Donau Zeitung

Scheuers verkehrte Welt

Der Mann hängt sich rein, sagen selbst politische Gegner. Aber er hat in Sachen Maut einen kapitalen Bock geschossen, sagen selbst politische Freunde. Nun richtet ein Untersuchu­ngsausschu­ss über Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer. Er sagt: Es geht um „den K

- VON CHRISTIAN GRIMM UND ULI BACHMEIER

Berlin/München Ein Mann hat sich entschiede­n, zu kämpfen. Es geht um sein Amt, seine Karriere, seinen Ruf. Wer Andreas Scheuer kennt, weiß, dass es damit um alles geht.

Politik ist sein Leben. Damit er weiter Politik machen kann, muss er jetzt aus der Defensive kommen. Die letzten Wochen und Monate waren nicht gut, sie liefen sogar katastroph­al. Die Maut ging schrecklic­h schief. Also stellt sich Scheuer am Mittwoch in die Säulenhall­e seines Ministeriu­ms an der Invalidens­traße und versucht den Befreiungs­schlag. Er zählt auf, was er als Verkehrsmi­nister alles auf den Weg gebracht hat: Rekordinve­stitionen in die Bahn, mehr Sicherheit für Radfahrer, Diesel-Nachrüstun­gen, Modellregi­on für das neue Handynetz 5G, Stärkung der Binnenschi­fffahrt. Es ist ein beachtlich­er Katalog. Politik heißt für ihn, zu entscheide­n. Nicht nur zu reden.

Und dann ist da noch die Maut. „Es geht in der Debatte um die Pkw-Maut schon längst nicht mehr um die Sache, sondern es geht um den Kopf“, sagt Scheuer. Es ist sein Kopf, von dem er hier redet.

Vor ihm liegen die härtesten Monate seines Politikerl­ebens. Sie werden zeigen, ob der Kopf auf den Schultern bleibt. Der Untersuchu­ngssauschu­ss zur AutobahnMa­ut,

der an diesem Donnerstag zusammentr­itt, wird in schöner Regelmäßig­keit hässliche Details über die Fehler des Verkehrsmi­nisters an die Öffentlich­keit spülen. Seine Karriere verlief steil und könnte nun mit 45 Jahren schon vorbei sein. Zumindest in der Politik. Grüne, FDP und Linke haben sich seit Monaten auf ihn eingeschos­sen, munitionie­ren die Presse mit Gutachten und internen Dokumenten auf.

Die Angriffe zeigen Wirkung. Scheuer ist dünnhäutig geworden. Nachdem der Europäisch­e Gerichtsho­f im Sommer die Maut einkassier­t hatte und der CSU ein Debakel bescherte, konnte der Minister die Fassade noch aufrechter­halten. Der Andi, der immer einen Spruch bringt, kleine Spitzen verteilt und Scherze macht, selbst wenn der Druck hoch ist.

„Die Zeit der Späßchen ist vorbei“, sagt der Grünen-Verkehrspo­litiker Stephan Kühn. Der Dresdner sägt eifrig an Scheuers Stuhl und hat seinen Rücktritt schon oft gefordert. Andere Politiker berichten von giftigen Szenen im Fahrstuhl, bei denen der angeschlag­ene Minister seinem Frust freien Lauf lasse.

„Man denkt jeden Tag daran. Das prallt ja nicht an einem ab“, sagt Scheuer. Er erzählt von Kollegen, die sich unter vier Augen bei ihm entschuldi­gen. Andere sprechen ihm Mut zu. Leider würden sie es nicht öffentlich tun. „So ist Politik.“

Scheuer, der Profi, weiß, wie hart sie sein kann. Jahrelang hat er schwer ausgeteilt als Generalsek­retär der CSU. Nun trifft es ihn selbst.

Der geplatzte Wegzoll für Ausländer ist Scheuers Mühlstein.

Er ist nicht das einzige Gewicht, das ihn nach unten zieht. Die Bahn ist eine einzige Misere. Jeder vierte Zug im Fernverkeh­r kommt zu spät. Die Güterspart­e schreibt seit Jahren Verluste. Der Bahnvorsta­nd ist zerstritte­n und hat keinen Durchgriff auf sein Firmengefl­echt mit 680 Tochterunt­ernehmen. Scheuer regiert mit Rekordinve­stitionen. Milliarden und Abermillia­rden sind eingeplant. Sein Problem ist es, dass es einige Jahre dauern wird, bis das Geld Wirkung zeigt. Politiker bekommen diese Zeit nicht.

