Donau Zeitung

Standpauke auf der Klimakonfe­renz

Greta Thunberg redet auf dem internatio­nalen Gipfel den Politikern aus fast 200 Ländern ins Gewissen. Währenddes­sen ringen die Staaten auf der Großverans­taltung um einen niedrigere­n CO2 -Ausstoß

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Kein Regierungs­chef und kein Staatsober­haupt bekommt auf dem UN-Klimagipfe­l in Madrid jene Aufmerksam­keit geschenkt, die Greta Thunberg derzeit genießt. Die 16-jährige Aktivistin, die zum Gesicht der internatio­nalen Klimaschut­zbewegung wurde, ist der uneingesch­ränkte Star dieser UNKonferen­z Cop25. Wenn der schwedisch­e Teenager redet, platzen die Säle aus allen Nähten.

Dies war auch am Mittwoch nicht anders, als Thunberg ihren bisher wichtigste­n Auftritt im großen Gipfel-Plenarsaal hatte. Dort versuchen seit zehn Tagen die Delegierte­n aus nahezu 200 Ländern, sich auf weitere Schritte im Kampf gegen den Klimawande­l zu einigen. Bisher ohne größeren Erfolg, weswegen Thunberg den Verhandlun­gsstaaten vorwarf, sich vor konkreten Maßnahmen drücken zu wollen. „Das muss aufhören“, sagte sie.

Dieses Mal war es keine emotionale Wutrede, wie sie Thunberg vor dem UN-Sondergipf­el im September in New York hielt, als sie den versammelt­en Regierungs­chefs mit saurer Miene vorwarf: „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“Stattdesse­n bekamen die Gipfeldipl­omaten nun eine wissenscha­ftlich fundierte Moralpredi­gt zu hören, mit der Thunberg in ruhigem Ton den Gipfel-Politikern ins Gewissen redete.

Die Klimafakte­n seien klar, bilanziert­e die Aktivistin: Der globale Treibhausg­asausstoß nehme trotz aller Verspreche­n weiter zu, die Erderhitzu­ng schreite ungebremst voran, alle bisherigen Klimaschut­zziele seien verfehlt worden. Schon jetzt, mit etwas mehr als einem Grad Temperatur­anstieg, würden im Zuge der Klimakrise Menschen sterben. Dann schoss sie eine rhetorisch­e Frage in die Runde der Delegierte­n: „Sagen Sie mir, wie können Sie diese Daten hinnehmen, ohne wenigstens ein bisschen Panik zu verspüren?“

Thunberg, deren Engagement weltweit die Fridays-for-FutureBewe­gung inspiriert, kritisiert­e angesichts der sich zuspitzend­en Klimakrise scharf den schleppend­en Verlauf der Verhandlun­gen in Madrid. Alle würden zwar von einem Klima-Notfall reden, aber keine entspreche­nden Rettungsma­ßnahmen einleiten. Das sei nicht konsequent. „Wenn da ein Kind ist, das auf der Straße steht, und da kommt ein Auto angefahren, dann rennt man doch sofort los und rettet dieses Kind.“

Statt auf dem Gipfel schnelle Lösungen für die Klimakrise zu suchen, werde die Zeit vertan, um über langfristi­ge Abgasreduz­ierung zu sprechen, rügte Thunberg. Sie ging auch auf die Ankündigun­g der EU ein, die Europäisch­e Union bis 2050 klimaneutr­al machen zu wollen. Um dies zu erreichen, sollen die Emissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduziert werden. Zudem wird in Madrid über Regeln für einen globalen Markt von Emissionsr­echten gesprochen. Bei Letzterem geht es im Kern darum, dass Quoten für den Treibhausg­asausstoß in Form von Zertifikat­en global gehandelt werden können. Wer zum Beispiel zu viele Emissionen verursacht, müsste dann Zertifikat­e kaufen. Wer wenig schädliche Gase produziert, könnte Zertifikat­e verkaufen und würde somit finanziell belohnt.

Derartige Zahlenspie­le führten nicht weiter, sagte Thunberg. „Das ist keine Führung, dass ist Irreführun­g.“Wenn die Menschheit wirklich, wie im Pariser Klimaabkom­men angestrebt, den Temperatur­anstieg auf 1,5 Grad begrenzen wollte, müssten die fossilen Energieträ­ger wie Kohle, Erdöl und Gas in der Erde bleiben. Und: „Die Emissionen zu reduzieren ist nicht genug. Die Emissionen müssen ganz stoppen.“

Aber die Lage sei nicht hoffnungsl­os, sagte die Aktivistin. „Es gibt Hoffnung. Aber sie kommt nicht von Regierunge­n und Konzernen, sondern vom Volk.“In der Tat hat Greta Thunberg seit Beginn ihrer Klimaschut­zkampagne im Sommer 2018 Millionen junger Menschen inspiriert und eine weltweite Protestbew­egung in Gang gesetzt.

Das Engagement der 16-Jährigen, die jüngst sogar mit dem alternativ­en Nobelpreis ausgezeich­net worden war, kommt bei Skeptikern des Klimawande­ls weniger gut an. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro bezeichnet­e Thunberg dieser Tage als „Göre“. Wohl auch als Retourkuts­che dafür, dass die berühmte Aktivistin die Ermordung zweier Ureinwohne­r im brasiliani­schen Amazonas verurteilt hatte. Die Ureinwohne­r hatten offenbar versucht, die illegale Rodung von Wäldern zu stoppen.

Ganz im Kontrast zu Bolsonaros Einschätzu­ng hat das Time Magazine die 16-Jährige zur Person des Jahres gekürt. „Greta Thunberg ist die überzeugen­dste Stimme zur wichtigste­n Angelegenh­eit unseres Planeten geworden“, erklärte das US-Magazin. Was mit einem empörten Teenager und einem plötzliche­n Ausbruch der Rebellion begonnen habe, sei zu einem der unwahrsche­inlichsten und schnellste­n Aufstiege zu globalem Einfluss der Weltgeschi­chte geworden. Die Jugendlich­e sei zur Anführerin einer weltweiten Jugendbewe­gung geworden.

Time-Magazin kürt Gerta zur „Person des Jahres“

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 ?? Foto: dpa ?? Ziel einer langen Reise: Greta Thunberg spricht zur internatio­nalen Klimakonfe­renz und kritisiert die Politik: „Das ist keine Führung, das ist Irreführun­g.“
Foto: dpa Ziel einer langen Reise: Greta Thunberg spricht zur internatio­nalen Klimakonfe­renz und kritisiert die Politik: „Das ist keine Führung, das ist Irreführun­g.“

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