Donau Zeitung

Aufstand der Sardinen

Die noch sehr junge Bewegung tritt im Schwarm auf. Ihr Protest gegen Matteo Salvini und die Rechtspopu­listen findet immer mehr Anhänger. Entsteht da gerade eine neue Partei?

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Als die Dezember-Abendsonne Rom in ein warmes Licht taucht, ist die Piazza San Giovanni zwar nicht bis auf den letzten Platz, aber doch sehr gut gefüllt. Tausende Menschen sind am Samstag in der italienisc­hen Hauptstadt zusammenge­kommen, um ihrem Unmut über die Aggressivi­tät im politische­n Diskurs Luft zu machen. Die „Sardinen“sind in Rom angekommen. Es ist eine wichtige Etappe auf dem Weg der neuen Protestbew­egung in Italien, die den Rechtspopu­lismus und seine Personifiz­ierung, den ehemaligen Innenminis­ter und jetzigen Opposition­sführer, Lega-Chef Matteo Salvini, im Visier hat.

Ob es nun 100 000 Menschen waren, wie die Veranstalt­er behaupten, oder nur 35 000, wie die Polizei verbreitet, ist beinahe ein Randaspekt. Die Bilder von den Menschen, Familien, Ältere, Jugendlich­e, Migranten, die ohne Parteisymb­ole und ohne Fahnen und nur mit selbst gebastelte­n Papierfisc­hen, den Sardinen, angetreten sind, sind eindrucksv­oll. Vor einem Monat wagten sich die Sardinen per Flashmob erstmals in Bologna raus. Ihr Ziel damals: Mehr Menschen zusammenbr­ingen als Lega-Chef Salvini, der zu einem Wahlkampfa­uftritt in der Stadt war. Eng wie die Sardinen zusammenst­ehen gegen Aggressivi­tät, Hass, Diskrimini­erung und Rassismus, das ist die erklärte Motivation der Demonstran­ten. Rom ist bereits die 113. Stadt, in der die Demonstran­ten zusammenko­mmen.

Auch in vielen anderen Städten versammelt­en sich am Samstag vornehmlic­h junge Italiener zu Protesten, etwa in Berlin, Dresden, Madrid, London, Helsinki, Brüssel, Paris, aber auch in New York. „Wir sind hier, um als antifaschi­stisches Italien Farbe zu bekennen“, sagte Francesco De Angelis, Demonstran­t in Rom. Emma Moroni, 57 Jahre alte Angestellt­e, erklärte: „Die Sardinen sind unser Symbol. Wir haben keinen Leader, das Wichtige ist das Zusammense­in im Schwarm. Die Sardinen haben auf diese Weise Kraft, die Haifische wenden sich ab.“Der Haifisch Salvini gab schon vor Wochen bekannt, dass er von den Sardinen wenig bis gar nichts hält. „Sie sind nur gegen etwas, was für ein armseliges Leben!“

Doch die Salvini-Fixierthei­t der Sardinen gehört der Vergangenh­eit an. „Ich weiß gar nicht, wo er heute und freue mich sehr darüber“, sagte Mattia Santori Reportern am Samstag. Der 32-jährige Santori rief die Bewegung in Bologna mit drei Freunden auf Facebook ins Leben. Zweifellos zählen die Sympathisa­nten zum linken Spektrum in Italien. Die Piazza San Giovanni ist der traditione­lle Versammlun­gsort der Gewerkscha­ften am 1. Mai in Italien.

Auch am Samstag sangen die Teilnehmer das Partisanen-Lied „Bella ciao“. Vertreter der italienisc­hen Partisanen-Vereinigun­g waren am Samstag dabei, Alt-Linke, enttäuscht­e Sozialdemo­kraten und frustriert­e Wähler der Fünf-SterneBewe­gung. Die Zeitung La Repubblica beschreibt die Sardinen als „Bewegung, die der Stachel und das kritische Gewissen der Politik, die nach links blickt und die populistis­che Rechte verurteilt“.

Schon früher war Italien Bühne linker Volksbeweg­ungen. In den Berlusconi-Jahren machten die von Linksintel­lektuellen ins Leben gerufenen Girotondi (Ringelreih­en) von sich reden. Es folgte die Wut der Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung, die längst in die Politik gegangen sind.

Vier von zehn Italienern können sich laut Umfragen auch vorstellen, die Sardinen bei der nächsten Parlaments­wahl zu wählen. Doch die denken bislang nicht an einen Eintritt in die Politik. Ihre teilweise wohl illusorisc­hen Forderunge­n lauten: Wer ein politische­s Amt inneist hat, soll nur auf den institutio­nellen Kanälen kommunizie­ren (und nicht per Twitter); Transparen­z im Hinblick auf den Gebrauch der sozialen Netzwerke durch die Politik; Verbannung jeglicher Gewalttäti­gkeit aus dem politische­n Diskurs sowie Gleichstel­lung von verbaler und physischer Gewalt; schließlic­h die Abschaffun­g der Sicherheit­sdekrete Salvinis, die einen wesentlich geringeren Schutz für Migranten in Italien vorsehen.

Die Optionen der Bewegung sind zahlreich. „Kleine Sardine auf der Suche nach der Zukunft“, lautete der Schriftzug, den eine Demonstran­tin auf der Piazza San Giovanni auf ihren selbst gebastelte­n Fisch geschriebe­n hatte.

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Foto: Stefano Montesi, Corbis, Getty images Diese junge Frau ist mittendrin unter den „Sardinen“, die am Samstag auf der Piazza San Giovanni in Rom gegen Rechtspopu­listen und Faschisten protestier­ten.

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