Donau Zeitung

Die Verführung­skraft von Hexen

Der originäre Maler Hans Baldung Grien wird in einer baden-württember­gischen Landesauss­tellung umfassend gewürdigt. In Karlsruhe sind seine himmlische­n und seine höllischen Werke zu betrachten

- VON CHRISTA SIGG

Karlsruhe Seine Jesuskinde­r haben schlechte Laune und nuckeln mürrisch an der Madonnenbr­ust. Der biblische Adam ist ein handgreifl­icher Galan, und auf dem Neujahrsgr­uß an einen Kleriker verrenken sich nackte Hexen wie an den PoleDance-Stangen einer Bar. Hans Baldung, der wegen seiner grünen Kleidung Grien genannt wurde, schien sich um nichts zu scheren, weder um überkommen­e Bildformel­n, noch um die üblichen Sittlichke­itsvorstel­lungen. Das ließ den um 1485 wohl in Schwäbisch Gmünd geborenen Alleskönne­r zu einem der außergewöh­nlichsten Künstler im frühen 16. Jahrhunder­t werden.

Himmlische­s und Irdisches, Tugendhaft­es und Teufelszeu­g hat er zusammenge­bracht. Der Sohn einer humanistis­ch geprägten Gelehrtenf­amilie wusste natürlich, dass beides nah beieinande­r liegt und „heilig und unheilig“oft nicht so genau zu trennen sind – wie es jetzt im Untertitel zur Großen Landesauss­tellung in Karlsruhe heißt. In einer Zeit des Umbruchs, als die Macht der Kirche heftig ins Wanken geriet, waren Richtig und Falsch sowieso Ansichtssa­che geworden.

Gerade aber für solche Übergänge, für die Grauzonen zwischen Gut und Böse, hat sich der hochgebild­ete Maler interessie­rt, und man wüsste nur zu gerne, wie er zum eigenen Schaffen stand. Der bedeutends­te Mitarbeite­r Albrecht Dürers – 1503 ging Baldung nach Nürnberg – führte im Gegensatz zu seinem 14 Jahre älteren Meister allerdings kein „Gedenkbuch“, und auch Briefe oder Kommentare von ihm sind nicht bekannt. Für Gesprächss­toff hat er sicher gesorgt, dazu waren seine Darstellun­gen wie die damals gottesläst­erliche Glorifizie­rung Luthers durch einen Heiligensc­hein (1521) einfach zu skandalös.

Baldung war dennoch kein Außenseite­r. Selbst im konkurrenz­reichen Straßburg konnte er ab 1509 Fuß fassen und mit Margarethe Herlin eine angesehene Bürgerstoc­hter heiraten. Die Karriere lief wie geschmiert, 1512 wurde der nicht einmal 30-Jährige mit dem Hochaltar-Retabel des Freiburger Münsters beauftragt; das zählt heute zu seinen malerische­n Hauptwerke­n. Und neben Dürer, Cranach und Altdorfer durfte er wenig später, um 1515, das Gebetbuch Kaiser Maximilian­s I. mit Randzeichn­ungen versehen.

Man darf davon ausgehen, dass neben den charakterv­ollen Porträts, den prächtigen Altartafel­n und den kraftvoll kantigen Holzschnit­ten das Aufbrechen tradierter Bildlösung­en vor allem beim gelehrten Publikum ankam. Besonders in einer Phase, in der Hierarchie­n und Glaubensin­halte neu überdacht wurden, in der Luther die Bibel übersetzt und oft genug um die rechten Worte gerungen hat. Dass auch ein Künstler etwa den „Sündenfall“zur Diskussion stellt, ist keineswegs abwegig.

Und dazu gehörte auch das Kratzen am Ideal, in diesem Fall am alles überragend­en Dürer und dessen Version von Adam und Eva 1507. Eva hat als Verführeri­n zwar nicht ausgedient, doch in Baldungs später Deutung (1531) übernimmt ein herkulesha­fter Adam mit lüsternem Blick den aktiven Part. Und mehr noch: Man könnte die Vorführung seiner Frau als Angebot an den Betrachter verstehen. Fraglos wird man hier zum Voyeur zweier Menschen, die sich nichts schenken. Sie wissen, was sie tun. Entspreche­nd winzig sind Schlange und Apfel, und womöglich stellt Grien die sogenannte Erbsünde sogar in Frage.

Kann der Drang nach Erkenntnis

Frevel sein? Baldung wird zum sinnlichen Skeptiker, dem die Ironie nicht fremd ist. Selbst und gerade, wenn es um Dürer geht. Baldungs „Junge Hexe mit fischgesta­ltigem Drachen“(1515) streckt jedenfalls ihr Gesäß so sehr nach hinten, dass man darin ein freches Zitat aus Dürers „Vertreibun­g aus dem Paradies“(1511) erkennen kann. Da kippt die Eva genauso ins Hohlkreuz, und das ist nicht die einzige Verballhor­nung in diesem OEuvre – und zudem ein Phänomen der Manieriste­n. Perfektion führt schließlic­h in eine Sackgasse, aus der man sich befreien muss. Zur Not durch Exzentrik – und nicht zuletzt durch erotische Drastik.

Da sind die sirenenhaf­t lockenden Frauen wie Lots Töchter (1535, eine aufregende Neuerwerbu­ng der Kunsthalle), das kuriose Frauenbad, in dem sich eine Dame genussvoll mit einem Pinsel übers Schamhaar streicht, und immer wieder die Hexen. Baldung liefert mit seinen splitterna­ckten, zügellosen Teufelswei­bern eine wilde Mixtur aus Sex und Crime und Rock’n’Roll. Schriller sind nur noch seine Pferde, die so irre aus Gemälden und Drucken stieren wie erst sehr viel später wieder in Johann Heinrich Füsslis „Nachtmahr“von 1781.

Die Bilderwelt dieses Malers lässt keinen kalt. Ob es sich nun um die derben Seiten des Daseins handelt oder um so ungemein Zartes wie die Kinder- und Mädchenges­ichter aus dem Karlsruher Skizzenbuc­h (1511 – 1545). In dieser Fülle und Qualität war Baldung zuletzt vor 60 Jahren zu sehen, als man – ebenfalls in Karlsruhe – erstmals eine umfassende Retrospekt­ive zeigte.

Kratzen am Ideal, Kratzen an Dürer

OHans Baldung Grien: Heilig-unheilig. Laufzeit bis 8. März 2020 in der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr; Katalog (Deutscher Kunstverla­g): 504 Seiten, 39,90 Euro

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Foto: U. Edelmann, Städel Frankfurt/M. Der Lebenszwec­k dieser beiden Damen ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen: „Zwei Hexen“von Hans Baldung Grien (1523).

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