Scheuers verkehrte Welt
Der Mann hängt sich rein, sagen selbst politische Gegner. Aber er hat in Sachen Maut einen kapitalen Bock geschossen, sagen selbst politische Freunde. Nun richtet ein Untersuchungsausschuss über Verkehrsminister Andreas Scheuer. Er sagt: Es geht um „den K
Berlin/München Ein Mann hat sich entschieden, zu kämpfen. Es geht um sein Amt, seine Karriere, seinen Ruf. Wer Andreas Scheuer kennt, weiß, dass es damit um alles geht.
Politik ist sein Leben. Damit er weiter Politik machen kann, muss er jetzt aus der Defensive kommen. Die letzten Wochen und Monate waren nicht gut, sie liefen sogar katastrophal. Die Maut ging schrecklich schief. Also stellt sich Scheuer am Mittwoch in die Säulenhalle seines Ministeriums an der Invalidenstraße und versucht den Befreiungsschlag. Er zählt auf, was er als Verkehrsminister alles auf den Weg gebracht hat: Rekordinvestitionen in die Bahn, mehr Sicherheit für Radfahrer, Diesel-Nachrüstungen, Modellregion für das neue Handynetz 5G, Stärkung der Binnenschifffahrt. Es ist ein beachtlicher Katalog. Politik heißt für ihn, zu entscheiden. Nicht nur zu reden.
Und dann ist da noch die Maut. „Es geht in der Debatte um die Pkw-Maut schon längst nicht mehr um die Sache, sondern es geht um den Kopf“, sagt Scheuer. Es ist sein Kopf, von dem er hier redet.
Vor ihm liegen die härtesten Monate seines Politikerlebens. Sie werden zeigen, ob der Kopf auf den Schultern bleibt. Der Untersuchungssauschuss zur AutobahnMaut,
der an diesem Donnerstag zusammentritt, wird in schöner Regelmäßigkeit hässliche Details über die Fehler des Verkehrsministers an die Öffentlichkeit spülen. Seine Karriere verlief steil und könnte nun mit 45 Jahren schon vorbei sein. Zumindest in der Politik. Grüne, FDP und Linke haben sich seit Monaten auf ihn eingeschossen, munitionieren die Presse mit Gutachten und internen Dokumenten auf.
Die Angriffe zeigen Wirkung. Scheuer ist dünnhäutig geworden. Nachdem der Europäische Gerichtshof im Sommer die Maut einkassiert hatte und der CSU ein Debakel bescherte, konnte der Minister die Fassade noch aufrechterhalten. Der Andi, der immer einen Spruch bringt, kleine Spitzen verteilt und Scherze macht, selbst wenn der Druck hoch ist.
„Die Zeit der Späßchen ist vorbei“, sagt der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn. Der Dresdner sägt eifrig an Scheuers Stuhl und hat seinen Rücktritt schon oft gefordert. Andere Politiker berichten von giftigen Szenen im Fahrstuhl, bei denen der angeschlagene Minister seinem Frust freien Lauf lasse.
„Man denkt jeden Tag daran. Das prallt ja nicht an einem ab“, sagt Scheuer. Er erzählt von Kollegen, die sich unter vier Augen bei ihm entschuldigen. Andere sprechen ihm Mut zu. Leider würden sie es nicht öffentlich tun. „So ist Politik.“
Scheuer, der Profi, weiß, wie hart sie sein kann. Jahrelang hat er schwer ausgeteilt als Generalsekretär der CSU. Nun trifft es ihn selbst.
Der geplatzte Wegzoll für Ausländer ist Scheuers Mühlstein.
Er ist nicht das einzige Gewicht, das ihn nach unten zieht. Die Bahn ist eine einzige Misere. Jeder vierte Zug im Fernverkehr kommt zu spät. Die Gütersparte schreibt seit Jahren Verluste. Der Bahnvorstand ist zerstritten und hat keinen Durchgriff auf sein Firmengeflecht mit 680 Tochterunternehmen. Scheuer regiert mit Rekordinvestitionen. Milliarden und Abermilliarden sind eingeplant. Sein Problem ist es, dass es einige Jahre dauern wird, bis das Geld Wirkung zeigt. Politiker bekommen diese Zeit nicht.
