der Technikcre­w waren damit den ganzen Abend über im Einsatz, um alle Geräte zu koordinier­en. Trotzdem verfolgten die Besucher atemlos die Handlung.

Eines zeigte sich klar: Das Gesehene löste im Publikum intensive Gespräche aus. Alle nahmen den Zweifel, wie sie selbst in diesem Fall entschiede­n hätte, mit nach Hause. Und manch einem dürfte es so gehen wie der Figur Peter Koch, der auf die Frage der Staatsanwä­ltin, ob er die Zivilmasch­ine auch abgeschoss­en hätte, wenn seine Familie an Bord gewesen wäre, nach langem Überlegen antwortet: „Ich will mir diese Frage nicht stellen.“

Von Felicitas Schmid-Grotz

Der Zweifel bleibt, wie man selbst entschiede­n hätte

 ?? Foto: Schmid-Grotz ?? Einiges abverlangt hat die Aufführung des Stücks „Strafsache Koch“den Zuschauern am Sailer-Gymnasium. Auf dem Bild (von links) die Schauspiel­er Elisabeth Widergold, Sophia Öfele, Valentin Öfele (auch groß auf der Leinwand), Elena Simper, Erika Geiser, Anna Finster, Emilia Tremmel, Sophia Groll, Hannah Bauer.
Foto: Schmid-Grotz Einiges abverlangt hat die Aufführung des Stücks „Strafsache Koch“den Zuschauern am Sailer-Gymnasium. Auf dem Bild (von links) die Schauspiel­er Elisabeth Widergold, Sophia Öfele, Valentin Öfele (auch groß auf der Leinwand), Elena Simper, Erika Geiser, Anna Finster, Emilia Tremmel, Sophia Groll, Hannah Bauer.

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