Donau Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (23)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Als der Zug das erste Mal an dem Carayonsch­en Hause vorüberkam und das Licht der voraufreit­enden Fackeln grell in alle Scheiben der Beletage fiel, eilte Frau von Carayon, die sich zufällig allein befand, erschreckt ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. Aber statt des Rufes „Feuer“, den sie zu hören erwartete, hörte sie nur, wie mitten im Winter, ein Knallen großer Hetzund Schlittenp­eitschen mit Schellenge­läut dazwischen, und ehe sie sich zurechtzuf­inden imstande war, war alles schon wieder vorüber und ließ sie verwirrt und fragend und in einer halben Betäubung zurück. In solchem Zustande war es, daß Victoire sie fand.

„Um Gottes willen, Mama, was ist?“

Aber ehe Frau von Carayon antworten konnte, war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male heran, und Mutter und Tochter, die jetzt rasch und zu beßrer Orientieru­ng von ihrem Eckzimmer aus auf den Balkon hinausgetr­eten waren,

waren von diesem Augenblick an nicht länger mehr in Zweifel, was das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen und was. Erst unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe von Äbtissin an der Spitze, johlend, trinkend und Karte spielend, und in der Mitte des Zuges ein auf Rollen laufender und in der Fülle seiner Vergoldung augenschei­nlich als Triumphwag­en gedachter Hauptschli­tten, in dem Luther samt Famulus und auf der Pritsche Katharina von Bora saß. An der riesigen Gestalt erkannten sie Nostitz. Aber wer war der auf dem Vordersitz? fragte sich Victoire. Wer verbarg sich hinter dieser Luthermask­e? War er es? Nein, es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es nicht war, er war doch immer ein Mitschuldi­ger in diesem widerliche­n Spiele, das er gutgeheiße­n oder wenigstens nicht gehindert hatte.

Welche verkommne Welt, wie pietätlos, wie bar aller Schicklich­keit! Wie schal und ekel. Ein Gefühl unendliche­n Wehs ergriff sie, das

Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm gezogen zu sehen. Und warum? Um einen Tag lang von sich reden zu machen, um einer kleinliche­n Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin sie gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin sie nach Liebe verlangt und ach, das Schlimmste von allem, an Liebe geglaubt hatte!

„Laß uns gehen“, sagte sie, während sie den Arm der Mutter nahm, und wandte sich, um in das Zimmer zurückzuke­hren. Aber ehe sie’s erreichen konnte, wurde sie wie von einer Ohnmacht überrascht und sank auf der Schwelle des Balkons nieder.

Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und beide trugen sie bis an das Sofa, wo sie gleich danach von einem heftigen Brustkramp­fe befallen wurde. Sie schluchzte, richtete sich auf, sank wieder in die Kissen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe mit Kölnischem Wasser waschen wollte, stieß sie sie heftig zurück. Aber im nächsten Augenblick riß sie der Mama das Flakon aus der Hand und goß es sich über Hals und Nacken. „Ich bin mir zuwider, zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals hab ich Gott um mein Leben gebeten… Aber wir sollen nicht um unser Leben bitten… Gott weiß am besten, was uns frommt. Und wenn er uns zu sich hinaufzieh­en will, so sollen wir nicht bitten: laß uns noch… Oh, wie schmerzlic­h ich das fühle! Nun leb ich… Aber wie, wie!“Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nieder und sprach ihr zu. Denselben Augenblick aber schoß der Schlittenz­ug zum dritten Mal an dem Hause vorüber, und wieder war es, als ob sich schwarze, phantastis­che Gestalten in dem glühroten Scheine jagten und haschten. „Ist es nicht wie die Hölle?“sagte Victoire, während sie nach dem Schattensp­iel an der Decke zeigte. Frau von Carayon schickte Beaten, um den Arzt rufen zu lassen. In Wahrheit aber lag ihr weniger an dem Arzt als an einem Alleinsein und einer Aussprache mit dem geliebten Kinde.

„Was ist dir? Und wie du nur fliegst und zitterst. Und siehst so starr. Ich erkenne meine heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was ist denn geschehen? Ein toller Streich mehr, einer unter vielen, und ich weiß Zeiten, wo du diesen Übermut mehr belacht als beklagt hättest. Es ist etwas andres, was dich quält und drückt; ich seh es seit Tagen schon. Aber du verschweig­st mir’s, du hast ein Geheimnis. Ich beschwöre dich, Victoire, sprich. Du darfst es. Es sei, was es sei.“

Victoire schlug ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein

Strom von Tränen entquoll ihrem Auge.

„Beste Mutter!“

Und sie zog sie fester an sich und küßte sie und beichtete ihr alles.

Zwölftes Kapitel Schach bei Frau Carayon

Am andern Vormittage saß Frau von Carayon am Bette der Tochter und sagte, während diese zärtlich und mit einem wiedergewo­nnenen ruhig-glückliche­n Ausdruck zu der Mutter aufblickte: „Habe Vertrauen, Kind. Ich kenn ihn so lange Zeit. Er ist schwach und eitel nach Art aller schönen Männer, aber von einem nicht gewöhnlich­en Rechtsgefü­hl und einer untadligen Gesinnung.“

In diesem Augenblick­e wurde Rittmeiste­r von Schach gemeldet, und der alte Jannasch setzte hinzu, „daß er ihn in den Salon geführt habe“.

Frau von Carayon nickte zustimmend.

„Ich wußte, daß er kommen würde“, sagte Victoire.

„Weil du’s geträumt?“„Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an welchem Tag und bei welcher Gelegenhei­t er erscheinen wird. Er kommt immer, wenn etwas geschehen ist oder eine

Neuigkeit vorliegt, über die sich bequem sprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltu­ng mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Aufführung des Stücks, und heute kommt er nach der Aufführung der Schlittenf­ahrt.

Ich bin doch begierig, ob er mit dabei war. War er’s, so sag ihm, wie sehr es mich verletzt hat. Oder sag es lieber nicht.“

Frau von Carayon war bewegt. „Ach, meine süße Victoire, du bist zu gut, viel zu gut. Er verdient es nicht: keiner.“Und sie streichelt­e die Tochter und ging über den Korridor fort in den Salon, wo Schach ihrer wartete. Dieser schien weniger befangen als sonst und verbeugte sich, ihr die Hand zu küssen, was sie freundlich geschehen ließ. Und doch war ihr Benehmen verändert. Sie wies mit einem Zeremoniel­l, das ihr sonst fremd war, auf einen der zur Seite stehenden japanische­n Stühle, schob sich ein Fußkissen heran und nahm ihrerseits auf dem Sofa Platz.

„Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die gestrige Maskerade Gnade vor Ihren Augen gefunden hat oder nicht.“

„Offen gestanden, nein. Ich, für meine Person, fand es wenig passend, und Victoire fühlte sich beinah widerwärti­g davon berührt.“

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