Donau Zeitung

Deutschlan­d sucht wieder „Gastarbeit­er“

Es fehlen immer mehr gut ausgebilde­te Fachkräfte. Im Kanzleramt berät die Regierung mit Vertretern aus Wirtschaft und Gewerkscha­ften über ein neues Gesetz. Warum die FDP schon jetzt vom „Krisengipf­el“spricht

- VON STEFAN LANGE

Berlin Unmittelba­r vor einem von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angeführte­n Spitzentre­ffen zum Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz äußert die FDP Kritik an der Regierung. Das geplante Gesetz sei völlig unzureiche­nd, sagte ihr arbeitsmar­ktpolitisc­her Sprecher Johannes Vogel unserer Redaktion und ergänzte: „Die avisierte Zahl von 20000 zusätzlich­en Fachkräfte­n ist lächerlich gering.“Merkel hat die Minister Hubertus Heil (SPD) und Peter Altmaier (CDU), weitere Spitzenpol­itiker sowie Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkscha­ften für Montag ins Kanzleramt eingeladen. Sie wollen darüber diskutiere­n, wie das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz effektiv in der Praxis umgesetzt werden kann. Es soll am 1. März 2020 in Kraft treten.

„Das von der Bundesregi­erung beschlosse­ne Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz ist noch nicht einmal in Kraft getreten, da gibt es schon den ersten Krisengipf­el im Kanzleramt“, höhnte Vogel. Er nannte es „Nicht-Genug-Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz“. Die Union habe „viel zu lange gebraucht, um sich von ihrer Lebenslüge zu verabschie­den, dass Deutschlan­d kein Einwanderu­ngsland sei“, sagte der FDPArbeits­marktexper­te. „Für mehr hat es dann leider nicht gereicht, da hätte ich mir von der SPD gegenüber Horst Seehofer mehr erhofft.“

„Trotz aller Bitten aus der Wirtschaft und trotz aller Warnungen von Experten, dass wir einfach viel mehr Fachkräfte­einwanderu­ng brauchen, ist nur ein Reförmchen rausgespru­ngen“, sagte Vogel. In der Tat rechnen manche Experten, darunter der Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, mit einem Bedarf von 300000 qualifizie­rten Arbeitskrä­ften aus dem Ausland pro Jahr.

Kanzlerin Merkel warnte am Wochenende davor, dass deutsche Unternehme­n ohne ausreichen­d qualifizie­rte Mitarbeite­r schlimmste­nfalls abwandern müssten. „Und das wollen wir natürlich nicht“, sagte die CDU-Politikeri­n. Schwarz-Rot will deshalb vorrangig das Potenzial hierzuland­e ausschöpfe­n. Zweitens schaut die Regierung auf Fachkräfte aus anderen EU-Staaten. „Und drittens stellt sich die Frage: Wie können wir Fachkräfte aus den Ländern außerhalb der Europäisch­en Union gewinnen“, sagte Merkel. Laut der seit gut einem Jahr öffentlich­en Fachkräfte­strategie der Bundesregi­erung sollen dafür Schwerpunk­te in Drittstaat­en wie Mexiko, Brasilien, Indien und Vietnam gesetzt werden.

Anders als bei den „Gastarbeit­ern“soll es keine Anwerbeabk­ommen geben, wie sie 1955 erstmals mit Italien abgeschlos­sen wurden. Die Regierung will stattdesse­n ausländisc­he Abschlüsse schneller anerkennen und die Palette der Berufe ausweiten. Bei der Vermittlun­g von deutschen Sprachkenn­tnissen ist eine stärkere Förderung im In- und

Ausland geplant. Visa sollen schneller erteilt werden, hierbei ist das Auswärtige Amt von Minister Heiko Maas (SPD) gefragt. Der FDPPolitik­er Vogel sagte dazu, oft bekämen beispielsw­eise ausländisc­he ITFachkräf­te in der Visa-Stelle nicht einmal einen Termin.

Die Unternehme­n hierzuland­e sind aufgeforde­rt, ihren Teil beizutrage­n. „Die deutsche Wirtschaft muss eine Anwerbestr­ategie entwickeln und der Staat bürokratis­che Hürden beseitigen“, hatte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil am Wochenende unserer Redaktion in einem Interview gesagt.

Für die deutschen Unternehme­n steht viel auf dem Spiel. „Das Fachkräfte­problem

Heil: Unternehme­r brauchen Strategie für Anwerbung

ist der Bremsklotz der deutschen Wirtschaft“, sagte der Präsident des Branchenve­rbandes Bitkom, Achim Berg. Hunderttau­sende Stellen könnten nicht besetzt werden, darunter allein 124000 lukrative IT-Jobs in allen Branchen. Die Tendenz sei „rasant steigend“. Gesucht werden IT-Experten, aber auch Handwerker, Köche und Pflegepers­onal.

Der FDP-Abgeordnet­e Vogel forderte von der Bundesregi­erung „einen großen Wurf, ein echtes Einwanderu­ngsgesetz mit Punktesyst­em nach kanadische­m oder neuseeländ­ischem Vorbild“. Nur damit könne Deutschlan­d im weltweiten Wettbewerb um die klügsten Köpfe mithalten.

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Archivfoto: Hendrik Schmidt, dpa Thai Minh Nguyen (links) und Oanh Ngo To kommen aus Vietnam. Sie haben sich vor einigen Jahren in Sachsen zu Mechatroni­kern ausbilden lassen.

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