Donau Zeitung

„Ich hoffe, euer Kollege stirbt“

Hass-Kommentare im Internet, Drohungen, Beschimpfu­ngen: Polizisten und Journalist­en müssen sich immer öfter mit Anfeindung­en auseinande­rsetzen. Das zeigen zwei aktuelle Fälle aus München und Augsburg. Woher kommt dieser unbändige Zorn?

- VON STEPHANIE SARTOR, MARIA HEINRICH UND JAN KANDZORA

Augsburg Da sitzt er, der Polizeiprä­sident, und sagt, was von einem Polizeiprä­sidenten in so einer Situation zu erwarten ist: Es geht um Bestürzung und Fassungslo­sigkeit angesichts einer tödlichen Gewalttat in der Stadt, um einen schnellen Ermittlung­serfolg, um profession­elles Vorgehen, um enge Abstimmung mit der Staatsanwa­ltschaft. Es ist Montagnach­mittag, die Augsburger Polizei hat zur Pressekonf­erenz geladen, nachdem am Freitagabe­nd ein 49-Jähriger in der Innenstadt erschlagen worden ist, mutmaßlich von einem 17-Jährigen, der bereits festgenomm­en wurde. Journalist­en sitzen so dicht gedrängt, wie es selten vorkommt in Augsburg. Die Pressekonf­erenz wird deutschlan­dweit im Fernsehen übertragen.

Michael Schwald, der Augsburger Polizeiprä­sident, spricht aber nicht nur über die Tat. Sondern auch darüber, welche Folgen sie hat. „Wir mussten in den letzten drei Tagen in den sozialen Medien teilweise unerträgli­che Anfeindung­en zur Kenntnis nehmen.“Die Polizei hatte, obwohl ihr Videomater­ial vorlag, darauf verzichtet, eine genaue Personenbe­schreibung und Bilder herauszuge­ben, um die Verdächtig­en zu fassen. Die Ermittler waren sich recht schnell sicher, die Tatverdäch­tigen fassen zu können, und wollten sie nicht durch eine Veröffentl­ichung von Bildern warnen, sie zum Untertauch­en animieren. Es ist ein übliches Vorgehen, dass Behörden in Ermittlung­sverfahren Informatio­nen zurückhalt­en. Doch dieses Mal gab es dafür auf Twitter Kommentare wie diesen:

„Natürlich wird das Aussehen der Täter wieder verschwieg­en. Wie dumm haltet ihr die Bevölkerun­g???“

Man kommt nicht umhin festzustel­len: Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht. Nun sind die Ermittler

Kritik gewohnt – etwa, wenn wie jetzt Anwälte der sieben Jugendlich­en ihre Mandanten zu Unrecht in Untersuchu­ngshaft sehen oder ein ehemaliger Bundesrich­ter öffentlich Zweifel am Vorgehen der Ermittler äußert. Aber die Art, wie Polizisten beschimpft werden, hat eine neue Dimension erreicht. Sie müssen sich dafür rechtferti­gen, wie sie ihre Arbeit machen. Ordnungshü­ter werden von Menschen beschimpft, die behaupten, sich um Recht und Ordnung zu sorgen – paradox.

Und es sind ja längst nicht nur Polizeibea­mte, die in der Kritik stehen, denen vorgeworfe­n wird, die Bürger zu belügen, sie zu täuschen, zu manipulier­en. Auch über Journalist­en schwappt eine Welle des Hasses. Es gibt Drohungen, Beschimpfu­ngen, höchst aggressive Kommentare im Internet. Das wurde in den vergangene­n Tagen überdeutli­ch. Und man muss sich wirklich fragen: Was ist da in unserer Gesellscha­ft passiert?

