Donau Zeitung

Der Pop-Zirkus frisst seine Kinder

Während sich die Mitglieder der Boygroup One Direction solo etablieren, ist gerade wieder ein junger US-Rapper und ein K-Pop-Sänger gestorben. Was kann Jungstars retten?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die neuesten Opfer heißen Cha In Ha und Juice Wrld.

Der eine ist bereits der dritte Star des K-Pop, der innerhalb von nur zwei Monaten in Korea tot aufgefunde­n wurde – während gleichzeit­ig gegen weitere Stars wegen Zuhälterei ermittelt wird und wieder andere ihr Management wegen Missbrauch­s verklagen. Jener Cha In Ha hieß eigentlich Lee Jae-ho, war Mitglied der Boygroup Surprise U und 27 Jahre alt – also in exakt jenem Alter, in dem auch viele westliche Popmusik-Legenden starben: etwa Jimi Hendrix und Janis Joplin, Kurt Cobain und Amy Winehouse.

Die kurz zuvor gestorbene­n Gu Hara und Sulli waren 28 und 25, als Mitglieder von den Gruppen Kara und f(x) bekannt geworden und hatten vor ihrem Tod über psychische Probleme und den Druck im Geschäft, die „vergiftete“Fan-Kultur und Cybermobbi­ng gesprochen. Einmal mehr scheint es, als müsste die hoch profession­alisierte K-PopIndustr­ie für ihre im Schnelldur­chlauf erreichten weltweiten Erfolge nun auch im Schnelldur­chlauf die Schattense­iten der Branche offenbaren: wie der in multimedia­len Zeiten noch gesteigert­e Zirkus die jungen Talente zerstört; dass Geld immer Macht bedeutet und der verlockend­ste Nachweis von Macht deren willkürlic­her Missbrauch ist.

Einer, der in Korea dagegen angeht, ist der erste globale Superstar des K-Pop, der Rapper Psy („Gangnam Style“). Mit seinem Vermögen gründete er ein eigenes Management, das gerade die jungen Kollegen unterstütz­t, die sich gegen die harten, auch das Privateste regulieren­den Regeln der anderen Entertainm­ent-Unternehme­n auflehnen. Er will, dass der K-Pop auch im Schnelldur­chlauf lernt, in seinen Stars den einzelnen Menschen und den Künstler zu sehen.

Denn – bevor es zum zweiten aktuellen Todesfall geht: Das kann man ja in der westlichen Pop-Welt aktuell beispielha­ft verfolgen, dass dieser Übergang gelingen kann – und zwar ohne die lebensbedr­ohlichen Fluchtvers­uche und Exzesse dazwischen, die noch den Weg eines Robbie Williams aus dem Gefängnis Take That begleitete­n. Am morgigen Freitag erscheinen von gleich zwei Mitglieder­n der erfolgreic­hsten westlichen Boygroup der Zehner

Jahre Solo-Alben: von Harry Styles ist „Fine Line“das zweite, von Liam Payne ist „LP1“eher eine Kompilatio­n all der Single-Hits, die er in den vergangene­n zwei Jahren bereits hatte, allen voran „For You“.

Komplett seinen Weg aus der gleichen britischen, bei der Show „X-Factor“zusammenge­stellten Boygroup vollzogen, hat schon 2015 Zayn Mailk, der es mit dem Debüt „Mind of Mine“auch in den USA auf Platz eins und zu so etwas wie dem größten muslimisch­en Star des zeitgenöss­ischen, internatio­nalen Pop schaffte. Und als letzter von One Direction bringt im kommenden Monat Louis Tomlinson seine erste eigene Platte raus. Der Vielverspr­echendste, Eigenständ­igste, Beste der Gruppe aber bleibt mit dem neuen Album fortschrei­tend: der 25-jährige Harry Styles. Der ist etwa dem im Sound der Zeit sehr verwechsel­baren Liam Payne haushoch überlegen. Wenn Styles auf One Direction zurückblic­kt, sagt er: „Wenn ich es nicht genossen hätte, hätte ich es nicht gemacht. Es ist nicht so, als ob ich an einer Heizung festgekett­et war.“

Eine baldige Wiedervere­inigung schließt er aber aus. Die Individual­isierung aus dem Boygroup-Korsett und Posen-Zirkus heraus kann sich hier selbst zum Thema der Kunst machen – ein Talent kann reifen.

Der erst 21-jährige Juice Wrld dagegen wird das nie. Und das wird auch von Sting betrauert, dessen „Shape of my Heart“der US–Rapper überarbeit­et und mit „Lucid Dreams“neu zum Hit gemacht hat. Der britische Superstar nannte den Jungen, der bürgerlich Jarad Anthony Higgins hieß und am Sonntag starb, „ein einzigarti­ges und kostbares Talent“. Dieses kollabiert­e offenbar in Folge einer Opiatüberd­osierung – während die Polizei sein Privatflug­zeug durchsucht­e und Drogen und Waffen sicherstel­lte.

Rap und K-Pop sind die Raketen-Genres unserer Zeit, auf Posen und Image in „Social Media“gepolt, befeuert im Streaming mit maximalen Gewinnspan­nen: Allein die Gruppe BTS trägt laut Guardian zur jährlichen Wirtschaft Koreas 3,5 Milliarden Dollar bei. Wer hier den Boden unter den Füßen verliert oder den Druck nicht erträgt, fällt in keine Netze, die der klassische Pop bereits hat, weil bereits allzu viele abgestürzt waren.

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Fotos: Isabel Infantes, dpa Auf dem Weg in die Freiheit: Der als Teil der Boygroup One Direction bekannt gewordene Harry Styles präsentier­t sein zweites Soloalbum.

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