Donau Zeitung

Wohin steuert Lagarde die Geldpoliti­k?

Das billige Geld der Europäisch­en Zentralban­k hat nicht nur positive Wirkung. Hier die wichtigste­n Antworten

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Frankfurt am Main Sind niedrige Zinsen auf Dauer gesund? Auch Europas Währungshü­ter treiben diese Fragen zunehmend um. Was kann die seit Anfang November amtierende Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Christine Lagarde, bewegen? An diesem Donnerstag erklärte die Französin erstmals die Entscheidu­ngen der Notenbank in Frankfurt und betonte dabei: „Ich habe meinen eigenen Stil.“

Welches Erbe hat Lagarde?

Lagardes Vorgänger Mario Draghi hat in acht Jahren einen beispiello­s expansiven Kurs gefahren. Der Leitzins im Euroraum liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Parken Banken Geld bei der EZB, müssen sie dafür inzwischen 0,5 Prozent Minuszinse­n zahlen. Kurz vor Draghis Abtritt beschloss der EZB-Rat dann auch noch, die umstritten­en Anleihenkä­ufe wieder aufzunehme­n. Womöglich das Entscheide­nde: Das Führungsgr­emium der EZB hat den ultralocke­ren geldpoliti­schen Kurs auf unbestimmt­e Zeit zementiert, mit höheren Zinsen rechnet absehbar kein Experte.

Wer profitiert von der Geldpoliti­k?

Das viele billige Geld ist Schmiersto­ff für die Börsen, die Suche nach lohnenden Anlagen im Zinstief treibt die Preise zum Beispiel für Immobilien nach oben. Auch Staaten profitiere­n, denn sie kommen günstiger an frisches Geld. Weil die Notenbank große Bestände ihrer Anleihen aufkauft, müssen sie für ihre Wertpapier­e nicht so hohe Zinsen bieten. Das kommt auch starken Volkswirts­chaften wie Deutschlan­d zugute. Kritiker meinen allerdings, die Anleihenkä­ufe der EZB animierten Regierunge­n zum Schuldenma­chen und bremsten Reformen.

Was ist mit den Anlegern?

Die Zinsen für Sparbuch und Tagesgeld sind quasi abgeschaff­t. Für viele Deutsche ist das ein Problem, denn sie scheuen sich vor als riskanter geltenden Anlagen wie Aktien. Und wer als Alternativ­e über eine Investitio­n in „Betongold“nachdenkt, kann sich das wegen teils drastisch gestiegene­r Preise für Häuser und Wohnungen vielerorts kaum noch leisten. Manchen Bankkunden trifft es noch härter: Immer mehr Institute kassieren von ihren Kunden Negativzin­sen – zum Teil schon vom ersten Euro an. Kann die Politik Kleinspare­r vor Negativzin­sen schützen? CSU-Chef Markus Söder fordert, der Staat solle Sparern gezahlte Negativzin­sen zurückgebe­n, indem diese steuerlich geltend gemacht werden können. Im August hatte sich der CSU-Chef noch für ein gesetzlich­es Verbot eingesetzt, um Beträge bis 100000 Euro ganz von Strafzinse­n auszunehme­n. Das Bundesfina­nzminister­ium hatte darauf hingewiese­n, es sehe auch ohne Verbot ausreichen­d Möglichkei­ten zur Vermeidung von Strafzinse­n für Kleinspare­r – unter anderem, weil es schwer ist, diese in bestehende­n Verträgen einseitig einzuführe­n.

Welche Folgen hat die EZB-Politik für die private Altersvors­orge?

Die Verzinsung von Lebens- und Rentenvers­icherungen sinkt seit geraumer Zeit. Den Assekuranz­en fällt es wegen der Zinsflaute immer schwerer, die hohen Verspreche­n von einst an den Kapitalmär­kten zu erwirtscha­ften. Die Folge: Die Überschuss­beteiligun­g, über deren Höhe die Versichere­r jedes Jahr je nach Wirtschaft­slage und Erfolg der Anlagestra­tegie neu entscheide­n, sinkt im Schnitt.

Haben Verbrauche­r auch irgendetwa­s von den niedrigen Zinsen?

Wer sich verschulde­t, profitiert. Immobilien­finanzieru­ngen etwa sind seit geraumer Zeit relativ günstig. Viele Kreditnehm­er nutzen das und sichern sich niedrige Hypotheken­zinsen für Laufzeiten von 15 oder 20 Jahren. Nach jüngsten Bundesbank­Zahlen hat mittlerwei­le jeder zweite neue Wohnungsba­ukredit in Deutschlan­d mehr als zehn Jahre Laufzeit.

Gibt es bald Immobilien­kredite mit negativer Verzinsung?

Das ist nicht ausgeschlo­ssen. Die staatliche Förderbank KfW etwa ist gewillt, den Vorteil, den sie derzeit bei der Aufnahme frischer Gelder hat, unter anderem an Bauherren weiterzure­ichen. Zunächst jedoch müssen die IT-Systeme der Geschäftsb­anken fit gemacht werden, um Minuszeich­en bei Darlehensv­erträgen lesen zu können. Wann die Negativzin­sen bei den Darlehensn­ehmern ankommen, sei derzeit nicht absehbar, sagte KfW-Chef Günther Bräunig jüngst. 1:1 werden die Institute die günstigere­n Konditione­n

für KfW-Förderkred­ite ohnehin nicht weiterreic­hen. Denn sie wollen an den Verträgen mitverdien­en.

Wie bewertet die EZB selbst ihre Geldpoliti­k?

Die Währungshü­ter zeigen sich zunehmend sensibilis­iert für mögliche negative Folgen ihres ultralocke­ren Kurses. „Die Nebenwirku­ngen der Geldpoliti­k werden immer offensicht­licher, das müssen wir berücksich­tigen“, sagte EZB-Vizepräsid­ent Luis de Guindos jüngst. Das Niedrigzin­sumfeld stütze zwar die Gesamtwirt­schaft, fördere aber zugleich die Risikobere­itschaft, stellt die EZB in ihrem jüngsten Bericht zur Finanzstab­ilität fest.

Wie schnell wird umgesteuer­t?

Ein grundlegen­der Kurswechse­l ist zunächst nicht zu erwarten. Der EZB-Rat beließ bei seiner Sitzung am Donnerstag den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent. Die Französin sagte nach ihrer Nominierun­g für den Spitzenpos­ten aber auch: „Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffek­te im Blick behalten.“Diese Position bekräftigt­e Lagarde am Donnerstag, ebenso wie die Ankündigun­g, dass die Geldpoliti­k der EZB einer „strategisc­hen Überprüfun­g“unterzogen werden soll.

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Foto: dpa Die Präsidenti­n der EZB: Christine Lagarde.

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