Tödliche Neckereien
Verkehr Ein Mann wird bei einem Unfall im Unterallgäu von einer Zaunlatte durchbohrt und stirbt. In einem Prozess wird nun deutlich, wie es zu dem Unglück gekommen ist – und welche Rolle ein weiterer Autofahrer spielte
Memmingen Es ist etwa sechs Uhr morgens am 28. März dieses Jahres, als zwei Autos ein Firmengelände in Bad Wörishofen im Unterallgäu verlassen. In einem sitzt ein 35-Jähriger mit drei Arbeitskollegen, in dem anderen ein heute 22-Jähriger. Die fünf Männer haben gerade ihre Nachtschicht beendet und sind auf dem Weg nach Hause. Einer von ihnen kommt dort nicht mehr an: Der 35 Jahre alte Familienvater stirbt, weil sein Auto von der Straße abkommt, einen Zaun rammt und er von einer Holzlatte tödlich verletzt wird. Seine drei Mitfahrer bleiben so gut wie unversehrt – zumindest körperlich.
Die Bilder ihres sterbenden Arbeitskollegen bekommen sie nicht mehr aus dem Kopf. Das wird in ihren Aussagen vor dem Memminger Amtsgericht am Donnerstag deutlich. Auf der Anklagebank sitzt ihr Arbeitskollege, der Fahrer des anderen Autos. Laut Anklage soll sich der 22-Jährige mit dem späteren Opfer ein Rennen geliefert haben.
Seit April sitzt der junge Mann in Untersuchungshaft. Allein für das illegale Autorennen, das ihm die Staatsanwaltschaft nach dem neuen „Raserparagrafen“vorwirft, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Zudem soll der 22-Jährige ohne gültigen Führerschein unterwegs gewesen und nach dem Unfall geflüchtet sein, ohne sich um seine verunglückten Arbeitskollegen gekümmert zu haben. Erst gut 500 Meter weiter stellte er sein Auto ab und kam zu Fuß zurück zum Unfallort.
Dass der 22-Jährige seinen albanischen Führerschein nicht fristgerecht in eine deutsche Fahrerlaubnis hatte umschreiben lassen, stand vor Gericht auch aufgrund seines Geständnisses schnell fest. Deutlich schwieriger war es hingegen, Antworten auf andere Fragen zu finden: Was war genau vor dem Unfall geschehen? Hatten sich die beiden Männer ein Rennen geliefert? Waren sie schneller gewesen als erlaubt oder hatten sie sich an die Verkehrsregeln gehalten?
Am Ende eines mehrstündigen Prozesses kam das Gericht – ebenso wie Staatsanwaltschaft und Verteidigung – zu dem Schluss: Ein Autorennen war es nicht, das dem tödlichen Unfall vorausgegangen war. Dazu habe der Wettbewerbscharakter zwischen beiden Fahrern gefehlt. Beiden war es nicht darum gegangen, eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen. Sie hielten sich an die jeweiligen Tempolimits.
Unschuldig am Tod des Familienvaters ist der 22-Jährige in den Augen des Gerichts dennoch nicht: Auf der knapp 15 Kilometer langen Strecke bis zum Unfallort hatte der junge
Mann mehrfach den hinter ihm fahrenden Älteren zum Überholen provoziert, indem er sein Tempo verringert hatte; jedes Mal, als der 35-Jährige zu überholen begann, drückte der Jüngere aufs Gaspedal und zog wohl auch nach links. „Neckereien“nannte der Angeklagte sein Verhalten, „kleine Neckereien, die zu einem tragischen Unfall geführt haben“. Er wisse, dass er das nicht wiedergutmachen könne. Als beide Fahrer versuchten, ein weiteres, vor ihnen fahrendes Auto zu überholen, zog der 22-Jährige nach links und touchierte den Wagen des 35-Jährigen – mit fatalen Folgen. Er habe die Gefahr erkannt und billigend in Kauf genommen, sagte der Richter zu dem sichtlich betroffenen Angeklagten und verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten.