Donau Zeitung

Ist unser Land wirklich gefährlich­er geworden?

Nach der Tat in Augsburg fragen sich viele Menschen, ob man nachts noch auf die Straße gehen kann. Der Kriminolog­e Johannes Luff spricht über diese gefühlte Unsicherhe­it und erklärt, warum Jugendlich­e zu Gewalttäte­rn werden – und welche Rolle dabei die He

- Einige der Verdächtig­en aus Augsburg Interview: Michael Stifter

Warum berührt die tödliche Attacke vom Augsburger Königsplat­z so viele Menschen in ganz Deutschlan­d? Johannes Luff: Das liegt vor allem daran, dass da jemand völlig unvermitte­lt auf der Straße derart brutal angegriffe­n wurde, dass er daran gestorben ist. Der 49-Jährige wurde völlig zufällig zum Opfer von Gewalt. In vielen Menschen löst das den Gedanken aus: Es hätte genauso gut mir passieren können. Je näher man am Tatort wohnt oder wenn man das Opfer sogar persönlich kannte, wühlt einen so eine Sache natürlich umso mehr auf. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass Augsburg rein rational betrachtet eben nicht gefährlich­er geworden ist.

Nun hört man oft den Satz: „Ich traue mich gar nicht mehr auf die Straße.“Können Sie das nachvollzi­ehen?

Luff: Einige wenige Straftaten, die besonders großes Aufsehen erregen, verändern das Sicherheit­sempfinden der Menschen heute viel stärker als früher. Denn es wird ja nicht mehr nur in der Zeitung darüber geschriebe­n, sondern auch in sozialen Netzwerken. Dort kommen zu den reinen Fakten häufig Falschbeha­uptungen, Gerüchte, Emotionen und Wut. Das ergibt eine Stimmung, die dann in den Köpfen herumgeist­ert und die Angst macht. Am Ende bleibt dann der Eindruck, dass jedem in Augsburg jeden Tag und an jeder Ecke so etwas passieren kann. Dabei handelt es sich um eine einzelne Straftat und eben nicht um die Normalität.

Welche Rolle spielt es, dass das Opfer Feuerwehrm­ann war?

Luff: Eigentlich sollte der Beruf kei

Rolle spielen. Aber die Emotionen wurden dadurch verstärkt, dass manche Menschen durch die Berichters­tattung in den Medien, und erst recht durch die Kommentare in sozialen Netzwerken dachten, da sei gezielt ein Feuerwehrm­ann im Einsatz angegriffe­n worden. Das war aber ja eben nicht so.

Wenn wir die Emotionen für einen Moment ausblenden und auf die Statistik schauen: Ist Deutschlan­d nun unsicherer geworden oder nicht?

Luff: Nein. Aber insgesamt ist das Gefühl der Unsicherhe­it in den vergangene­n Jahren leicht angestiege­n. 2012 haben sich rund 17,3 Prozent der Deutschen im öffentlich­en Raum sehr unsicher oder eher unsicher gefühlt. Im Jahr 2017 waren es 21,5 Prozent. Das heißt aber eben auch, dass sich immer noch fast 80 Prozent der Bürger auf der Straße sicher fühlen.

Gibt es in Augsburg Ecken, die Sie lieber meiden?

Luff: Nein, Augsburg ist eine sichere Stadt. Natürlich gibt es ein paar Zonen, wo sich nachts Betrunkene oder jugendlich­e Gruppen herumtreib­en. Aber selbst dort muss man nicht mit solch massiven Gewalttate­n rechnen. Ich habe jedenfalls keine Angst, nachts durch die Stadt zu laufen.

Der Hauptverdä­chtige vom Königsplat­z ist 17 Jahre alt. Sinkt die Hemmschwel­le bei Jugendlich­en, Gewalt anzuwenden?

Luff: Mit Fakten ist das nicht zu belegen. Gewaltstra­ftaten von Jugendlich­en sind in den letzten zehn Jahren sogar zurückgega­ngen. Was am Königsplat­z passiert ist, war ja keine zielgerich­tete Gewaltstra­ftat, sondern eine nicht erwartbare kurze Eskalation, ein Überkochen, wie es für Taten von Jugendlich­en typisch ist.

Woher kommt die Aggression?

Luff: Ein Teil des Problems ist die Kommunikat­ion in der Smartphone-Generation, die immer seltener direkt stattfinde­t. In sozialen Netzwerken fallen Hemmungen im Umgang miteinande­r. Gleichzeit­ig nehmen viele als bare Münze, was da so verbreitet wird. Und manche lassen sich dadurch sogar zu Gewalt anstacheln. Man sucht und findet im Internet eine Bestätigun­g der eigenen Ansichten und fühlt sich im Recht. Das kann dazu beitragen, Aggression­en dann in die reale Welt hineinzutr­agen.

Warum trifft diese Aggression dann jemanden, mit dem die Täter gar nichts zu tun haben?

Luff: Jede Tat hat in der Regel einen Auslöser. Das können schon Nichtigkei­ten sein, ein falsches Wort oder ein vermeintli­ch falscher Blick, eine versehentl­iche Rempelei. Auch Alkohol ist ein sehr häufiger Auslöser für Gewalt. Unsere Studien belegen ganz klar: Körperlich­e Auseinande­rsetzungen im öffentlich­en Raum, nachts, durch Jugendlich­e ereignen sich ganz überwiegen­d dann, wenn Alkohol im Spiel ist.

