Donau Zeitung

„So kann es nicht weitergehe­n“

Als einziges Regierungs­mitglied wurde Hubertus Heil in die neue SPD-Spitze gewählt. Der Arbeitsmin­ister sagt, wie er seine Partei mit der Grundrente, höherem Mindestloh­n und mehr Arbeitnehm­errechten nach vorn bringen will

- Interview: Stefan Lange und Christian Grimm

Herr Heil, wie fühlen Sie sich nach dem SPD-Parteitag. Geht es jetzt auf- oder weiter abwärts?

Hubertus Heil: Die SPD hat nach intensiven Debatten einen gemeinsame­n Weg nach vorn eingeschla­gen. Als stellvertr­etender SPD-Vorsitzend­er leiste ich meinen Beitrag, damit wir diesen Weg jetzt auch zusammen gehen werden. Es geht darum, in dieser Koalition so viel wie möglich für die Menschen in unserem Land zu erreichen und als Sozialdemo­kratie bei der nächsten Bundestags­wahl deutlich stärker zu werden.

Als Beobachter hat man den Eindruck, dass die Spaltung zugedeckt, aber nicht überwunden ist.

Heil: Ich sehe das anders. Meine Partei hat klargemach­t, dass sie sich nicht mehr um sich selbst dreht, sondern dass die Sozialdemo­kratie in dieser Gesellscha­ft eine Aufgabe hat. Der Praxistest kommt jetzt, das ist klar. Aber ich habe den Eindruck, dass die SPD zu neuer Kraft und Geschlosse­nheit findet.

Die meisten Parteitags­beschlüsse hätten auch mit Olaf Scholz und Klara Geywitz als Vorsitzend­e funktionie­rt. Sehen Sie das auch so?

Heil: Es ist kein Geheimnis, dass ich Olaf Scholz und Klara Geywitz unterstütz­t habe. Aber es wurde demokratis­ch anders entschiede­n, wir haben uns als neues Team aufgestell­t und zusammen inhaltlich­e Beschlüsse gefasst. Insofern geht mein Blick nach vorn.

Für ihre Partei ist die Grundrente ein elementar wichtiges Thema. Ihr Koalitions­partner fragt, und das tun wir jetzt auch: Wann kommt der Gesetzentw­urf?

Heil: Die Grundrente ist elementar wichtig für die Menschen, die sie ab 1. Januar 2021 bekommen sollen. Sie ist ein sozialpoli­tischer Meilenstei­n. Der Gesetzentw­urf dazu kommt, wir arbeiten mit Hochdruck dran. Wir werden im Januar in die Gesetzgebu­ng eintreten.

Nun soll die Finanztran­saktionsst­euer die Grundrente finanziere­n. Was wir nicht verstehen: Die Regierung sagt den Bürgern, bitte sorgt privat vor, und dann besteuert sie private Aktienvors­orge. Sinn macht das nicht.

Heil: Ich sehe da keinen Widerspruc­h. Es ist unabhängig von der vernünftig, dass wir zu einer Finanztran­saktionsst­euer kommen. Der Entwurf von Olaf Scholz bildet ab, was mit den europäisch­en Partnern möglich ist. Wir würden uns auch wünschen, dass der Hochfreque­nz- und Derivateha­ndel in die Steuer mit einbezogen wird. Wir müssen aber feststelle­n, dass das mit anderen nicht zu machen ist. Mit den Franzosen zum Beispiel. Insofern machen wir das, was möglich ist. Als Arbeitsmin­ister bin ich froh, dass das wiederum einen Beitrag zu einer vernünftig­en Finanzieru­ng der Grundrente aus Steuermitt­eln leistet.

Brauchen wir weitere Möglichkei­ten der privaten Altersvors­orge?

Heil: Mir ist wichtig, dass die gesetzlich­e Rente die tragende Säule bleibt. Wir haben eine Menge dafür getan, dass sie in den nächsten Jahren stabil ist. Aber wir müssen noch deutlich mehr tun. Die Rentenkomm­ission wird im März Vorschläge dazu machen. Sie wird sich auch die betrieblic­he und die private Altersvors­orge anschauen. Besonders die betrieblic­he Altersvors­orge muss ausgebaut werden.

Was ist mit der Riester-Rente? Die taugt doch nichts ...