Während viele in ihm einen Luftikus sehen, der nur in Schlagzeilen und schönen Bildern denkt, hat er auch Verteidiger an überraschender Stelle. „Ich habe in den vielen Jahren noch keinen Verkehrsminister erlebt, der sich so intensiv mit der Bahn befasst hat“, sagte vor kurzem der Chef der Lokführergewerkschaft, Claus Weselsky, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Dass sich der Diesel-Andi nur für Autos und Straßen interessiert, wird ihm immer wieder angekreidet. Es stimmt aber nicht. „Minister Scheuer scheint, für uns alle überraschend, wirklich Lust am Thema Fahrrad zu haben“, sagt der Bundesgeschäftsführer des Allgemeinen
Deutschen Fahrrad-Clubs, Burkhard Stork. Im Klimapaket stünden für Bahn und Fahrrad „großartige Dinge drin“.
Auch hier war zu Beginn die Skepsis groß. Ein Förderprogramm unterstützt Fuhrunternehmer, wenn sie ihre Lastwagen mit einem Abbiege-Assistenten ausrüsten. Damit wird die Gefahr, dass die Fahrer beim Rechtsabbiegen Radfahrer oder Kinder überfahren, deutlich gesenkt. Innerorts müssen Autos künftig anderthalb Meter Abstand zu Radlern halten. Es gibt viel Geld für Radwege. Scheuer interessiert sich wirklich für neue Formen der Mobilität. Er stellt sich selbst auf die neuen Tretroller mit Akku, lässt sich Drohnen erklären und will, dass Flugtaxis über deutschen Städten kreisen.
Scheuers Ruf könnte deutlich besser sein. Aber durch unüberlegtes Poltern macht er sich viel zunichte. Den Vorschlag, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen, bedachte er mit den Worten, es sei „gegen jeden Menschenverstand“gerichtet. Parteichef Markus Söder, früher selbst ein Freund markiger Ansagen, hat den Christsozialen aber einen Imagewechsel verordnet. Grün soll die Partei sein, weicher und weniger maskulin. VollgasSprüche passen dazu nicht mehr.
Selbst in seiner bayerischen Heimat, genauer gesagt in der Landtags-CSU, die sich traditionell als „Herzkammer“der Partei versteht, hat Scheuer keine guten Karten mehr. Die meisten der Abgeordneten sind auch Kreisvorsitzende. Sie kennen ihre Basis und wissen, dass die Maut für die CSU längst „ein Katastrophen-Thema“geworden ist. Offenbar einzig in den Landkreisen direkt an der Grenze zu Österreich hat Scheuer noch ein paar Fürsprecher. „Er hat wenigstens gekämpft. Das rechnen ihm viele hoch an“, sagt einer von ihnen.
Im Rest Bayerns, so ergibt eine kleine Umfrage unserer Redaktion unter einem Dutzend CSU-Landtagsabgeordneter, ist Scheuer offensichtlich weitgehend unten durch. „Bei mir daheim lachen die Leute nur noch, wenn die Rede auf die Maut und auf Scheuer kommt“, sagt ein Niederbayer. „Das wird nix mehr mit dem Andi“, sagt ein Franke. „Wenn er wirklich gelogen hat, muss er weg“, sagt ein Schwabe.
Sogar CSU-Funktionäre, die Scheuers Version der Ereignisse für plausibel und die Vorwürfe gegen ihn für politisch motiviert halten, haben es längst aufgegeben, ihn bei Veranstaltungen gegen Kritik zu verteidigen. Die CSU schweigt, und der Grund dafür ist offenkundig.
Wer über Scheuer redet, muss auch über die Vorgeschichte des MautDebakels reden. Dies bedeutet, das ganze peinliche Politikversagen noch einmal in allen Einzelheiten auszubreiten. Wähler sind damit nicht zu gewinnen.
