Warum wir neugierig sind
Es gibt Menschen, die besonders wissbegierig sind. Und andere, die Neuem mit Argwohn begegnen. Das ist im Tierreich nicht anders. Forscher untersuchen, was sich dahinter verbirgt und ob es ein Neugier-Gen gibt
Für Forscher, Künstler und Kreative gilt sie als Tugend der Offenheit, Menschen aber, die des Tratschs und Klatschs überdrüssig sind und das Private hochhalten, verachten sie als Laster: die Neugier. Und auch wissbegierige Kinder hören oft die Mahnung: „Sei nicht so neugierig!“Mal eben schnell abschalten lässt sich das Neugierverhalten allerdings nicht, denn es ist tief in den menschlichen Genen verwurzelt – als Merkmal der Persönlichkeit, wenn auch nicht bei jedem. Und doch ist die Neugier eine überaus wichtige Triebfeder der Evolution, und zwar nicht nur beim Menschen.
Schon der berühmte österreichische Zoologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz sah das so: „Im Laufe der Evolution hat sich ein Verhaltenssystem herausgebildet, das Mensch und Tier veranlasst, sich neuen, unbekannten und unvertrauten Reizen und Sachverhalten zuzuwenden, ihre Aufmerksamkeit auf sie zu richten und sie durch Inspektion und Manipulation zu erkunden.“Wissenschaftler bezeichnen dieses Neugierverhalten heute auch als Exploration oder exploratives Verhalten, also als Erkunden.
Warum ist das so? Die Antwort lässt sich in der Tierwelt finden. Dort gibt es gleich eine ganze Reihe von Gründen, die die Tiere dazu veranlassen, neues Terrain zu erkunden, aufzubrechen ins Unbekannte, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen. Futtermangel oder auch Rivalitäten innerhalb der Gruppe können ebenso dazu gehören wie etwa Druck durch Feinde und auch Naturkatastrophen. Revierbildende Arten beispielsweise dulden oft die eigenen Jungtiere ab einem bestimmten Alter nicht mehr in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Ein junger Löwe hätte aber natürlich gegen den eigenen Vater, der ja sehr viel erfahrener und ihm auch körperlich überlegen ist, in einem Kampf nicht die geringste Chance, und so zieht er hinaus in die weite Welt und sucht sich dort sein eigenes Revier. Mit anderen Worten: Das Tier bricht auf ins Unbekannte. Unvertraute Dinge können nun neue Chancen eröffnen, aber auch Gefahren bergen. Die Neugier ist es, die als Antrieb, als Motivation wirkt, Informationen über dieses Neue zu sammeln, sagen die Biologen ebenso wie Psychologen. Das dahinter ist ganz banal: Anschließend ist man immer schlauer. Genau das ist den Wissenschaftlern zufolge die eigentliche Triebfeder der Psychologie der Neugierde. Entweder es werden positive Erfahrungen gesammelt, dann kann man sich das Neue zunutze machen, oder aber man lernt, es in Zukunft zu meiden. So oder so führt die Neugier zu einem Ergebnis, das Aufschluss bringt oder zumindest ein Wissen, das auf diese Weise für beruhigende Sicherheit sorgt.
Die Erkenntnisse aus dem Tierreich lassen sich durchaus auch auf den Menschen übertragen. So war schon Galileo Galilei davon überzeugt: „Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gePrinzip löst werden will.“Albert Einstein formulierte es so: „Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers und nicht minder die konstruktive Fantasie des technischen Erfinders.“
Das neugewonnene Wissen hat nun den großen Vorteil, dass es die quälende Ungewissheit und Unsicherheit beseitigt – und damit unangenehmen Stress, der sogar die Lebenszeit verkürzen kann. Zu diesem Ergebnis kommen die amerikanischen Entwicklungsforscherinnen Sonia Cavigelli und Martha McClintock von der Chicagoer Universität in einem Experiment mit Ratten.
Die Wissenschaftlerinnen ermittelten dabei die Lebensspanne der Nager, die sie schon als Jungtiere in zwei Gruppen einteilten. In der einen Gruppe befanden sich die ausgesprochen neugierigen – wissenschaftlich neophil genannten – Individuen, in die andere Gruppe wurden die Ratten mit einer ausgeprägten Angst vor allem Neuen – der sogenannten Neophobie – einsortiert.
Die neugierigen Tiere lebten maximal tausend Tage lang – im Durchschnitt 700 Tage. Die Ratten mit der Angst vor Neuem wurden nicht älter als 840 Tage, im Durchschnitt lebten sie nur 600 Tage. Bemerkenswert an dieser Untersuchung
Mit dem Alter nimmt die Neugier eher ab
ist vor allem, dass hier Brüder miteinander verglichen wurden, bei denen jeweils ein Bruder neophob, ein anderer aber neophil war. „Die genetische Gleichheit zwischen Brüdern ist aber relativ groß“, berichten die Wissenschaftlerinnen. Sie grenzten damit die Suche nach den verantwortlichen physiologischen Mechanismen weiter ein.
Forschern des Max-PlanckInstituts für Ornithologie ist es in Zusammenarbeit mit einem internationalen Wissenschaftlerteam sogar gelungen, ein spezielles NeugierGen bei Kohlmeisen nachzuweisen. Hans-Georg Voß vom Institut für Psychologie der Technischen Universität Darmstadt meint, dass beim Menschen neben den genetischen Anlagen noch andere Faktoren die Neugier beeinflussen: „Erziehung, Sozialisation und auch das Alter gehören dazu.“So weiß man aus Umfragen, dass bei vielen Menschen die Neugier immer mehr abnimmt, je älter sie werden. Eine Erklärung hat die Wissenschaft auch dafür: Ältere Menschen kennen eben vieles auch schon, sie überrascht so schnell nichts mehr. Für junge Leute hingegen ist so einiges erst einmal noch neu und unbekannt.