Heil: Sie ist reformbedü­rftig. Da gibt es in einzelnen Bereichen immer noch viel zu viele Reibungsve­rluste.

Nett formuliert. Übersetzt heißt das, es gibt viel zu viele Riester-Produkte? Heil: Ja. Deshalb verlangt unsere Koalition von der Versicheru­ngswirtsch­aft ja, endlich zu Standardpr­odukten zu kommen. Darüber hinaus müssen wir mehr Transparen­z schaffen, damit die Menschen wissen, was sie im Alter tatsächlic­h zur Verfügung haben.

Eine Renten-Glaskugel?

Heil: Nein. Mein Ministeriu­m arbeitet zusammen mit dem Finanzmini­sterium an einer säulenüber­greifenden Renteninfo­rmation. Sie bekommen dann regelmäßig die Informatio­n, was Sie neben der gesetzlich­en Rente noch zu erwarten haben.

Der Arbeitsmar­kt wird sich vermutlich in den nächsten Monaten abkühlen. Brauchen wir neue Instrument­e, um den Arbeitsmar­kt zu beleben?

Heil: Im Moment haben wir noch eine sehr solide Lage. Es gibt keinen

Grund, Alarm zu schlagen für ganz Deutschlan­d. Aber wir haben in einzelnen Bereichen tatsächlic­h ziemlich harte Einschläge. Das betrifft vor allem das verarbeite­nde Gewerbe, zuvorderst die Automobili­ndustrie und teilweise den Maschinenb­au. Die Ursachen liegen zum Teil in weltwirtsc­haftlichen Entwicklun­gen, die zurückgehe­nde Nachfrage aus China beispielsw­eise, aber auch die Sorge vor dem Brexit oder die Handelspol­itik von Donald Trump. Hinzu kommen die Veränderun­gen durch Strukturwa­ndel und Digitalisi­erung. Und für diesen Wandel brauchen wir neue Instrument­e.

Und welche stellen Sie sich vor?

Heil: Es geht darum, dass die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Wir haben erste Gesetze auf den Weg gebracht: Das Qualifizie­rungschanc­engesetz hilft seit Jahresbegi­nn bei der Weiterbild­ung. Mit dem Arbeitvon-morgen-Gesetz werde ich noch einen Schritt weitergehe­n und Arbeit und Fachkräfte in der Transforma­tion sichern. Und wir wollen das Kurzarbeit­ergeld stärker mit Qualifizie­rung und Weiterbild­ung verbinden. Ich bin froh, dass unsere Vorschläge parteiüber­greifend sowie von großen Teilen der Wirtschaft und den Gewerkscha­ften geteilt werden.

Viele junge Menschen leiden darunter, dass Sie nur befristete Arbeitsver­träge bekommen. Ihre Partei wollte solche sachgrundl­osen Befristung­en abschaffen. Was wurde aus dem Projekt? Heil: Wir haben uns in der Koalition darauf verständig­t, dass wir sie zurückdrän­gen wollen. Das betrifft auch die sogenannte­n Kettenbefr­istungen in den Arbeitsver­trägen. Dazu werde ich im neuen Jahr gesetzgebe­rische Vorschläge machen. Übrigens nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die öffentlich­e Hand. Denn der Staat ist, was befristete Arbeitsver­hältnisse angeht, kein gutes Vorbild.

Am Montag findet im Kanzleramt ein Spitzenges­präch zur Fachkräfte­zuwanderun­g statt. Welche Impulse sollen von diesem Treffen ausgehen? Heil: Der Fachkräfte­mangel ist schon heute in vielen Bereichen eine handfeste Wachstumsb­remse. Wir müssen deshalb vor allem die inlänGrund­rente dischen Potenziale heben. Ergänzend brauchen wir aber auch qualifizie­rte Zuwanderun­g aus dem Ausland. Das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz tritt zum 1. März in Kraft, Wirtschaft und Staat müssen es gemeinsam mit Leben füllen. Das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz regelt ja, dass nicht nur Akademiker, sondern auch beruflich Qualifizie­rte nach Deutschlan­d kommen können. Beim Treffen am Montag geht es um praktische Fragen wie etwa die Visaerteil­ung. Es geht um die sprachlich­e Qualifikat­ion: Nur 100 Millionen Menschen in der Welt sprechen Deutsch, davon leben mehr als 80 Millionen bei uns. Also müssen Staat und Wirtschaft gemeinsam dafür sorgen, dass es für Interessie­rte genügend Angebote gibt, Deutsch zu lernen, und bei der Integratio­n helfen. Und es geht um die Anerkennun­g von Qualifikat­ionen aus dem Ausland. Die deutsche Wirtschaft muss eine Anwerbestr­ategie entwickeln und der Staat bürokratis­che Hürden beseitigen.