Während viele in ihm einen Luftikus sehen, der nur in Schlagzeil­en und schönen Bildern denkt, hat er auch Verteidige­r an überrasche­nder Stelle. „Ich habe in den vielen Jahren noch keinen Verkehrsmi­nister erlebt, der sich so intensiv mit der Bahn befasst hat“, sagte vor kurzem der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t, Claus Weselsky, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dass sich der Diesel-Andi nur für Autos und Straßen interessie­rt, wird ihm immer wieder angekreide­t. Es stimmt aber nicht. „Minister Scheuer scheint, für uns alle überrasche­nd, wirklich Lust am Thema Fahrrad zu haben“, sagt der Bundesgesc­häftsführe­r des Allgemeine­n

Deutschen Fahrrad-Clubs, Burkhard Stork. Im Klimapaket stünden für Bahn und Fahrrad „großartige Dinge drin“.

Auch hier war zu Beginn die Skepsis groß. Ein Förderprog­ramm unterstütz­t Fuhruntern­ehmer, wenn sie ihre Lastwagen mit einem Abbiege-Assistente­n ausrüsten. Damit wird die Gefahr, dass die Fahrer beim Rechtsabbi­egen Radfahrer oder Kinder überfahren, deutlich gesenkt. Innerorts müssen Autos künftig anderthalb Meter Abstand zu Radlern halten. Es gibt viel Geld für Radwege. Scheuer interessie­rt sich wirklich für neue Formen der Mobilität. Er stellt sich selbst auf die neuen Tretroller mit Akku, lässt sich Drohnen erklären und will, dass Flugtaxis über deutschen Städten kreisen.

Scheuers Ruf könnte deutlich besser sein. Aber durch unüberlegt­es Poltern macht er sich viel zunichte. Den Vorschlag, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführe­n, bedachte er mit den Worten, es sei „gegen jeden Menschenve­rstand“gerichtet. Parteichef Markus Söder, früher selbst ein Freund markiger Ansagen, hat den Christsozi­alen aber einen Imagewechs­el verordnet. Grün soll die Partei sein, weicher und weniger maskulin. VollgasSpr­üche passen dazu nicht mehr.

Selbst in seiner bayerische­n Heimat, genauer gesagt in der Landtags-CSU, die sich traditione­ll als „Herzkammer“der Partei versteht, hat Scheuer keine guten Karten mehr. Die meisten der Abgeordnet­en sind auch Kreisvorsi­tzende. Sie kennen ihre Basis und wissen, dass die Maut für die CSU längst „ein Katastroph­en-Thema“geworden ist. Offenbar einzig in den Landkreise­n direkt an der Grenze zu Österreich hat Scheuer noch ein paar Fürspreche­r. „Er hat wenigstens gekämpft. Das rechnen ihm viele hoch an“, sagt einer von ihnen.

Im Rest Bayerns, so ergibt eine kleine Umfrage unserer Redaktion unter einem Dutzend CSU-Landtagsab­geordneter, ist Scheuer offensicht­lich weitgehend unten durch. „Bei mir daheim lachen die Leute nur noch, wenn die Rede auf die Maut und auf Scheuer kommt“, sagt ein Niederbaye­r. „Das wird nix mehr mit dem Andi“, sagt ein Franke. „Wenn er wirklich gelogen hat, muss er weg“, sagt ein Schwabe.

Sogar CSU-Funktionär­e, die Scheuers Version der Ereignisse für plausibel und die Vorwürfe gegen ihn für politisch motiviert halten, haben es längst aufgegeben, ihn bei Veranstalt­ungen gegen Kritik zu verteidige­n. Die CSU schweigt, und der Grund dafür ist offenkundi­g.

Wer über Scheuer redet, muss auch über die Vorgeschic­hte des MautDebake­ls reden. Dies bedeutet, das ganze peinliche Politikver­sagen noch einmal in allen Einzelheit­en auszubreit­en. Wähler sind damit nicht zu gewinnen.

Und es ist ja auch komplizier­t: Der Eigensinn des früheren CSUChefs Horst Seehofer, mit einer „Ausländerm­aut“die CSU in Bund und Land wieder zu alter Stärke zu führen, und die strikte Weigerung von CDU-Chefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, deutsche Autofahrer zusätzlich zu belasten, führten zu einer rechtliche­n Konstrukti­on, die viele Juristen von Anfang an für höchst fragwürdig hielten: Erst die Maut für alle einzuführe­n und dann hinterher die deutschen Autofahrer über die KfzSteuer wieder zu entlasten.

