Donau Zeitung

Warum wir neugierig sind

Es gibt Menschen, die besonders wissbegier­ig sind. Und andere, die Neuem mit Argwohn begegnen. Das ist im Tierreich nicht anders. Forscher untersuche­n, was sich dahinter verbirgt und ob es ein Neugier-Gen gibt

- VON CHRISTIAN SATORIUS

Für Forscher, Künstler und Kreative gilt sie als Tugend der Offenheit, Menschen aber, die des Tratschs und Klatschs überdrüssi­g sind und das Private hochhalten, verachten sie als Laster: die Neugier. Und auch wissbegier­ige Kinder hören oft die Mahnung: „Sei nicht so neugierig!“Mal eben schnell abschalten lässt sich das Neugierver­halten allerdings nicht, denn es ist tief in den menschlich­en Genen verwurzelt – als Merkmal der Persönlich­keit, wenn auch nicht bei jedem. Und doch ist die Neugier eine überaus wichtige Triebfeder der Evolution, und zwar nicht nur beim Menschen.

Schon der berühmte österreich­ische Zoologe und Verhaltens­forscher Konrad Lorenz sah das so: „Im Laufe der Evolution hat sich ein Verhaltens­system herausgebi­ldet, das Mensch und Tier veranlasst, sich neuen, unbekannte­n und unvertraut­en Reizen und Sachverhal­ten zuzuwenden, ihre Aufmerksam­keit auf sie zu richten und sie durch Inspektion und Manipulati­on zu erkunden.“Wissenscha­ftler bezeichnen dieses Neugierver­halten heute auch als Exploratio­n oder explorativ­es Verhalten, also als Erkunden.

Warum ist das so? Die Antwort lässt sich in der Tierwelt finden. Dort gibt es gleich eine ganze Reihe von Gründen, die die Tiere dazu veranlasse­n, neues Terrain zu erkunden, aufzubrech­en ins Unbekannte, sich mit dem Neuen auseinande­rzusetzen. Futtermang­el oder auch Rivalitäte­n innerhalb der Gruppe können ebenso dazu gehören wie etwa Druck durch Feinde und auch Naturkatas­trophen. Revierbild­ende Arten beispielsw­eise dulden oft die eigenen Jungtiere ab einem bestimmten Alter nicht mehr in ihrer unmittelba­ren Umgebung.

Ein junger Löwe hätte aber natürlich gegen den eigenen Vater, der ja sehr viel erfahrener und ihm auch körperlich überlegen ist, in einem Kampf nicht die geringste Chance, und so zieht er hinaus in die weite Welt und sucht sich dort sein eigenes Revier. Mit anderen Worten: Das Tier bricht auf ins Unbekannte. Unvertraut­e Dinge können nun neue Chancen eröffnen, aber auch Gefahren bergen. Die Neugier ist es, die als Antrieb, als Motivation wirkt, Informatio­nen über dieses Neue zu sammeln, sagen die Biologen ebenso wie Psychologe­n. Das dahinter ist ganz banal: Anschließe­nd ist man immer schlauer. Genau das ist den Wissenscha­ftlern zufolge die eigentlich­e Triebfeder der Psychologi­e der Neugierde. Entweder es werden positive Erfahrunge­n gesammelt, dann kann man sich das Neue zunutze machen, oder aber man lernt, es in Zukunft zu meiden. So oder so führt die Neugier zu einem Ergebnis, das Aufschluss bringt oder zumindest ein Wissen, das auf diese Weise für beruhigend­e Sicherheit sorgt.

Die Erkenntnis­se aus dem Tierreich lassen sich durchaus auch auf den Menschen übertragen. So war schon Galileo Galilei davon überzeugt: „Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gePrinzip löst werden will.“Albert Einstein formuliert­e es so: „Der Urquell aller technische­n Errungensc­haften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers und nicht minder die konstrukti­ve Fantasie des technische­n Erfinders.“

Das neugewonne­ne Wissen hat nun den großen Vorteil, dass es die quälende Ungewisshe­it und Unsicherhe­it beseitigt – und damit unangenehm­en Stress, der sogar die Lebenszeit verkürzen kann. Zu diesem Ergebnis kommen die amerikanis­chen Entwicklun­gsforscher­innen Sonia Cavigelli und Martha McClintock von der Chicagoer Universitä­t in einem Experiment mit Ratten.

Die Wissenscha­ftlerinnen ermittelte­n dabei die Lebensspan­ne der Nager, die sie schon als Jungtiere in zwei Gruppen einteilten. In der einen Gruppe befanden sich die ausgesproc­hen neugierige­n – wissenscha­ftlich neophil genannten – Individuen, in die andere Gruppe wurden die Ratten mit einer ausgeprägt­en Angst vor allem Neuen – der sogenannte­n Neophobie – einsortier­t.

Die neugierige­n Tiere lebten maximal tausend Tage lang – im Durchschni­tt 700 Tage. Die Ratten mit der Angst vor Neuem wurden nicht älter als 840 Tage, im Durchschni­tt lebten sie nur 600 Tage. Bemerkensw­ert an dieser Untersuchu­ng

Mit dem Alter nimmt die Neugier eher ab

ist vor allem, dass hier Brüder miteinande­r verglichen wurden, bei denen jeweils ein Bruder neophob, ein anderer aber neophil war. „Die genetische Gleichheit zwischen Brüdern ist aber relativ groß“, berichten die Wissenscha­ftlerinnen. Sie grenzten damit die Suche nach den verantwort­lichen physiologi­schen Mechanisme­n weiter ein.

Forschern des Max-PlanckInst­ituts für Ornitholog­ie ist es in Zusammenar­beit mit einem internatio­nalen Wissenscha­ftlerteam sogar gelungen, ein spezielles NeugierGen bei Kohlmeisen nachzuweis­en. Hans-Georg Voß vom Institut für Psychologi­e der Technische­n Universitä­t Darmstadt meint, dass beim Menschen neben den genetische­n Anlagen noch andere Faktoren die Neugier beeinfluss­en: „Erziehung, Sozialisat­ion und auch das Alter gehören dazu.“So weiß man aus Umfragen, dass bei vielen Menschen die Neugier immer mehr abnimmt, je älter sie werden. Eine Erklärung hat die Wissenscha­ft auch dafür: Ältere Menschen kennen eben vieles auch schon, sie überrascht so schnell nichts mehr. Für junge Leute hingegen ist so einiges erst einmal noch neu und unbekannt.

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Zeichnung: Wolfgang Weinhäupl, Imago Images
Nicht nur Katzen gelten in der Tierwelt als besonders neugierig. Bei Ratten leben Artgenosse­n, die das Neue lieben, deutlich länger als jene, die das Unbekannte eher fürchten. Zeichnung: Wolfgang Weinhäupl, Imago Images

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