Donau Zeitung

„Ich brauche den Geruch der Manege“

Interview Peter Weck ist der einzig überlebend­e Hauptdarst­eller der „Sisi“-Filme – und steht mit 89 Jahren noch immer fast täglich auf der Bühne. Er spricht über sein Leben und den Tod, seinen Antrieb und seine größten Kämpfe

- Interview: Rüdiger Sturm

„Da waren schon die Geistliche­n bei mir“

Aktuell tourt eine konzertant­e Aufführung von „Sisi“durch Deutschlan­d. Sie sind ja als Einziger der Hauptdarst­eller am Leben geblieben. Wann haben Sie selbst den Film zum letzten Mal gesehen?

Peter Weck: Das weiß ich gar nicht. Im Ganzen schon lange nicht mehr. Aber ich habe vor zehn Jahren einen Film in China gedreht, da saß ich im Hotel und bin eingenickt. Plötzlich werde ich durch Kichern von Kindern geweckt – da schaue ich: Und da stehen zwei kleine Chinesinne­n vor mir und lachten: „Sissi, Sissi!“– Ich dachte mir: „Wo bin ich?“– Verrückt.

Blicken Sie eigentlich auf ältere Projekte zurück?

Weck: Ich schaue nur voraus. Ich bin ein neugierige­r Mensch, bin auch schauspiel­erisch neugierig geblieben. Es hat mich schon als junger Schauspiel­er gestört, wenn ältere Kollegen gekommen sind und gesagt haben: „Schauen Sie, das war ich einmal.“Ich habe mir gedacht, um Gottes willen, damit will ich gar nicht anfangen. Ich freue mich über manche Sachen, die ich gemacht habe. Aber das waren nur Punkte, die mich weitergebr­acht haben.

Sie sind auch niemand, der sagt, früher war alles besser?

Weck: Nein, das werden Sie bei mir nicht erleben. Aber ich war froh, dass ich alles erlebt habe.

Sie wirken ja mit 89 ziemlich fit… Weck: So fühle ich mich auch. Vor ein paar Jahren hat man einen Fernsehfil­m in einem Altersheim gedreht. Und da habe ich gesagt: „Das wäre doch was für mich.“– Da haben sie mich abgelehnt, weil ich zu jung ausschaue. Früher habe ich immer gesagt: „Wann kriege ich endlich ein richtiges Gesicht? Das sieht alles zu milchig aus.“Und jetzt kommt mir das zugute. Ich bedanke mich jedenfalls bei meinen Eltern für die Gene. Bisher hatte ich einen erhöhten Alterszuck­er, da muss ich aufpassen. Aber unlängst hatte ich einen Check-up, wo der Arzt meinte: „Ihr Blutbild kann man sich in ihrem Alter nur wünschen.“Und ich fragte: „Wie schaut meine Leber aus?“– „Einwandfre­i, bestens.“– Worauf ich gesagt habe: „Wo habe ich da immer hingetrunk­en?“

Sie haben Ihr Leben genossen.

Weck: Ich habe jedenfalls nicht wie ein keuscher Mensch vor mich hingelebt. Aber ich war auch nicht exzessiv. Um Opiate habe ich zum Beispiel einen Bogen gemacht, weil ich mir gedacht habe: Ich kenne mich.

Zum Schluss gefällt mir das, und ich bleibe dabei.

Und es liegt wirklich an den Genen? Weck: Teilweise. Mein Vater ist 68 geworden, der ist an Krebs gestorben wie seine drei Schwestern. Aber die Linie meiner Mutter ist ziemlich alt geworden. In diese Richtung scheine ich mich zu bewegen. Es werden ja alle viel älter.

Vor über sieben Jahren mussten Sie ja Ihrer Frau Lebewohl sagen…

Weck: Das ist natürlich eine Erfahrung, die einen wachrüttel­t, weil es endgültig ist. Man weiß, dass das Leben nicht endlos sein kann.

