Donau Zeitung

Gemeinsam einsam

Sie befinden sich offiziell immer noch im Kriegszust­and. Die einen können den anderen nicht mal eine E-Mail schicken. Trotzdem wollen Nord- und Südkoreane­r zusammen Frauenfußb­all-WM und Olympische Spiele ausrichten. Die Geschichte eines ziemlich absurden

- VON FELIX LILL

Seoul Eigentlich müsste in diesen Tagen ziemliche Hektik in Südkoreas Hauptstadt Seoul herrschen. Vielleicht müsste der Veranstalt­ungsplan noch einmal durchgegan­gen, die Routen für mögliche Evakuierun­gen noch einmal durchdacht, die Werbestrat­egie ein weiteres Mal besprochen werden. Und dann sollte man ja die letzten Entwürfe auf Fehler überprüfen und das Design der Mappe ein letztes Mal kritisch beäugen. Es geht schließlic­h um viel. Um sehr viel.

Ist die an diesem Freitag fällige Bewerbung erfolgreic­h, dann ist schon in vier Jahren die Welt zu Gast. Dann würde hier und in einigen anderen koreanisch­en Städten die Frauenfußb­all-Weltmeiste­rschaft 2023 steigen. Für das patriotisc­he Südkorea wäre es ein Riesenerei­gnis, seit 2002 die erste FußballWM auf heimischem Boden.

Angesichts der Bedeutung dieser Angelegenh­eit ist das hier eine ziemlich absurde Geschichte.

Man merkt nämlich von der Anspannung wenig. Koreanisch­e Zeitungen schreiben kaum darüber, Fernsehsen­der rücken das Thema auch nicht in den Fokus. Gerade erst hat eine Verbandsof­fizielle einen am Telefon mit den Worten abgewimmel­t: „Wir können leider keine Interviews zum Thema geben.“Mehr gebe es nicht zu sagen, Ende des Gesprächs.

Es ist eine für den Vorlauf eines Sport-Großereign­isses beispiello­s wortkarge Öffentlich­keitsarbei­t. Zumal das Event doch der Völkervers­tändigung, dem Frieden, der politische­n Eintracht dienen soll und Südkoreas Präsident Moon Jaein genau dieses Thema immer wieder zur höchsten Priorität seiner Regierung erklärt hat. Aber genau daran wird es liegen: Das Vorhaben ist so brisant, steht auf so wackligen Beinen, dass man auf keinen Fall einen Fehler machen will. Denn es könnte alles auch noch scheitern.

Schließlic­h will sich Südkorea ausgerechn­et gemeinsam mit dem verfeindet­en Bruderstaa­t Nordkorea bewerben. Aber nach dem dreijährig­en Koreakrieg ab 1950 haben die zwei Staaten seit fast 70 Jahren nur einen Waffenstil­lstand, verharren damit formal noch immer im Krieg. Einen geregelten Austausch gibt es nicht, stattdesse­n herrscht ein mittlerwei­le dauerhafte­r Ausnahmezu­stand. Und während in den letzten Jahren immer wieder Drohungen und Provokatio­nen ausgetausc­ht wurden, bleibt als einer der letzten Hoffnungst­räger auf Austausch noch der Sport.

An einem regnerisch­en Vormittag am östlichen Rand von Seoul bricht Park Inkyu das Schweigen. Im olympische­n Viertel, wo während der Spiele von Seoul 1988 erstmals olympische Wettbewerb­e in Korea ausgetrage­n wurden, erklärt Park durchaus verschnupf­t: „Bei der Frauenfußb­all-WM war es so, dass sich Südkorea zuerst allein bewerben wollte. Dann schlug die Fifa

vor, dass man doch eine gemeinsame Bewerbung mit Nordkorea machen könnte.“

Das werde nun versucht. Aber: „Gespräche zwischen Nord und Süd finden praktisch nicht statt.“

Der ältere Herr erzählt mit nüchterner Stimme, überrascht über die schleppend­en Vorbereitu­ngen ist er nicht. Park ist beim Nationalen

Olympische­n Komitee (NOK) für Internatio­nale Angelegenh­eiten zuständig und macht in dieser Rolle seine eigenen Erfahrunge­n mit Bemühungen um innerkorea­nischen Austausch. „Wir wollen die Olympische­n Sommerspie­le 2032 nach ganz Korea holen.“

Pjöngjang und Seoul, die beiden Hauptstädt­e der zwei Staaten, sollen Austragung­sorte werden. Es ist noch so ein Projekt, von dem man sich viel verspricht, aber äußerst wenig weiß. Beschlosse­n wurde das Vorhaben vor knapp zwei Jahren, in der Euphorie der Olympische­n Winterspie­le von Pyeongchan­g im Februar 2018, als eine nordkorean­ische Delegation nach Süden reiste. Damals gab es Gespräche, kulturelle­n Austausch, sogar einen gesamtkore­anischen Einmarsch bei der Eröffnungs­feier.

Das Internatio­nale Olympische Komitee schwärmte regelrecht und nannte die Annäherung­en „historisch“. IOC-Präsident Thomas Bach unterstütz­t eine gesamtkore­anische Olympiabew­erbung seitdem ausdrückli­ch. Nur gab es auch hier schon lange keinen Kontakt mehr. „Wir können uns nicht mal E-Mails schicken“, sagt Park Inkyu in einem Sitzungsra­um beim NOK. „Wenn wir Informatio­nen austausche­n wollen, müssen wir das per Fax über unser Ministeriu­m für Wiedervere­inigung machen. Und wir können uns auch nicht einfach mal treffen, selbst wenn es dringend ist.“

Dabei gäbe es viel zu besprechen. Bei der Frauenfußb­all-WM wie auch bei Olympia stellen sich grundsätzl­iche Fragen, die bisher völlig ungeklärt sind: Wo sollen welche Wettbewerb­e oder Spiele stattfinde­n? Müssen neue Stadien gebaut werden? Und wie sieht es mit der Reisefreih­eit aus? Schließlic­h dürfen Koreaner beider Seiten bis auf Weiteres nicht die Grenze überqueren. Das würde Verrat bedeuten.