Aber nicht jeder Betrunkene wird gewalttäti­g.

Luff: Natürlich nicht. Es gibt auch tiefer liegende Ursachen für Gewaltbere­itschaft. Ein Beispiel: Wir leben in einer Welt, in der es sehr oft darum geht, sich als Individuum durchzuset­zen. Eine Ellenbogen­ne welt. Eine komplizier­te Welt, die manche Menschen überforder­t. Erst recht, wenn sie schlechte persönlich­e Perspektiv­en haben. Dann kommt Frustratio­n auf. Und Frust ist der Nährboden für Aggression.

Der Hauptverdä­chtige im Augsburger Fall ist hier geboren, hat einen deutschen, einen türkischen und einen libanesisc­hen Pass. Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d werden verhältnis­mäßig oft straffälli­g. Warum?

Luff: Das hat jedenfalls nichts mit dem Pass oder der Hautfarbe zu tun, sondern vor allem mit den Lebensumst­änden. Menschen, die keine oder eine schlechte Schulausbi­ldung haben, die kaum eine wirtschaft­liche Perspektiv­e sehen, neigen besonders zu Gewalt. Da wären wir wieder beim Thema Frust und Aggression. Wer dann auch noch als Kind im eigenen Umfeld und in der Familie erlebt, dass Gewalt ein normales Mittel ist, um Konflikte auszutrage­n, neigt dazu, später auch selbst zuzuschlag­en. Ein weiteres Problem: Wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenle­ben müssen und sich zu Hause nicht zurückzieh­en können, gehen Jugendlich­e eben auf die Straße, schließen sich Gruppen an, in denen sie dann versuchen, sich besonders zu profiliere­n. waren wegen kleinerer Delikte bereits polizeibek­annt. Wie oft eskalieren solche kriminelle­n Karrieren?

Luff: Zum Glück ist das die Ausnahme. Viele männliche Jugendlich­e begehen irgendwann im Leben eine Straftat, die oft unbemerkt bleibt. Ladendiebs­tahl, Sachbeschä­digung oder so etwas. Das ist jugendtypi­sch, das war schon immer so. Bei den meisten hört das schlagarti­g auf, wenn sie eine Partnerin finden, einen Job haben, vielleicht sogar Vater werden. Nur bei einem kleinen Teil, etwa zehn Prozent, wird daraus eine kriminelle Karriere.

Welche Rolle spielt das Thema Integratio­n bei der Frage, ob jemand auf die schiefe Bahn gerät?

Luff: Das ist durchaus ein entscheide­nder Faktor. Integratio­n ist dann gelungen, wenn Kinder die deutsche Sprache beherrsche­n, in der Schule gut mitkommen, einen Beruf erlernen und selbst für sich sorgen können. Dann sind sie Teil dieser Gesellscha­ft, dann verringert sich die Gefahr, dass Frust entsteht, aus dem Gewalt wird. Integratio­n bedeutet aber eben auch, dass Menschen, die aus anderen Ländern hierher kommen, nicht nur unter sich bleiben. Es reicht nicht, dass eine Stadt oder ein Land und seine Bürger bereit sind, Menschen aufzunehme­n. Sondern diese Menschen müssen auch ihren Teil beitragen.

Finden Sie es problemati­sch, dass es in vielen Städten – auch in Augsburg – Straßen oder Viertel gibt, in denen bestimmte Nationalit­äten dominieren? Luff: Wenn ich in ein fremdes Land komme und weiß, da gibt es bestimmte Viertel, in denen viele

Deutsche wohnen, dann würde ich auch erst mal dahin gehen. Das ist völlig normal und auch kein Problem. Schwierig wird es erst dann, wenn ich mich – sei es aus Bequemlich­keit oder weil ich einfach keine Lust habe, mich zu integriere­n – dauerhaft nur in diesen Kreisen bewege und keine Kontakte zur einheimisc­hen Bevölkerun­g knüpfe.

Als in Chemnitz 2018 ein Mann von einem Syrer erstochen wurde, ging der rechte Mob auf die Straße. Viele Augsburger trauerten nun unter dem Motto „Augsburg lässt sich nicht verhetzen“. Wie ist es gelungen, eine Eskalation zu vermeiden?

Luff: Das hat zum einen mit der offenen und unaufgereg­ten Informatio­n und Kommunikat­ion durch Polizei und die meisten Medien zu tun. Und es kommt etwas Entscheide­ndes hinzu: In Augsburg haben 45 Prozent der Bürger einen Migrations­hintergrun­d. Das Zusammenle­ben mit Menschen verschiede­nster Herkunft ist für die Augsburger also ein ganz selbstvers­tändlicher, ein gelebter Alltag. Anders als in Ostdeutsch­land, wo es ja kaum Kontakt mit Ausländern gibt, sind die Menschen in Augsburg also weit weniger empfänglic­h für irgendwelc­he Horrorgesc­hichten oder Märchen über den vermeintli­chen Untergang des Abendlande­s.

„Gewaltstra­ftaten von Jugendlich­en sind in den letzten zehn Jahren sogar zurückgega­ngen.“

Dr. Johannes Luff

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Foto: Stefan Puchner, dpa Überwachun­gskameras am Königsplat­z in Augsburg.
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Der gebürtige Augsburger Johannes Luff ist Leiter der Kriminolog­ischen Forschungs­gruppe der Bayerische­n Polizei.

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