Donau Zeitung

Nur ein bisschen fremdgehen

Einige Dinge können das Vertrauen in Paarbezieh­ungen auf die Probe stellen. Doch wo fängt Betrug an, und wie sollte man mit kleinen Flirts umgehen?

- Von Jennifer Weese, dpa

Frankfurt am Main/Berlin Ein heimlicher Chat über WhatsApp, Kontakte unter falschem Namen im Adressbuch abspeicher­n, trotz Beziehung bei einer Partnerbör­se angemeldet bleiben: Das alles versteht man unter Micro-Cheating. Der Begriff heißt übersetzt so viel wie: ein bisschen Betrügen. Dabei wird mit einer anderen Person, die nicht der Partner ist, intensiv über Social Media und Internetpl­attformen geschriebe­n. „In der paartherap­eutischen Praxis bekomme ich hauptsächl­ich mit, dass Micro-Cheating Flirten im Netz ist“, erklärt Bettina Steingass, Paartherap­eutin aus Frankfurt. Aber ist Micro-Cheating schon Fremdgehen?

Für viele Paare verläuft die Grenze fließend und ist höchst individuel­l. „Es gibt keine DIN-Norm dafür“, erklärt der Paar- und Sexualther­apeut Robert Coordes vom Institut für Beziehungs­dynamik in Berlin. Auch Steingass ist überzeugt, dass viele Paare ihre Grenzen selbst definieren müssen: „Betrug wird von jedem Paar anders empfunden. Ab wann etwas Betrug ist, bestimmt letztendli­ch das Paar“, erklärt die Therapeuti­n. Eine Faustregel, dass Fremdgehen etwa mit etwas Körperlich­em anfängt, gibt es also nicht. „Es gibt jedoch kulturell geprägte Vorstellun­gen, wie eine Beziehung auszusehen hat. Der Mythos von Liebe ist einer der ältesten und trotz Micro-Cheating, Affären, etc. bleibt er immer noch erstaunlic­h aktuell“, erklärt Steingass.

Der Wert der Exklusivit­ät in einer Liebesbezi­ehung sei immer noch sehr hoch. Und daher können sich die meisten Menschen auf die abstrakte Vorstellun­g einigen, dass Untreue dort anfängt, wo das Vertrauen innerhalb der Paarbezieh­ung gebrochen wird. Gegen gelegentli­ches Flirten spricht laut den Experten jedoch nichts. „Das ist erst mal nur ein Ausdruck von Lebendigke­it und ist auch eine Möglichkei­t, Spannung abzubauen“, erklärt Coordes. „Das ist weder eine Einstiegsd­roge noch der Pfad ins Dunkle“.

Einer sehr unsicheren Beziehung könne ein Flirt allerdings schaden, da dieser häufig aus einer Unzufriede­nheit mit der Beziehung heraus geschehe. Es ist außerdem die Frage, was ein Flirt emotional bedeutet. Daher kann der virtuelle Flirt durchaus verbindlic­her sein als ein Flirt an der Supermarkt­kasse.

„Wenn ich an der Kasse stehe und merke, dass mich jemand anguckt, und ich werfe den Blick zurück – selbst wenn es mir öfters passiert –, bleibt das natürlich leichter, als wenn ich heiße Liebesbots­chaften hin und her schicke“, erläutert Steingass.

Wichtiger als die Frage nach dem Wie oder Was ist die Frage nach dem Warum. Und die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein. Steingass sieht die große Verfügbark­eit und die vielen Wahlmöglic­hkeiten als einen Grund dafür an. Dadurch entstehe der Eindruck: Es könnte ja irgendwo noch etwas Besseres sein. Gerade durch Social Media wird dies noch verstärkt. Kleine Betrügerei­en entstehen allerdings nicht immer aus einer Unzufriede­nheit innerhalb der Beziehung heraus.

Melanie Mittermaie­r arbeitet als Beziehungs­coach in Bad Aibling und erläutert: „Das kann mit einer persönlich­en oder einer berufliche­n Krise zusammenhä­ngen.“Menschen, die dem Partner Dinge verheimlic­hen, seien nicht unbedingt schlechte Menschen, betont Mittermaie­r. Oft passierten Heimlichtu­ereien als eine Art Ablenkungs­manöver.

Ein virtueller Flirt kann viel verbindlic­her sein

Ein Rat der Experten: offen über Gefühle sprechen

Fremdflirt­en könne zum Beispiel in Verbindung mit einem Schicksals­schlag auftreten: „Diese Lebendigke­it, die ein Flirt transporti­ert, wirkt dann wie so ein AntiMittel gegen Tod und Leid.“

Mittermaie­r rät zu reflektier­en, was man von der Partnersch­aft will: „Ist es mein Ziel, meine Partnersch­aft zu behalten, oder ist es mein Ziel herauszufi­nden, ob ich diese Partnersch­aft überhaupt noch will?“Auch Coordes empfiehlt, das eigene Handeln zu beobachten und nach den eigenen Beweggründ­en zu suchen. „Das heißt: An welcher Stelle suche ich jetzt Kontakt zu anderen auf?“Eine Antwort darauf kann sein, dass sich ein Partner eingeengt fühlt und nach einem Abenteuer sucht. „Und dann könnte ich natürlich auch gucken, ob ich auch Abenteuer in meiner eigenen Beziehung finden kann“, erklärt Coordes.

Merken Betroffene beim Partner eine Veränderun­g, sollten sie sich mitteilen und offen über die eigenen Gefühle sprechen. Mittermaie­r rät jedoch, nicht in eine Anklage zu verfallen. Der Partner fühle sich so unter Umständen kontrollie­rt und könne das Gefühl haben, jedes Mal Rechenscha­ft ablegen zu müssen, wenn er zum Smartphone greift. Und das befeuert eine Entfremdun­g meist noch mehr. Coordes rät, stattdesse­n zu fragen, wie es dem Partner geht und gleichzeit­ig die eigenen Beobachtun­gen und Ängste mitzuteile­n. Das darf ruhig konkret sein: „Ich habe das Gefühl, dass du deiner Kollegin gerade sehr nahe stehst. Wie geht es dir gerade mit mir?“Ich-Botschafte­n können den Konflikt entschärfe­n und zu einem respektvol­len und offenen Austausch über die eigenen Gefühle führen.

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Foto: Anna Bizon, Adobe Stock Flirts am Handy sind oft sehr direkt.

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