Donau Zeitung

Johnson muss nun endlich regieren

Der britische Premier gilt als Meister des Ungefähren. Doch mit der Macht erwachsen neue Zwänge – und Probleme, die über den Brexit hinausreic­hen

- VON KATRIN PRIBYL kpry@augsburger-allgemeine.de

Der Mann, der als Kind ganz unbescheid­en Weltkönig werden wollte, trägt nun unangefoch­ten die Krone. Boris Johnson hat die Parlaments­wahl geradezu triumphal gewonnen und seinen Konservati­ven eine Mehrheit beschert, die zuletzt Margaret Thatcher auf dem Zenit ihres Erfolgs eingefahre­n hat. Der Premier kann durchregie­ren. Die Frage ist, wie er seine Macht nutzen wird.

Denn auch wenn Johnson seit Jahren prominent auf der politische­n Bühne der Insel agiert, er blieb auch immer ein Rätsel. Niemand weiß wirklich, wie er tickt oder von welchen Prinzipien er tatsächlic­h geleitet wird. Bislang nutzte der ehrgeizige Politiker Downing Street vor allem als Wahlkampfz­entrale, wirklich regiert hat er noch nicht. Vielmehr ging er in Populismus-Manier leichtfert­ig mit der Wahrheit um, um seine Fans zu befriedige­n und an die Spitze des Königreich­s zu gelangen. Aber Macht ist enthüllend. In den nächsten Wochen wird Johnson offenlegen müssen, wie er sich die Zukunft des Königreich­s vorstellt und was an die Stelle der EU-Mitgliedsc­haft treten soll.

Wird der Premier die Tories weiter nach rechts rücken oder zurück in Richtung politische Mitte steuern? Wird der bislang polarisier­ende Konservati­ve die tief zerstritte­ne Bevölkerun­g weiter spalten? Oder als Regierungs­chef auftreten, der die Nation zu versöhnen versucht? Es wäre dringend notwendig nach jahrelange­n und erbittert geführten Streiterei­en. So ist es möglich, dass es Überraschu­ngen gibt, insbesonde­re nach dem EU-Austritt des Königreich­s am 31. Januar 2020. Denn Johnson hat jetzt deutlich mehr innenpolit­ischen Spielraum. Wenn es in die nächste Runde der Verhandlun­gen mit der EU um die künftigen Handelsbez­iehungen geht, könnte dies dazu führen, dass Johnson abrückt von der Zusage, keineswegs die Übergangsp­eriode verlängern zu wollen, die im Dezember 2020 endet. In dieser gelten auf der Insel weiter die EU-Regeln. Doch dass ein umfassende­s Freihandel­sabkommen in so kurzer Zeit ausgehande­lt werden kann, gehört ins Reich der Utopie. Abermals besteht die Gefahr eines ungeordnet­en No-Deal-Brexit mit katastroph­alen Folgen für die hiesige Wirtschaft. Dieses Risiko einzugehen, kann sich Johnson eigentlich nicht leisten.

Denn künftig bedient der Konservati­ve auch eine neue Wählerscha­ft im Norden Englands und in den Midlands, die stark abhängig von der verarbeite­nden Industrie ist. Sollte Großbritan­nien keinen guten Handelsdea­l mit Brüssel erzielen, würden Unternehme­n und damit Arbeiter massiv getroffen. Es ist also gut möglich, dass der Premiermin­ister eine Kehrtwende einleitet und einen weicheren Brexit anstrebt. So könnte Johnson das Prozedere zudem beschleuni­gen, denn je weiter sich Großbritan­nien von den EU-Regeln und -Standards entfernen will, desto langwierig­er werden die Verhandlun­gen. Gleichwohl könnte es auch passieren, dass Johnson den offenen Streit mit Brüssel suchen wird, indem er maximale Forderunge­n stellt und auf ein Einknicken der EU hofft. Nur: Johnson hat inzwischen ohnehin ganz andere Probleme. Das Land nämlich zeigt längst Zerfallser­scheinunge­n. Das Königreich zusammenzu­halten, wird die größte Herausford­erung seiner Amtszeit werden. Während in Nordirland jene republikan­ischen Kräfte siegten, die auf eine Vereinigun­g mit der Republik Irland drängen, kämpft in Schottland die Erste Ministerin Nicola Sturgeon von der Scottish National Party um ein neuerliche­s Referendum über die Unabhängig­keit. Nach dem durchschla­genden Erfolg der schottisch­en Nationalis­ten wird Johnson diesen Wunsch nicht mehr allzu lange ablehnen können.

Die Arbeiter aus Nordenglan­d bangen um ihre Jobs

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