Und es ist ja auch kompliziert: Der Eigensinn des früheren CSUChefs Horst Seehofer, mit einer „Ausländermaut“die CSU in Bund und Land wieder zu alter Stärke zu führen, und die strikte Weigerung von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, deutsche Autofahrer zusätzlich zu belasten, führten zu einer rechtlichen Konstruktion, die viele Juristen von Anfang an für höchst fragwürdig hielten: Erst die Maut für alle einzuführen und dann hinterher die deutschen Autofahrer über die KfzSteuer wieder zu entlasten.
Zwar sah es zwischendurch so aus, als könnte sich Deutschland damit auf europäischer Ebene durchsetzen. Doch das CSU-Prestigeprojekt, das vor der bayerischen Landtagswahl im Jahr 2013 ersonnen wurde und auch in den Wahlkämpfen 2017 (Bund) und 2018 (Bayern) noch in der Schwebe hing, scheiterte im Juni dieses Jahres in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof.
Scheuer kann sich von diesem
Projekt nur schwer distanzieren. Es ist zwar nachweislich nicht auf seinem Mist gewachsen, aber er hat es als CSU-Generalsekretär (2013 bis 2018) politisch mit vertreten. Dennoch ist es in gewisser Hinsicht eine „Altlast“, die er als neuer Bundesverkehrsminister im März 2018 von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt übernommen hat.
Das Gesetz über die Maut, vom Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD beschlossen, war längst unter Dach und Fach, als Scheuer Bundesverkehrsminister wurde. Er sollte es nur exekutieren. Um die folgenschweren Fehler, die er dabei möglicherweise gemacht hat, geht es in dem Untersuchungsausschuss, der heute in Berlin seine Arbeit aufnimmt. Aber es geht eben längst auch um seinen Kopf. Scheuer soll zur Rechenschaft gezogen werden. Er soll aber auch der Sündenbock sein für den Murks, den Seehofer und Dobrindt ersonnen und in der Großen Koalition durchgesetzt haben.
Spätestens hier wird Politik zu Psychologie. Spätestens hier hört die Parteifreundschaft auf. Hätte der Europäische Gerichtshof anders entschieden, würde die CSU einen Sieg feiern, der mit Sicherheit viele Väter hätte.
Sein Schicksal kann Andreas Scheuer also nicht mehr selbst bestimmen, es hängt an Söders Geduld. Beide sind keine Freunde.
Der Minister ist dünnhäutig geworden
Sein Schicksal hängt an Söders Geduld
„Ich fühle mich sehr unterstützt von CDU und CSU“, sagt Scheuer zwar. Sollte der Ministerpräsident aber zu dem Schluss kommen, dass der Verkehrsminister eine Belastung für die bayerischen Kommunalwahlen wird, hat er keine Zukunft mehr. Er muss dann gehen.
Weil in der CSU alle Strömungen irgendwie bei der Postenvergabe befriedigt sein müssen, wird in Berlin für diesen Fall mit einer größeren Kabinettsumbildung gerechnet. Scheuer würde dann vielleicht ExParteichef Horst Seehofer mit in die Tiefe reißen, zu dessen Lager er gehört. Derzeit scheut der starke Mann in München aber diesen Schritt.
Die immer noch sogenannte Große Koalition ist unheimlich brüchig. Die kranke SPD will jetzt den Koalitionsvertrag nachverhandeln. Bei der CDU wird Annegret KrampKarrenbauer von Friedrich Merz unter Druck gesetzt. Die Wähler laufen weg. Die Schwäche des Bündnisses ist Scheuers Rückversicherung, weil die GroKo keine weitere Unruhe verträgt.
Rückendeckung kann er von seinen Parteifreunden also keine erwarten. Die CDU wollte die Ausländer-Maut nie einführen und ist erleichtert, dass der Europäische Gerichtshof den Wahlkampfschlager der Schwesterpartei gestoppt hat. Bei der CSU will sich keiner auf die Seite des Maut-Ministers stellen, auf den jetzt alle mit dem Finger zeigen. Mit dem verseuchten Thema will niemand mehr in Verbindung gebracht werden.