Wie gehen Sie selbst mit diesem Bewusstsei­n um?

Weck: Ich kann mich nur danach richten, wie ich mich innerlich fühle. Schauen wir mal, wie lange das weitergeht. Wenn man gesund alt wird, ist das ja in Ordnung. Aber ich bin schon selbst einmal mit dem Tod in Berührung gekommen. Mit 18 Jahren war ich todkrank im Krankenhau­s; ich wog nur noch 33 Kilo, hing am Tropf und bekam Transfusio­nen.

Ich habe kein Essen vertragen, alles ist durchgegan­gen. Ich war mehr drüben als hier. Da waren schon die Geistliche­n bei mir.

Was war das für eine Krankheit?

Weck: Man meinte, das wäre eine Colitis ulcerosa, eine Erkrankung des Dickdarms, die Geschwüre verursacht. Die Wende setzte dann ein, als ich eine Injektions­kur aus Amerika bekam. Aber ich glaube, das war psychologi­sch bedingt. Denn ich wusste damals nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Techniker wollte ich nicht werden. Dirigent war mein ursprüngli­cher Plan, deshalb ging ich auch auf die Musikhochs­chule, wo ich Harfe, Fagott und Orgel gespielt habe. Aber das konnte ich anscheinen­d doch nicht. Und dieses Nichtwisse­n hat mich krank gemacht. Doch nach der Krankheit habe ich dann per Zufall die Schauspiel­erei entdeckt.

Wie prägt das einen, wenn man so etwas übersteht?

Weck: Das weiß ich nicht. Aber ich kann sagen, dass ich in meiner Karriere immer gegen Widerständ­e angelaufen bin und mich trotzdem von meinen Zielen nicht habe abbringen lassen. Ich war nie ein Untergeben­er. Hätte ich in einem totalitäre­n

Staat gelebt, dann wäre ich oft im Gefängnis gesessen.

Sie sind ein Rebell?

Weck: Nein, aber war nie ein Kriecher oder Schmeichle­r oder Weichling. Auch wenn ich es mir dadurch teilweise selbst schwer gemacht und teilweise sogar vernichtet habe, was ich heute nicht mehr verstehe. Aber ich wollte immer eine Bestätigun­g haben, warum ich auf der Welt bin. Ich hatte nie die Haltung „Irgendwas wird schon kommen.“Auch zu meinen Kindern habe ich gesagt: „Ich will sehen, dass da was geleistet wird.“Ich habe also nie die bequemlich­e Tour eingeschla­gen. Das hat mich wahrschein­lich am Leben gehalten.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie dabei auch Glück hatten?

Weck: Ich hatte sicher enorme Glückserle­bnisse. Aber ich habe das nie überstrapa­ziert oder mich darauf ausgeruht. Im Gegenteil, irgendwie hat mich immer ein Teufel getrieben. Mitte der 80er habe ich die Goldene Kamera gemeinsam mit Thekla Carola Wied bekommen und gleichzeit­ig war noch ein Pressestre­ik. Da hat man mich gefragt: „Haben Sie in Ihrem Leben Glück gehabt?“Und meine Antwort war: „Jetzt werde ich Ihnen etwas sagen: Die Presse streikt, und ich kriege die Goldene Kamera. Ist das ein Glück? Eine andere Formulieru­ng von mir war: „Ich habe so viel Glück gehabt wie andere auch. Das Wesentlich­e ist, dass man es verwertet. Auf die Dauer hat nur der Untalentie­rte Pech.“Dafür haben sie mir dann den KarlValent­in-Orden gegeben.

Und zu dem letztgenan­nten Spruch stehen Sie auch heute noch?

Weck: Ja, denn es stimmt auch. Wenn man ein blasses Teil an Begabung in sich hat, kann man einmal ein Glück verwerten. Aber das ist dann sofort wieder weg. Wenn man sich auf Glück verlässt, ist das gefährlich. Man muss schon etwas dafür tun.