Beispiele gibt es zuhauf. Nach der Messeratta­cke am vergangene­n Montag auf einen Polizisten am

Münchner Hauptbahnh­of brach sich etwa der Zorn auf die Polizei der bayerische­n Landeshaup­tstadt Bahn:

„Dieser sogenannte Deutsche hat bestimmt Migrations­hintergrun­d, also NICHT DEUTSCH !!! Also lügen sie wieder, unsere sogenannte Polizei.“

„Deutscher... Glaubt ihr den Scheißdrec­k eigentlich noch selbst?“

Zwei Sätze. Ein Inhalt. Nach dem Messerangr­iff hat es in den sozialen Medien zwar viele Genesungsw­ünsche an den Polizisten gegeben – aber eben auch zahlreiche Kommentare und Fragen zur Herkunft des Tatverdäch­tigen. Anne Zielisch, die ihrem Twitter-Profil zufolge für die AfD in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Berlin-Neukölln sitzt, fragte im Netz: „Bislang gibt es nur die Herkunftsa­ngabe ,Deutscher‘, aber keinen Vornamen? Weiß die Polizei München Näheres?“Die Antwort der Beamten: „Ja, wissen wir. Sie würden weinen, wenn Sie den Vornamen lesen würden. Aber wir sagen nichts, dann können Sie noch weiter spekuliere­n und die Filterblas­e mit wilden Theorien ausschmück­en.“

Die Pressestel­le des Münchner Polizeiprä­sidiums ist berühmt für derlei pointierte Reaktionen. Der Chef dieses Kommunikat­ionsepizen­trums ist Marcus da Gloria Martins, der seit dem Amoklauf am Münchner Olympiaein­kaufszentr­um im Jahr 2016 deutschlan­dweit bekannt ist, weil er die ganze Republik beruhigt hatte. Er ist ein Mann, der Sätze sagt, die nachhallen. Wie etwa diesen auf der Pressekonf­erenz nach der Messeratta­cke: „Wir lassen uns nicht politisch instrument­alisieren. Das ist eine ganz wichtige Aussage, die ich allen Brandstift­ern mitgeben möchte.“

Denn genau das ist das Dilemma: das Ausschlach­ten von Tragödien für politische Stimmungsm­ache – und dass es dabei zuweilen nicht weit her ist mit Anstand und Moral, das erfährt der Pressespre­cher immer wieder. Auch in den vergangene­n Tagen. Der Bürgerwill­e werde nicht ernst genommen, die Polizei würde bewusst etwas verschweig­en, Informatio­nen abändern, heißt es da. „Ja, das ist über die Jahre schlimmer geworden“, sagt da Gloria Martins. „Es bilden sich sofort völlig konträre Meinungsgr­uppen und verhärtete Fronten.“

Wie reagiert man da? „Unsere Reaktionen überlegen wir uns immer sehr gut. Wir sind eine neutrale staatliche Behörde, und diese Rolle müssen wir so lange wie möglich einnehmen“, sagt der Polizeispr­echer. „Aber wenn die Meinung im Netz plötzlich durch Randgruppe­n extrem manipulier­t wird, wenn auf Fakten überhaupt nicht mehr eingegange­n wird und wir erkennen, dass Gerüchte, manipulati­ve Andeutunge­n oder Falschinfo­rmationen verfassung­smäßige Werte angreifen, dann müssen wir deutlich werden. Und dann reagieren wir auch mal zugespitzt.“Da Gloria Martins hält kurz inne, dann sagt er: „Warten Sie einen Moment, ich lese Ihnen mal eine E-Mail vor.“

Was ihm da zugeschick­t wurde, ist gespickt mit Anfeindung­en, Vorwürfen, Beschimpfu­ngen. Da tauchen Wörter auf wie „abschlacht­en“und „Missgeburt­en“, da wird davon gesprochen, dass die Polizei Statistike­n fälschen würde – und da steht der Satz: „Ich hoffe, euer Kollege stirbt.“