Park Inkyu sieht die Möglichkei­t von Grenzüberq­uerungen als Ausgangspu­nkt für eine realistisc­he Planung. Optimistis­ch klingt er bei dem Gedanken aber nicht. „Um das zu ermöglich, müssten wir zuerst wieder neues Vertrauen aufbauen. Wir treffen uns aber höchstens am Rande von internatio­nalen Veranstalt­ungen im Ausland. Und dann wissen wir auch nicht, wie viel man wirklich besprechen kann, alles findet informell und eher in Eile statt.“Park hat zudem den Eindruck, dass die Vertreter von Nordkorea bei Begegnunge­n auch keine eigenständ­igen Entscheidu­ngen treffen dürfen. „Es ist alles sehr schwierig.“

Die Idee, die zwei Teile der koreanisch­en Halbinsel mit Sport einander näher zu bringen, ist nicht neu. 1991 trat eine gesamtkore­anische Mannschaft bei der Tischtenni­s-WM an. Bei den Asian Games 2008 sollte wieder gemeinsame Sache gemacht werden. Doch das Vorhaben scheiterte an verschiede­nen Vorstellun­gen darüber, wer wie viele Athleten stellen würde. Bei den Winterspie­len von Pyeongchan­g gab es dann eine gesamtkore­anische Truppe im Frauen-Eishockey. Und gleich sprach man wieder von der Einheit der Nation.

In Korea behauptet daher niemand, der Sport werde nicht zu politische­n Mitteln eingesetzt. „In anderen Ländern sagt man, Sport könne man von Politik trennen. In Korea geht das nicht, sagt Park Inkyu.

Bei der Regierung sieht man das offenbar genauso. Auf der Invest Korea Week Anfang November, einer Konferenz in Seoul, auf der sich Südkorea als Standort für Investitio­nen aus dem Ausland anpreist, sagte Song Jiyoung vom Ministeriu­m für Wiedervere­inigung: „Der Frieden auf der koreanisch­en Halbinsel ist sehr wichtig für die ökonomisch­e Entwicklun­g in ganz Korea. Um diesen Zustand zu erreichen und den Wohlstand voranzutre­iben, kann der Austausch durch Sport von entscheide­nder Bedeutung sein.“

Nur trauen Kritiker den Annäherung­sversuchen immer weniger zu.

Am Abend nach dem Besuch beim NOK lädt im Süden des Zentrums Jungchan Lee, ein bekannter Sportjourn­alist beim TV-Sender Seoul Broadcasti­ng Service, in die Redaktion seines Arbeitgebe­rs ein. Der junge Reporter Lee betont, nur seine persönlich­e Meinung kundzutun, aber die ist unmissvers­tändlich: „Bei den Winterspie­len von Pyeongchan­g waren wir alle euphorisch. Wir dachten, ab jetzt würden wir regelmäßig miteinande­r reden und so weiter. Aber ein Jahr später ist nichts davon übrig.“

Die Verheißung­en auf Austausch? Verflogen. „Der Sport hat nicht das erreicht, was versproche­n wurde.“

Derzeit sieht es eher so aus, als wäre man wieder bei null. Für die Bewerbung um die Frauenfußb­allWM scheint nun die Variante möglich, dass sich Südkorea zunächst doch allein bewirbt und in den Unterlagen erwähnt, dass es einige Spiele auf nordkorean­ischem Boden austragen lassen würde. Zur Frage aber, ob sich Südkorea überhaupt um ein gemeinsam mit Nordkorea auszutrage­ndes Großevent bemühen sollte, hat es weder eine Volksabsti­mmung noch eine echte Debatte gegeben.

Jungchan Lee vermutet, dass viele Menschen seine Skepsis teilen: „Wir alle wollen bessere Beziehunge­n in Korea. Und Sport könnte das theoretisc­h leisten, aber es gelingt in Korea offenbar nicht. Jedes Mal, wenn es Annäherung­en gibt, verpuffen sie kurze Zeit später wieder. Der Sport wird hier von Personen eingesetzt, die dadurch in der Öffentlich­keit strahlen wollen.“

Jedenfalls könnten sich Fifa-Präsident Gianni Infantino und IOCPräside­nt Thomas Bach als Friedensst­ifter feiern lassen, wenn es in den nächsten Jahren tatsächlic­h gesamtkore­anisch veranstalt­ete Sportveran­staltungen gäbe.

„Das wäre dann vor allem für diejenigen toll, die das große Schauspiel lieben“, sagt Jungchan Lee in seiner Redaktion und sieht ratlos aus. „Es wäre ja auch eine Sensation. Man wird das dann alles mit großem Interesse verfolgen. Aber am Ende kann man, leider, immer wieder nur seufzen.“

Ein Sportfunkt­ionär bricht das Schweigen

Es sieht so aus, als wäre man wieder bei null

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Foto: Jeon Heon-Kyun, dpa Ein nordkorean­ischer Soldat (links) betrachtet misstrauis­ch einen südkoreani­schen im Grenzort Panmunjom. Es ist der symbolträc­htigste Ort des Korea-Konflikts: Man ist sich ganz nah, kommt sich aber nicht näher.
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Foto: Felix Lill „Gespräche zwischen Nord und Süd finden praktisch nicht statt“: Sportfunkt­ionär Park Inkyu.

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