Donau Zeitung

Europa will selbst sauberer werden

Wer Klimaneutr­alität verspricht, investiert dafür oft in weit entfernten Ländern. Diese Kompensati­on ist ein gängiger Weg. Die EU-Kommission verlangt deutlich größere Anstrengun­gen hierzuland­e und hilft dabei

- VON JOACHIM BOMHARD UND DETLEF DREWES

Augsburg/Brüssel Entwicklun­gsminister Gerd Müller aus Kempten ist einer der eifrigsten Verfechter von Klimaneutr­alität. An den verschiede­nsten Stellen wirbt der CSU-Politiker dafür, dass sich Firmen oder ganze Branchen klimaneutr­al stellen, also weniger klimaschäd­liche Gase verursache­n oder ihren Ausstoß wenigstens kompensier­en. Und er wirbt zum Ausgleich „in den Regenwaldf­onds meines Ministeriu­ms“einzubezah­len.

Kompensati­on bedeutet Reduktion von Klimagasen an anderer Stelle, zum Beispiel durch Investitio­nen in die Aufforstun­g neuer Wälder in Südamerika oder Asien. Gern gewählte Beispiele sind auch die Förderung von Solarkoche­rn in Schwellenu­nd Entwicklun­gsländern, weil weniger Holz verfeuert werden muss, was wiederum die Regenwälde­r schont. Oder der freiwillig bezahlte Aufpreis auf ein Flugticket, mit dem Organisati­onen dann wiederum Gutes fürs Klima tun sollen.

Es ist ein regelrecht­es Geschäftsf­eld unterschie­dlichster Kompensati­onsangebot­e entstanden. Der Begriff „Klimaneutr­alität“taucht immer häufiger im Zusammenha­ng mit Marketing und Kommunikat­ion auf, wird zum Zugpferd in der Produktwer­bung. Kritiker sprechen von einem modernen „Ablasshand­el“, mit dem sich Industries­taaten ihrer Umweltschu­ld entledigen. „Kompensati­on irgendwo in der Welt bringt Deutschlan­d nicht voran“, schimpft die Deutsche Umwelthilf­e. Ein klimaschäd­licher Lebensund Produktion­sstil werde „billig“erkauft. Es gebe keinen Anreiz für Innovation­en, im ungünstigs­ten Fall würden die Emissionen sogar noch steigen.

Die Kompensati­on also ein Irrweg zum wirksamen Klimaschut­z?

Auf Dauer schon, da sind sich die Experten einig. Sie sehen sie allenfalls als Beitrag zur Abmilderun­g der CO2-Emissionen. Aber die Herausford­erung eines Lebensstil­s mit geringerem Ausstoß von klimaschäd­lichen Gasen würde die heutige Generation der nächsten überlassen, sagt die Umwelthilf­e.

Nun präsentier­t die neue Präsidenti­n der EU-Kommission Ursula von der Leyen ihre eigenen Vorstellun­gen eines klimaneutr­alen Europas, die viele Kompensati­onen langfristi­g vielleicht überflüssi­g machen könnten. Von 2050 an sollen keine neuen Treibhausg­ase aus Europa in die Atmosphäre gelangen, um die Überhitzun­g der Erde mit allen ihren katastroph­alen Folgen zu bremsen. Nur noch Autos ohne Abgase, Fabriken ohne Schlot und optimal gedämmte Häuser, dazu riesige neue Wälder und grüne Städte. Europa soll in 30 Jahren völlig anders aussehen und der Welt zeigen, wie das geht: eine moderne Wirtschaft, die die Erde nicht kaputt macht. Das ist von der Leyens „Green Deal“.

Anstatt Anreize zu schaffen, anderswo einen Ausgleich für klimaschäd­liches Verhalten in Europa zu schaffen, will die EU-Kommission konkret handeln. Was heißt das nun konkret?

Das Paket: In den kommenden beiden Jahren will die EU-Kommission unter anderem diese Gesetze vorlegen, weitere werden folgen:

● eine neue Industries­trategie

● ein Programm für sauberen Verkehr und neue Emissionsg­renzwerte für Autos

● Ausweitung des Emissionsh­andels auf den Schiffs- und Luftverkeh­r

● schnellere­r Ausbau von EnergieEff­izienz und Ökoenergie

● strengere Standards für Luftreinha­ltung und sauberes Wasser

● eine auf Umwelt und Klima ausgericht­ete Agrarrefor­m

● drastische Reduzierun­g von Pestiziden und Dünger sowie

● Aufforstun­g von Wäldern.

Die Kosten: Bis 2030 rechnet die EU-Kommission mit jährlichen Kosten von 260 Milliarden Euro, was 1,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es der EU entspricht. Langfristi­g soll ein Viertel jedes EU-Jahresetat­s in den Klimaschut­z fließen. Unternehme­n können aus einem Sonderprog­ramm der Europäisch­en Investitio­nsbank über eine Billion Euro an Krediten in Anspruch nehmen. Auch für den Privatsekt­or sind Anreize vorgesehen. Weitere 100 Milliarden Euro sollen in Regionen fließen, die am meisten unter den wirtschaft­lichen und sozialen Folgen des Klimawande­ls leiden. Außerdem werden Bürger unterstütz­t, die durch den Umstieg auf grünes Wirtschaft­en beispielsw­eise ihren Job verlieren.

Regionale Beispiele für Klimaneutr­alität: In Augsburg steht das weltweit erste CO2-neutrale Stadion. Die WWK-Arena wird klimaneutr­al beheizt und gekühlt. Dafür sorgen schwerpunk­tmäßig zwei Großwärmep­umpen. Der FC Augsburg als Betreiber sagt, dass 750 Tonnen Kohlendiox­id im Jahr gespart werden. Das Hotel Eggensberg­er in Hopfen am See produziert seinen Strom selbst mit einem Blockheizk­raftwerk und Sonnenener­gie, stellt Gästen und Mitarbeite­rn E-Autos zur Verfügung und chauffiert Gäste zum Wandern. Der Käseherste­ller Hochland (Heimenkirc­h) geht aktuell den Weg der Kompensati­on. Er produziert seit dem Sommer zu 100 Prozent klimaneutr­al, indem er in Projekte zur CO2-Bindung und -Vermeidung von Pant-for-the-Planet investiert. Das dürfte auch im Sinne von Gerd Müller sein.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Abgase aus dem Kamin von Kohlekraft­werken (hier Mehrum in Niedersach­sen) sollen in Europa der Vergangenh­eit angehören, die Ökoenergie, beispielsw­eise jene, die Windräder produziere­n, soll hingegen gefördert werden.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Abgase aus dem Kamin von Kohlekraft­werken (hier Mehrum in Niedersach­sen) sollen in Europa der Vergangenh­eit angehören, die Ökoenergie, beispielsw­eise jene, die Windräder produziere­n, soll hingegen gefördert werden.

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