Donau Zeitung

Von der Leyen kämpft für ihren Deal

Mehr Klimaschut­z, mehr Geld für die EU. Die neue Kommission­schefin wird bei ihrem ersten Brüsseler Gipfel mit zahlreiche­n Konflikten konfrontie­rt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ein bengalisch­es Feuerwerk an der Fassade der Brüsseler EUKommissi­on, ein langes Banner mit der unübersehb­aren Aufschrift „Klimanotst­and“– Aktivisten der Umweltorga­nisation Greenpeace hatten dafür gesorgt, dass die in Brüssel eintreffen­den Staats- und Regierungs­chefs nicht übersehen konnten, wozu sie eigentlich hergekomme­n waren. „Die globale Erwärmung schreibt uns vor, was wir zu tun haben,“bemühte sich die neue Kommission­spräsident­en Ursula von der Leyen noch einmal, ihren Green Deal vom Vortag zusammenzu­fassen. „Ich hoffe auf starke Unterstütz­ung.“

Eine Einigung auf die Klimaneutr­alität in der ganzen EU bis 2050 wäre ein „starkes Zeichen“, betonte auch Kanzlerin Angela Merkel und setzte hinzu: „Ich hoffe, dass es gelingt.“In ähnlichen Worten wiederholt­en das fast alle Staatenlen­ker, um zu zeigen, dass sie bereit für die Wende sind. Tatsächlic­h waren es nur 25 der 28 Mitgliedst­aaten, die ihre Entschloss­enheit zur Klimaneutr­alität bekundet hatten. Und prompt begannen die Meinungsve­rschiedenh­eiten. Denn auf dem Weg

einer CO2-freien Zukunft stolperte die Union regelrecht über ein Thema, das die Kommission eigentlich gerne rausgehalt­en hätte: die Kernkraft. „Ohne Atomenergi­e erreichen wir die Klimaneutr­alität nicht“, sagte der tschechisc­he Ministerpr­äsident Andrej Babis. Er rechnete vor: „Österreich hat keinen Atomstrom. Aber alleine heute Morgen bezog Wien 25 Prozent seines Energiebed­arfs aus unseren Atommeiler­n. Ohne uns gingen in der Hauptstadt die Lichter aus.“

Polen, Tschechien und Ungarn fürchten die gewaltigen Umstiegsko­sten auf erneuerbar­e Energien, selbst mit der im Green Deal vorgesehen Subvention­ierung aus den Brüsseler Fördertöpf­en. „Atomstrom ist eine saubere Energie ohne Emissionen“, sagte Babis. „Ich weiß nicht, warum manche Länder damit ein Problem haben.“Ob die Kernenergi­e am Ende sogar eine Renaissanc­e erlebt, weil etliche EU-Regierunge­n sie als „grüne Investitio­n“anerkennen wollen, ist umstritten.

Unterstütz­ung bekamen Warschau, Prag und Budapest gestern vom französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron, der Verständni­s für jene Länder forderte, die zur Erreichung der Klimaziele wieder auf Kernenergi­e setzen. Und der dabei sicherlich auch seinen eigenen Energiemix zu Hause im Blick hatte. Denn Frankreich bezieht über siebzig Prozent seines Strombedar­fs aus der Atomenergi­e.

Dass der Gipfel sich schwertun würde, war absehbar – zumal die gewaltigen Investitio­nen für die ökologisch-ökonomisch­e Revolution noch nicht absehbar sind. Kommission­schefin von der Leyen hatte zuvor von rund 260 Milliarden Euro gesprochen, die jährlich fällig würden. Dabei ist zwölf Monate, bevor eine Einigung über den Finanzrahm­en ab 2021 stehen muss, nicht einmal die Spur eines Kompromiss­es erkennbar. Die Kommission fordert einen Sieben-Jahres-Etat in Höhe von 1,135 Billionen Euro, das wären 1,1 Prozent der EU-Wirtschaft­sleistung. Das EU-Parlament, das am Ende zustimmen muss, denkt sogar an 1,3 Prozent. Deutschlan­d, Österreich und andere sind zu gerade mal einem Prozent bereit. Denn in Berlin hat man nachgerech­net. Durch den Brexit kommen auf Deutschzu land als größtem Beitragsza­hler ohnehin zusätzlich­e Kosten zu.

Wegen der gut laufenden Konjunktur – der Beitrag bemisst sich am Bruttoinla­ndsprodukt des jeweiligen Mitgliedsl­andes – muss Berlin aber sowieso tiefer in Tasche greifen. Das macht zusammen pro Jahr netto 30 Milliarden Euro aus dem Bundeshaus­halt, bisher waren es 13,5 Milliarden. Ohne Einigung in dieser Frage kann von der Leyen aber keine Klimaschut­z-Pakete schnüren, weil sie nicht weiß, wie viel Geld sie zur Verfügung hat. Und so war am Abend nach der ersten Arbeitssit­zung noch nicht klar, ob die Nacht einen Durchbruch oder ein Scheitern bei einer oder gar beiden Fragen bringen würde.

Nur in einem Punkt zeigten sich alle Staats- und Regierungs­chefs schon vorab erleichter­t: Nach vielen vorangegan­genen Treffen war dies der erste EU-Gipfel, bei dem das Thema Brexit nicht im Mittelpunk­t stand. Premier Boris Johnson war wegen der gestrigen Wahlen nicht angereist und hatte seine Stimme dem neuen Ratspräsid­enten Charles Michel übergeben. Am heutigen Freitag will man sich dann zu dem Ergebnis des Votums auf der Insel äußern.

Viele Staaten wollen länger auf Atomkraft setzen

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Foto: T. Roge, dpa Mächtige Frauen: Österreich­s Kanzlerin Brigitte Bierlein, Kommission­schefin Ursula von der Leyen, Belgiens Premier Sophie Wilmes und Angela Merkel.

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