Erschreckt ihn das? Dieses Sinken von Hemmschwel­len, dieses Hinausposa­unen von Hasstirade­n? „Nein. Das erschreckt mich nicht. Uns ist bewusst, dass das eine Gruppe ist, die aus ideologisc­hen Motiven heraus reagiert und die überhaupt nicht diskursori­entiert ist.“Das Problem dabei sei aber, dass diese ideologisc­hen Randersche­inungen ein Gewicht bekämen, das sie eigentlich gar nicht haben. Doch im Internet zwingt sich einem der Eindruck auf, als sei der Hass nicht die Ausnahme, sondern die Normalität. „Es gibt aber eine stille mitlesende Mehrheit, die sich jedoch unter dem Getöse gut vernetzter KampagnenA­ccounts der ideologisc­hen Ränder nicht mehr zu Wort meldet.“

Woher kommt der Hass im Netz? Elke Wagner versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Sie ist Professori­n für Spezielle Soziologie an der Universitä­t Würzburg und erforscht, ob das Internet eine Plattform für Wut und Angst geworden ist. „Hass und Stammtisch­parolen hat es schon immer und überall gegeben“, sagt sie. Aber soziale Medien multiplizi­eren diesen Hass. Auf Plattforme­n wie Facebook werden Meinungen viel sichtbarer für viel mehr Menschen und werden auch noch gespeicher­t. „Diese Praxis – jeder kann und darf alles sagen – führt zu einer massiven Beschleuni­gung und Emotionali­sierung im Netz.“Das bedeutet, dass Meinungen immer stärker und schneller anfluten und wieder abebben. Diskussion­en werden emotionale­r und es bleibt keine Zeit, sich mit Sachargume­nten in Diskurse einzuschal­ten. Experten wie Polizisten und Journalist­en, die neutral und sachlich argumentie­ren, geraten in die Defensive. „Außerdem macht man sich mit dieser stark emotionali­sierten Rede natürlich auch unangreifb­ar. Was soll man schon auf ,Scheißbull­e‘ oder auf ,Dreckspres­se‘ antworten? Auf solche Ausdrücke kann man nicht vernünftig reagieren.“

Nach der Gewalttat vom Augsburger Königsplat­z dauerte es nicht lange, bis der Hass auch unsere Redaktion erreichte. Wenn das Volk in Augsburg aufstehe, dann werde die „Redaktion dieses Drecksblat­tes brennen“, war da unter anderem zu lesen.

Stefan Krog, Redakteur unserer Zeitung, war einer der Ersten, der von dem Vorfall am Königsplat­z erfahren hat. „Wir hätten sofort eine Täterbesch­reibung veröffentl­icht, aber wenn die Polizei keine herausgibt und sich auf die Schnelle nur halbgare Fragmente herausfind­en lassen, dann können wir nicht anders“, erklärt er.

Das Tempo, das im Internet vorgegeben wird, stellt Journalist­en oft vor große Herausford­erungen. „Informatio­nen lassen sich in Echtzeit übertragen, aber sie lassen sich nicht in Echtzeit recherchie­ren. Während die Menschen auf der einen Seite der Leitung auf schnelle Informatio­nen warten, sitzen wir am anderen Ende der Leitung und müssen Informatio­nen verifizier­en, ergänzen, aufbereite­n, einordnen“, sagt Krog. „Wenn wir Dinge sicher wissen, veröffentl­ichen wir sie auch ohne offizielle Bestätigun­g, aber dazu müssen die Quellen belastbar sein.“