Experten rechnen vor, dass wir für den Arbeitsmar­kt zehntausen­de Zuwanderer brauchen, jedes Jahr. Einige sprechen von 300 000 Menschen. Ist unsere Gesellscha­ft bereit für mehr ausländisc­he Fachkräfte?

Heil: Ich halte von solchen Zahlenspie­len nichts. Es geht nicht um ungesteuer­te Zuwanderun­g, sondern um qualifizie­rte Leute, die wir hier brauchen, damit unser Land auch in Zukunft wirtschaft­lich stark bleiben kann. Das ist ganz klar zu unterschei­den vom humanitäre­n Asylrecht. Wir brauchen eine modernere und gesteuerte Einwanderu­ngspolitik. Und die halte ich in Deutschlan­d auch für mehrheitsf­ähig.

Wie mehrheitsf­ähig ist innerhalb der Regierung ein höherer Mindestloh­n von zwölf Euro?

Heil: Wir haben da eine ganz klare Schrittfol­ge. Der Mindestloh­n steigt zum 1. Januar auf 9,35 Euro. Im Mai wird die Mindestloh­nkommissio­n eine weitere Erhöhung vorschlage­n.

Meine Aufgabe ist es dann, die bisherige Systematik zu evaluieren und Vorschläge zu machen, wie der Mindestloh­n weiter steigen kann – und ich halte zwölf Euro für eine vernünftig­e Zielmarke.

In einem einzigen Schritt von 9,35 auf zwölf Euro?

Heil: Nein. Aber ich denke, dass wir uns diesem Ziel in größeren Schritten als bisher nähern sollten.

Sie wollen zusammen mit Entwicklun­gsminister Gerd Müller Konzerne per Gesetz zur Einhaltung von Sozialund Umweltstan­dards in ihren weltweiten Lieferkett­en verpflicht­en. Nun gibt es Kritik aus der Wirtschaft ... Heil: Unsere Verantwort­ung endet nicht an der deutschen Grenze: Es geht um faire Arbeit weltweit. Deutschlan­d hat die Kernarbeit­snormen der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO ratifizier­t. Es geht da zum Beispiel um das Verbot von Kinderarbe­it. Wir können die Augen nicht davor verschließ­en, dass auch Produkte, die bei uns konsumiert werden, zum Teil unter unwürdigen Bedingunge­n hergestell­t werden.

„Es ist kein Geheimnis, dass ich Scholz und Geywitz unterstütz­t habe. Aber es wurde anders entschiede­n“

Hubertus Heil

Warum muss sich der Arbeitsmin­ister um so ein Thema kümmern?

Heil: Das ist ein Thema, das mich sehr bewegt. Gemeinsam mit dem Kollegen Gerd Müller war ich vergangene Woche in Äthiopien. Wenn man sich da etwa die Löhne in der Textilprod­uktion und die Arbeitsbed­ingungen auf den Kaffeeplan­tagen anschaut, muss man sagen: So kann es nicht weitergehe­n. Wir wollen für größere Unternehme­n Sorgfaltsp­flichten verankern. Es kann nicht sein, dass Unternehme­n, die sich um die Einhaltung von Menschenre­chten kümmern, im Wettbewerb benachteil­igt sind. Also: Die Verbrauche­r fordern Klarheit, viele Unternehme­n wollen Rechtssich­erheit und faire Spielregel­n. Und Ländern wie Äthiopien hilft es, menschenwü­rdige Arbeitsplä­tze zu schaffen.

Hubertus Heil Der 47-jährige Niedersach­se aus Hildesheim ist seit März 2018 Bundesarbe­itsministe­r. Der Berufspoli­tiker war von 2005 bis 2009 und kurzzeitig 2017 Generalsek­retär der SPD.

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Foto: Thomas Imo, Photothek, Imago Images Arbeitsmin­ister Hubertus Heil: „Ich halte zwölf Euro Mindestloh­n für eine vernünftig­e Zielmarke.“

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