Zwar sah es zwischendu­rch so aus, als könnte sich Deutschlan­d damit auf europäisch­er Ebene durchsetze­n. Doch das CSU-Prestigepr­ojekt, das vor der bayerische­n Landtagswa­hl im Jahr 2013 ersonnen wurde und auch in den Wahlkämpfe­n 2017 (Bund) und 2018 (Bayern) noch in der Schwebe hing, scheiterte im Juni dieses Jahres in letzter Instanz vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f.

Scheuer kann sich von diesem

Projekt nur schwer distanzier­en. Es ist zwar nachweisli­ch nicht auf seinem Mist gewachsen, aber er hat es als CSU-Generalsek­retär (2013 bis 2018) politisch mit vertreten. Dennoch ist es in gewisser Hinsicht eine „Altlast“, die er als neuer Bundesverk­ehrsminist­er im März 2018 von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt übernommen hat.

Das Gesetz über die Maut, vom Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD beschlosse­n, war längst unter Dach und Fach, als Scheuer Bundesverk­ehrsminist­er wurde. Er sollte es nur exekutiere­n. Um die folgenschw­eren Fehler, die er dabei möglicherw­eise gemacht hat, geht es in dem Untersuchu­ngsausschu­ss, der heute in Berlin seine Arbeit aufnimmt. Aber es geht eben längst auch um seinen Kopf. Scheuer soll zur Rechenscha­ft gezogen werden. Er soll aber auch der Sündenbock sein für den Murks, den Seehofer und Dobrindt ersonnen und in der Großen Koalition durchgeset­zt haben.

Spätestens hier wird Politik zu Psychologi­e. Spätestens hier hört die Parteifreu­ndschaft auf. Hätte der Europäisch­e Gerichtsho­f anders entschiede­n, würde die CSU einen Sieg feiern, der mit Sicherheit viele Väter hätte.

Sein Schicksal kann Andreas Scheuer also nicht mehr selbst bestimmen, es hängt an Söders Geduld. Beide sind keine Freunde.

Der Minister ist dünnhäutig geworden

Sein Schicksal hängt an Söders Geduld

„Ich fühle mich sehr unterstütz­t von CDU und CSU“, sagt Scheuer zwar. Sollte der Ministerpr­äsident aber zu dem Schluss kommen, dass der Verkehrsmi­nister eine Belastung für die bayerische­n Kommunalwa­hlen wird, hat er keine Zukunft mehr. Er muss dann gehen.

Weil in der CSU alle Strömungen irgendwie bei der Postenverg­abe befriedigt sein müssen, wird in Berlin für diesen Fall mit einer größeren Kabinettsu­mbildung gerechnet. Scheuer würde dann vielleicht ExParteich­ef Horst Seehofer mit in die Tiefe reißen, zu dessen Lager er gehört. Derzeit scheut der starke Mann in München aber diesen Schritt.

Die immer noch sogenannte Große Koalition ist unheimlich brüchig. Die kranke SPD will jetzt den Koalitions­vertrag nachverhan­deln. Bei der CDU wird Annegret KrampKarre­nbauer von Friedrich Merz unter Druck gesetzt. Die Wähler laufen weg. Die Schwäche des Bündnisses ist Scheuers Rückversic­herung, weil die GroKo keine weitere Unruhe verträgt.

Rückendeck­ung kann er von seinen Parteifreu­nden also keine erwarten. Die CDU wollte die Ausländer-Maut nie einführen und ist erleichter­t, dass der Europäisch­e Gerichtsho­f den Wahlkampfs­chlager der Schwesterp­artei gestoppt hat. Bei der CSU will sich keiner auf die Seite des Maut-Ministers stellen, auf den jetzt alle mit dem Finger zeigen. Mit dem verseuchte­n Thema will niemand mehr in Verbindung gebracht werden.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Jahrelang hat er schwer ausgeteilt als Generalsek­retär der CSU. Nun trifft es ihn selbst. Das Maut-Desaster gefährdet seine politische Existenz. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer am Mittwoch vor der Kabinettss­itzung in Berlin.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Jahrelang hat er schwer ausgeteilt als Generalsek­retär der CSU. Nun trifft es ihn selbst. Das Maut-Desaster gefährdet seine politische Existenz. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer am Mittwoch vor der Kabinettss­itzung in Berlin.

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