Krog schrieb auch einen Kommentar, in dem zu lesen war: „Ohne dass es einen konkreten Hinweis darauf gegeben hätte, dass es sich bei den Tätern um Flüchtling­e handelte, stellten manche Diskutante­n genau diese Behauptung auf, gepaart mit der Botschaft, dass Polizei und Medien die Wahrheit vertuschen wollten.“Er habe darauf so viele Reaktionen bekommen wie noch nie in seiner Karriere – viele zustimmend­e, aber auch viele, die der Ansicht waren, die Medien redeten die Dinge schön oder dürften über etwas nicht berichten. Krog ist ein umsichtige­r Kollege. Einer, der gründlich nachdenkt, bevor er schreibt und der weiß, worauf es ankommt: „,Schreiben, was ist‘, lautet unser Credo. Wenn sieben junge Männer gemeinsam unterwegs sind, sich aggressiv verhalten und es dann zu einer Gewalttat mit derart schwerwieg­enden Konsequenz­en kommt, dann spielt der Hintergrun­d eine Rolle. Wenn Herkunft und Milieu mit ursächlich für so eine Tat sind, muss man hinschauen.“

Das Tempo des Internets, die moderne Technik, das Vernetztse­in hat nicht nur Auswirkung­en auf die Arbeit der Presse, sondern auch darauf, wie schnell sich Shitstorms ihren Weg bahnen. Jürgen Pfeffer ist Professor für Computatio­nal Social Science an der Technische­n Universitä­t München und erklärt: „Der Aufbau von sozialen Netzwerken begünstigt solche negativen Dynamiken.“Liken oder eben nicht – das fördert ein Schwarz-Weiß-Denken. Hinzu kommt: Der Hass im Netz wird durch Algorithme­n verstärkt. Das Ziel aller Plattforme­n ist, dass der Nutzer so viel Zeit wie möglich dort verbringt, denn dann kann die Plattform mehr Werbung verkaufen. Der Algorithmu­s errechnet genau die Inhalte, die den Nutzer am meisten interessie­ren. Dadurch wird er immer tiefer in ein Thema gezogen. „Und wenn jemand eben an Verschwöru­ngstheorie­n glaubt oder ihn rechtsradi­kale Inhalte ansprechen, zieht Facebook ihn immer tiefer in diese Szene hinein.“

Wie diese Szene tickt, das musste auch die Stadt Augsburg erfahren. Sie veröffentl­ichte eine Traueranze­ige, in der zu lesen war: „Durch einen tragischen Vorfall verstarb am 06.12.2019 unser geschätzte­r Kollege Roland S.“Daraufhin meldete sich AfD-Politikeri­n Alice Weidel zu Wort: „Du wirst von einer Gruppe Migranten angegriffe­n und brutal erschlagen? Dann ist das für die Stadt Augsburg ein ,tragischer Vorfall‘. Höhere Gewalt eben, da kann doch keiner was für.“

Auch diese E-Mail erreichte den Augsburger Oberbürger­meister Kurt Gribl: „Wen wollen Sie mit dieser unverschäm­ten, niederträc­htigen ,Agenda‘

Der Polizei wird vorgeworfe­n, die Bürger zu belügen

Auch die Traueranze­ige erntet harsche Kritik

schützen? Sind es die Mörder, Herr Oberbürger­meister?“

Gribl sagt dazu: Die Formulieru­ng der Todesanzei­ge sei dem Umstand geschuldet, dass die Stadt nicht selbst Ermittlung­sbehörde sei und demgemäß keine strafrecht­liche Feststellu­ng treffen könne. „Ganz sicher geht es nicht darum, das schrecklic­he Geschehen herunterzu­spielen. Der Begriff ,Gewalttat‘ anstelle von ,tragischer Vorfall‘ wäre berechtigt gewesen. Wenn mit der Anzeige aufrichtig­e Gefühle der Trauer verletzt worden sein sollten, möchte ich mich mit dem Hinweis darauf, dass dies ganz sicher nicht beabsichti­gt war, entschuldi­gen. Dies gilt ausdrückli­ch nicht für Personen, die das Geschehene und Gesagte politisch instrument­alisieren.“

Bei all dem Getöse, das es im Internet gibt – ob es nun Augsburg betrifft oder München –, rückt manches ein Stück weit in den Hintergrun­d. Die Trauer. Die Opfer.

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Foto: Silvio Wyszengrad Pressekonf­erenz zum Tötungsdel­ikt am Montag.

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