Flugblatt oder Papierflieger?
In Rechtsfragen ist Ernsthaftigkeit geboten. Und der Respekt vor der Justiz verlangt es, den Richtern das letzte Wort zu lassen. Das gilt auch für einen der kuriosesten Prozesse des Jahres vor dem Nürnberger Amtsgericht, bei dem die Versammlungsleiterin einer Demonstration sich wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht verantworten muss, weil entgegen der ausdrücklichen Weisung der Polizei Gegenstände über den Zaun des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge geworfen wurden – genauer: rund 100 Papierflieger.
Eine spannende Frage in dieser Sache ist, wie es überhaupt zu dem Prozess kam. Dafür gibt es ausweislich einer ausführlichen Pressemitteilung des Gerichts zwei Hauptverantwortliche. Erstens: die Staatsanwaltschaft, die zwar eine Einstellung des Verfahrens für angemessen hielt, aber auf einer Geldbuße beharrte. Zweitens: die Beschuldigte, die irgendwie nicht einsehen mag, worin die Straftat bestehen soll, die ihr zur Last gelegt wird, und deshalb Einspruch einlegte. Fast entschuldigend teilt das Gericht mit: „Aufgrund dieses Einspruchs muss der Fall zwingend verhandelt werden.“
Im Zentrum des Prozesses wird die Frage stehen, ob ein zu einem Papierflieger gefaltetes Blatt mit politischen Parolen ein verbotener Gegenstand im Sinne des Versammlungsrechts oder eben ein Flugblatt (!) ist, was ja zu einer Demo irgendwie dazugehört. Wenn die streitenden Parteien weiterhin genug Eigensinn aufbringen, könnte die Sache bis zum Bundesgerichtshof gehen, der dann zweifellos mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit entscheiden wird.