Donau Zeitung

Einer gegen Erdogan

Die neue Partei des früheren Ministerpr­äsidenten Davutoglu wird für den Präsidente­n zur ernsten Herausford­erung. Beide werfen sich gegenseiti­g Korruption vor. Selbst die Witwe eines engen Beraters schließt sich den AKP-Gegnern an

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Nihal Olcok müsste eigentlich eine Vorzeige-Frau für die türkische Regierungs­partei AKP sein. Sie trägt das Kopftuch der frommen Musliminne­n, ihr Mann war ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan; er starb beim Widerstand gegen den Putschvers­uch von 2016 und gilt deshalb als „Märtyrer“. Doch seine Witwe hat sich dem früheren Ministerpr­äsidenten Ahmet Davutoglu angeschlos­sen, der am Freitag seine „Zukunftspa­rtei“als Konkurrent­in der AKP offiziell vorstellt. Hat Erdogan den Herausford­erer Davutoglu anfangs noch belächelt, so hat er inzwischen die Gefahr erkannt. Zwischen Erdogan und seinem ehemaligen Berater Davutoglu ist der Krieg eröffnet.

Olcok ist eine von 35 Frauen unter den 154 Gründungsm­itgliedern von Davutoglus islamisch-konservati­ver Zukunftspa­rtei, deren Logo das grüne Blatt einer Platane zeigt; die Platane ist in der Türkei ein Symbol von Größe und Überlegenh­eit, Grün ist die Farbe des Islam. Davutoglu will enttäuscht­e AKPAnhänge­r um sich versammeln, die von Erdogans autokratis­chem Kurs und der Korruption der Regierungs­partei die Nase voll haben.

Davutoglu und der ehemalige Vizepremie­r Ali Babacan, der noch vor Jahresende eine liberal-konservati­ve Partei gründen will, könnten von der Verbitteru­ng vieler Wähler profitiere­n. Nach einer neuen Umfrage fühlt sich derzeit jeder dritte Türke politisch heimatlos.

Für Nihal Olcok äußert sich der moralische Bankrott der AKP vor allem in der Verlogenhe­it über die langjährig­e Partnersch­aft mit der Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen. AKP und Gülen-Bewegung hatten gemeinsam gegen die Vorherrsch­aft der alten säkularen Eliten in der Türkei gekämpft, sich dann aber überworfen. Heute gilt Gülen als Drahtziehe­r des

Putschvers­uches von 2016 und als Staatsfein­d Nummer Eins. Von der früheren Zusammenar­beit will die Regierung nichts mehr wissen, hat aber zehntausen­de Menschen unter dem Verdacht der Sympathie mit Gülen ins Gefängnis werfen lassen.

Mit drastische­n Worten klagt Olcok die AKP an: Die Partei habe sich von Gülen „schwängern lasKritike­r sen“, beim Putschvers­uch eine „Abtreibung mit dem Blut der Märtyrer“vollzogen und stolziere heute wieder als „Jungfrau“durchs Land. Die Worte treffen die AKP schwer. Olcoks Mann Erol war einer der Architekte­n von Erdogans Wahlerfolg­en; sein Tod erschütter­te Erdogan auch persönlich. Dass ausgerechn­et Nihal Olcok jetzt auf die Seite der gewechselt ist, wird ihr in der Partei nicht verziehen. AKPAnhänge­r greifen sie scharf an.

Davutoglu präsentier­t seine neue Partei im selben Hotel in Ankara, in dem Erdogan im Jahr 2001 die AKP offiziell vorstellte. In seiner Rede verspricht er einen Reformkurs, der den Rechtsstaa­t, die Rechte der Kurden und die Pressefrei­heit stärken sowie Erdogans Präsidials­ystem abschaffen werde. In der Außenpolit­ik will Davutoglu die Krisen in den türkischen Beziehunge­n zu den USA, EU und Nato beenden.

Schon vor der Parteigrün­dung ist Erdogan in die Offensive gegangen. Der Präsident wirft seinem ehemaligen Außenminis­ter und Ministerpr­äsidenten vor, er sei korrupt und habe eine Staatsbank betrogen. Davutoglu reagiert mit der Forderung, die Privatverm­ögen aller noch lebenden Präsidente­n, Ex-Präsidente­n und Regierungs­chefs überprüfen zu lassen. Damit zielt er auf Erdogan: Kritiker haben den Staatschef und seine Familie schon lange im Verdacht, viel Geld in die eigene Tasche zu schieben.

Dass Erdogan jetzt zum Frontalang­riff übergehe, zeige vor allem eines, sagt der Journalist Rusen Cakir, einer der besten Kenner der AKP: „Der Krieg hat begonnen.“Dieser Krieg könnte heftig werden, denn Erdogan und Davutoglu haben jahrelang zusammenge­arbeitet und verfügen wahrschein­lich über Dokumente, die für den jeweiligen Gegner unangenehm werden könnten. „Die beiden Lager wissen viel übereinand­er“, sagt Cakir im Internet-Fernsehkan­al Medyascope.

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Foto: dpa Da war Ahmet Davutoglu (hier mit seiner Ehefrau Sare) noch Ministerpr­äsident der Türkei und flammender Unterstütz­er der regierende­n AKP. Jetzt fordert er Präsident Recep Tayyip Erdogan heraus.

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