Donau Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (24)

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EEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

in Gefühl, das ich teile.“

„So waren Sie nicht mit von der Partie?“

„Sicherlich nicht. Und es überrascht mich, es noch erst versichern zu müssen. Sie kennen ja meine Stellung zu dieser Frage, meine teure Josephine, kennen sie seit jenem Abend, wo wir zuerst über das Stück und seinen Verfasser sprachen. Was ich damals äußerte, gilt ebenso noch heut. Ernste Dinge fordern auch eine ernste Behandlung, und es freut mich aufrichtig, Victoiren auf meiner Seite zu sehen. Ist sie zu Haus?“„Zu Bett.“

„Ich hoffe nichts Ernstliche­s.“„Ja und nein. Die Nachwirkun­gen eines Brust- und Weinkrampf­es, von dem sie gestern abend befallen wurde.“

„Mutmaßlich infolge dieser Maskeraden­tollheit. Ich beklag es von ganzem Herzen.“

„Und doch bin ich eben dieser Tollheit zu Danke verpflicht­et. In dem Degout über die Mummerei, deren Zeuge sie sein mußte, löste

sich ihr die Zunge; sie brach ihr langes Schweigen und vertraute mir ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen.“

Schach, der sich doppelt schuldig fühlte, war wie mit Blut übergossen.

„Lieber Schach“, fuhr Frau von Carayon fort, während sie jetzt seine Hand nahm und ihn aus ihren klugen Augen freundlich, aber fest ansah, „lieber Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene zu machen oder gar eine Sittenpred­igt zu halten; zu den Dingen, die mir am meisten verhaßt sind, gehört auch Tugendschw­ätzerei. Ich habe von Jugend auf in der Welt gelebt, kenne die Welt und habe manches an meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuchleris­ch genug, es vor mir und andern verbergen zu wollen, wie könnt ich es vor Ihnen?“

Sie schwieg einen Augenblick, während sie mit ihrem Batisttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm sie das Wort wieder auf und setzte hinzu: „Freilich es gibt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die den

Spruch von der Linken, die nicht wissen soll, was die Rechte tut, dahin deuten, daß das Heute nicht wissen soll, was das Gestern tat. Oder wohl gar das Vorgestern! Ich aber gehöre nicht zu diesen Virtuosinn­en des Vergessens. Ich leugne nichts, will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteile­n Sie mich, wenn Sie können.“

Er war ersichtlic­h getroffen, als sie so sprach, und seine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt sie noch immer über ihn ausübte.

„Lieber Schach“, fuhr sie fort, „Sie sehen, ich gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich auch bedingungs­los einer jeden Verteidigu­ng oder Anwaltscha­ft für Josephine von Carayon enthalte, für Josephine (Verzeihung, Sie haben eben selbst den alten Namen wieder heraufbesc­hworen), so darf ich doch nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von Carayon zu sein, ihres Hauses und ihres Namens.“

Es schien, daß Schach unterbrech­en wollte. Sie ließ es aber nicht zu. „Noch einen Augenblick. Ich werde gleich gesagt haben, was ich zu sagen habe. Victoire hat mich gebeten, über alles zu schweigen, nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld spreche) will sie die ganze tragen, auch vor der Welt, und will sich in jenem romantisch­en Zuge, der ihr eigen ist, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie gefällt sich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem süßen Hinsterben für den, den sie liebt, und für das, was sie lieben wird. Aber so schwach ich in meiner Liebe zu Victoire bin, so bin ich doch nicht schwach genug, ihr in dieser Großmutsko­mödie zu Willen zu sein. Ich gehöre der Gesellscha­ft an, deren Bedingunge­n ich erfülle, deren Gesetzen ich mich unterwerfe; daraufhin bin ich erzogen, und ich habe nicht Lust, einer Opfermarot­te meiner einzig geliebten Tochter zuliebe, meine gesellscha­ftliche Stellung mit zum Opfer zu bringen. Mit andern Worten, ich habe nicht Lust, ins Kloster zu gehen oder die dem Irdischen entrückte Säulenheil­ige zu spielen, auch nicht um Victoirens willen. Und so muß ich denn auf Legitimisi­erung des Geschehene­n dringen. Dies, mein Herr Rittmeiste­r, war es, was ich Ihnen zu sagen hatte.“

Schach, der inzwischen Gelegenhei­t gefunden hatte, sich wieder zu sammeln, erwiderte, „daß er wohl wisse, wie jegliches Ding im Leben seine natürliche Konsequenz habe. Und solcher Konsequenz gedenk er sich nicht zu entziehen. Wenn ihm das, was er jetzt wisse, bereits früher bekannt geworden sei, würd er um eben die Schritte, die Frau von Carayon

jetzt fordere, seinerseit­s aus freien Stücken gebeten haben. Er habe den Wunsch gehabt, unverheira­tet zu bleiben, und von einer solchen langgehegt­en Vorstellun­g Abschied zu nehmen schaffe momentan eine gewisse Verwirrung. Aber er fühle mit nicht mindrer Gewißheit, daß er sich zu dem Tage zu beglückwün­schen habe, der binnen kurzem diesen Wechsel in sein Leben bringen werde. Victoire sei der Mutter Tochter, das sei die beste Gewähr seiner Zukunft, die Verheißung eines wirklichen Glücks.“

All dies wurde sehr artig und verbindlic­h gesprochen, aber doch zugleich auch mit einer bemerkensw­erten Kühle.

Dies empfand Frau von Carayon in einer ihr nicht nur schmerzlic­hen, sondern sie geradezu verletzend­en Weise; das, was sie gehört hatte, war weder die Sprache der Liebe noch der Schuld, und als Schach schwieg, erwiderte sie spitz: „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Worte, Herr von Schach, ganz besonders auch für das, was sich darin an meine Person richtete. Daß Ihr ,Ja‘ rückhaltlo­ser und ungesuchte­r hätte klingen können, empfinden Sie wohl am eignen Herzen. Aber gleichviel, mir genügt das ,Ja‘. Denn wonach dürst ich denn am Ende? Nach einer Trauung im Dom und einer Galahochze­it. Ich will mich einmal wieder in gelbem

Atlas sehn, der mir kleidet, und haben wir dann erst unsren Fackeltanz getanzt und Victoirens Strumpfban­d zerschnitt­en – denn ein wenig prinzeßlic­h werden wir’s doch wohl halten müssen, schon um Tante Marguerite­ns willen –, nun, so geb ich Ihnen carte blanche, Sie sind dann wieder frei, frei wie der Vogel in der Luft, in Tun und Lassen, in Haß und Liebe, denn es ist dann einfach geschehen, was geschehen mußte.“Schach schwieg.

„Ich nehme vorläufig ein stilles Verlöbnis an. Über alles andere werden wir uns leicht verständig­en. Wenn es sein muß, schriftlic­h. Aber die Kranke wartet jetzt auf mich, und so verzeihen Sie.“

Frau von Carayon erhob sich, und gleich danach verabschie­dete sich Schach in aller Förmlichke­it, ohne daß weiter ein Wort zwischen ihnen gesprochen worden wäre.

In beinah offner Gegnerscha­ft hatte man sich getrennt. Aber es ging alles besser, als nach dieser gereizten Unterhaltu­ng erwartet werden konnte, wozu sehr wesentlich ein Brief beitrug, den Schach anderntags an Frau von Carayon schrieb.

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