Sie verleiht der Geschichte ein Gesicht
Die Sängerin Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz. Heute tritt sie mit Rappern auf und kämpft gegen das Vergessen. Ihr Alter scheint keine Rolle zu spielen
Womit soll man anfangen? Mit ihrer täglichen Angst, jetzt die Nächste zu sein? Die Nächste, die vom berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele aussortiert und in die Gaskammer von Auschwitz-Birkenau geschickt wird? Oder doch mit der Musik, die ihr in jener Zeit das Leben gerettet hat und auch heute noch ein bemerkenswerter Teil ihres Lebens ist, wenn sie mit den Rappern von „Microphone Mafia“durch die Schulen tourt? Als nunmehr 95-Jährige, wohlgemerkt.
Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, zumal bei Esther Bejarano das eine zwangsläufig mit dem anderen zusammenhängt. Längst ist die am 15. Dezember 1924 als Esther Loewy geborene Jüdin eine Symbolfigur gegen das Vergessen der Nazi-Schreckensherrschaft, nunmehr auch eine der letzten Zeitzeuginnen. Seitdem sie das Konzentrationslager Auschwitz und später noch die Todesmärsche aus dem Lager in Ravensbrück (Brandenburg) überlebt hat, kämpft sie gegen den Faschismus. Und das eben mit ihrer Musik, indem sie bis heute als Sängerin auf der Bühne steht. „Wer tritt denn mit 94 Jahren noch mit einer Rapperband auf – das gibt es nur einmal“, sagte die Holocaust-Überlebende jetzt vor ihrem Geburtstag stolz. Esther Bejarano gibt der Geschichte noch bundesweit ein Gesicht. „Meine Generation stirbt langsam aus. Daher habe ich auch so wahnsinnig viel zu tun.“
Zu ihrer Geschichte gehört auch, dass sie mit 15 Jahren eigentlich auf die Ausreise nach Palästina vorbereitet werden sollte. Das Lager wurde zu Kriegsbeginn geschlossen. Mit ihren Eltern lebte sie Ende der 30er Jahre in Neu-Ulm. Der Vater hatte Ende 1936 eine Stelle als Kantor in Ulm gefunden. Die junge Esther lernte Klavierspielen, sang und steppte wie Shirley Temple auf Veranstaltungen des jüdischen Kulturbunds. Der Vater hatte sie schon früh für die Musik begeistert.
Statt ein neues Leben in Palästina beginnen zu können, schickten sie die Nazis zur Zwangsarbeit nach Brandenburg. Esther Bejarano musste in einem FleuropBlumenladen in Fürstenwalde
arbeiten, bis sie 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Anfangs verrichtete die junge Frau dort schwerste Arbeit, später durfte sie ins KZ-Mädchenorchester wechseln. Sie bekam ein Akkordeon. Obwohl sie noch nie eines in der Hand hatte, beherrschte die Klavierspielerin das Instrument sofort – und rettete so vermutlich ihr Leben. „Ich sagte mir: Ich muss das unbedingt schaffen, sonst gehe ich zugrunde“, berichtet sie. Aber sie sah, wie die anderen Häftlinge in die Gaskammern geschickt wurden. „Es war furchtbar.“
Erst nach dem Krieg erfuhr sie, dass ihre Eltern in einem Lager in Kaunas (Litauen) „einfach abgeknallt“wurden, wie sie es ausdrückt. Ruth, eine ihrer Schwestern, starb in Auschwitz. Erst recht Gründe, warum sie sich so engagiert – bis heute.