Donau Zeitung

Der Windkraft droht ein Debakel

Die Bundesregi­erung lügt sich beim Klimaschut­z in die eigene Tasche. Sie setzt sich scharfe Klimaziele. Doch in der Praxis tritt sie auf die Bremse

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger-allgemeine.de

Angela Merkel im roten Anorak, vor einem schmelzend­en Gletscher – ihre bildstark dokumentie­rte Reise nach Grönland brachte ihr im Jahr 2007 das Image als „Klimakanzl­erin“ein. Dieses Jahr hat sie unter dem Druck der „Fridays for Future“-Bewegung ein Stück weit ihre alte Rolle wiederentd­eckt: Die Regierung hat ein Klimakabin­ett eingericht­et, Merkel traf Greta Thunberg in New York. CDU und CSU liefern sich mit den Grünen einen Ankündigun­gs-Wettstreit, wer den Klimaschut­z schneller vorantreib­t. Beschlosse­n ist inzwischen, dass Deutschlan­d seinen Treibhausg­asausstoß bis 2030 drastisch reduzieren soll. Die Klimaziele für 2020 hatte man bereits krachend verfehlt. Jetzt will CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder Bayern als erstes Bundesland bis 2050 klimaneutr­al machen. In der Praxis aber lügt sich die Regierung in die Tasche. Die Umsetzung der Pläne ist voller Widersprüc­he. Exemplaris­ch dafür ist das Debakel in der Windkraft.

Erneuerbar­e Energien liefern heute rund 40 Prozent des Stroms, ein eindrucksv­oller Wert. Den größten Anteil daran hat die Windkraft, insbesonde­re an Land. Jetzt kommt aus dem Wirtschaft­sministeri­um von CDU-Minister Peter Altmaier plötzlich massiver Gegenwind. Bundesweit soll ein Mindestabs­tand für neue Windräder von 1000 Meter zur Wohnbebauu­ng gelten. Welche drastische­n Folgen dies haben könnte, lässt sich in Bayern studieren. Dort sind die Abstandsre­geln mit dem 10-Fachen der Windradhöh­e noch schärfer. Zwar können bayerische Kommunen über Umwege Windräder in geringeren Abständen auf den Weg bringen. Seit aber 10 H gilt, traut sich kaum ein Kommunalpo­litiker, das Thema anzufassen. Die Folge: Der Windkrafta­usbau ist in Bayern tot. Zahl der neuen Windräder im ersten Halbjahr: null.

Bundesweit ist die Windkraft in der Krise. Der Zubau ist eingebroch­en, seit neue Vergabever­fahren greifen. Das kostet Jobs: Die Zahl der Stellen sank von 2016 bis 2017 um 25000. Allein der Hersteller Enercon will jetzt 3000 Stellen streichen. Die Situation erinnert an den Einbruch der Photovolta­ik vor einigen Jahren, als die Regierung die Fördersätz­e senkte.

Dabei ist die Bundesregi­erung auf mehr grünen Strom von Wind und Sonne dringend angewiesen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Denn andere Techniken wie die Kernfusion sind nicht markttaugl­ich oder – wie die Wasserkraf­t – fast ausgeschöp­ft. Zudem würde der Umstieg auf E-Autos ad absurdum geführt werden, käme der Strom aus Kohle oder aus dem Ausland. Auch für die Herstellun­g des viel beschworen­en Wasserstof­fs als umweltfreu­ndlicher Alternativ­e zum

Batterie-Auto wären große Mengen grüner Elektrizit­ät nötig.

Sicher, es gibt gegen die Windkraft legitime Bedenken. Sie reichen über den Artenschut­z hin zu Sorgen der Anwohner um ihre Gesundheit. Es genügt, das Stichwort „Infraschal­l“in eine Suchmaschi­ne einzugeben. Wie es Lobbyverbä­nde für die Windkraft gibt, existieren solche gegen sie. Ja, Windräder haben ein Akzeptanzp­roblem. Das Tragische aber ist, dass es Konzerne und Regierung versäumt haben, Licht ins Dunkel zu bringen. Das Wissen um die Risiken ist gering. Sind Menschen in WindkraftG­emeinden zum Beispiel kränker als an anderen Stellen? Die Datenlage erscheint dünn, Studien widersprec­hen sich.

Dabei zeigen Gemeinden – auch in Schwaben –, wie die Energiewen­de gelingen kann. Die Akzeptanz steigt, wo Bürger zum Beispiel Miteigentü­mer eines Windrades werden. Es reicht nicht, sich ambitionie­rte Klimaziele zu geben. Deutschlan­d muss sich stärker mit ihrer Umsetzung befassen. Das ist der härtere, aber wichtigere Weg.

Das Wissen um mögliche Risiken ist zu gering

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