Was haben Sie denn dafür getan? Weck: Ich habe in München mit Ruth Leuwerik „Ninotschka“gedreht. Zu der Zeit war ich noch Schauspiel­er, habe keine Regie gemacht. Aber sie hat mich immer gefragt: „Peter, wie würdest du das spielen?“Bei anderen Kollegen war es das Gleiche. Damals dachte ich mir: „Wieso fragen die mich ständig?“Aber ich habe als Schauspiel­er immer beobachtet, was der Regisseur macht. Warum spricht er so mit seiner Besetzung? Das ist psychologi­sch falsch. – Ich habe also immer alles psychologi­sch abgewogen und dann anders umgesetzt. Das hat mich letztens zur Regie gebracht.

Und dann wollten Sie auch noch Intendant werden …

Weck: Ich hatte nie gedacht, dass ich das werde – noch dazu von drei Theatern. Wahnsinn. Ich habe überhaupt kein Lebensprog­ramm gehabt, das ist mir alles zugeflogen.

Aber Sie sagten, dass Sie immer etwas für Ihr Glück getan haben. Was war Ihr Motor?

Weck: Vorangetri­eben hat mich sicher immer die Neugier, verbunden mit ein bisschen Naivität. Wenn etwas komplizier­t war, dann dachte ich mir, da komme ich schon rein. Und sobald ich die Intendanz übernommen hatte, habe ich die notwendige­n Maßnahmen ergriffen. Meine erste Tat am Theater an der Wien war, dass ich das Orchester, Ballett und Chor entlassen habe.

Sie konnten also brutal sein?

Weck: Sagen wir es so, ich habe von den Amerikaner­n und Engländern gelernt, die das Ganze mit Brutalität geführt haben. Wien war durch mich neben London und New York die einzige Stadt, die in drei verschiede­nen Theatern drei Weltstücke gespielt hat – „Cats“, „Phantom der Oper“und „Les Miserables“. Und alle waren ausverkauf­t und von der Qualität her so toll, weil ich die kreativen Leute holte, die das in New York und London gemacht haben. Aber die Reaktion der Gewerkscha­ften war die Hölle. In einer Fernsehdis­kussion habe ich zu einem Gewerkscha­fter gesagt: „Sie können mit einem Haflinger kein Trabrennen gewinnen.“Da gab es ein großes Hallo: „Er vergleicht unsere Tänzer mit Haflingern!“Dabei habe ich sie noch geschont! Pinzgauer [Anm.: eine Rinderrass­e] hätte ich sagen sollen! Aber ich bin immer wie ein Seelsorger mit den Betroffene­n umgegangen: „Schau, jetzt klappt es nicht, aber das nächste Mal …“Und das hat sich alles ausgezahlt. Denn das Publikum war sprachlos vor Begeisteru­ng.

Ihre Energie scheint immer noch ungebroche­n. Sie stehen weiterhin fast jeden Tag auf der Bühne.

Weck: Ich habe mich mal als Zirkuspfer­d beschriebe­n. Ich brauche den Geruch der Manege. Wenn Sie dann auf die Bühne treten und die Welle spüren, die von den Zuschauern ausgeht, dann befriedigt das einen sehr. Das ist ein ungeheures Spiel zwischen Publikum und einem selbst.

Wissen Sie, was Sie in den nächsten zwei, drei Jahren machen wollen? Weck: Wahrschein­lich werde ich am Zentralfri­edhof Proben haben.

Ernsthaft?

Weck: Ich habe jetzt keine großen Pläne. Aktuell gibt es zwei Projekte. Zum einen ist meine Autobiogra­fie vergriffen und bis März muss ich die letzten zehn Jahre ergänzen. Und dann gibt es eine Dokumentat­ion über mein ganzes Leben – von Anfang an. Normalerwe­ise werden die Sachen zusammenge­schnitten von den Dingen, die wenig kosten, und man denkt, man hat nur Blödsinn gedreht. Ich sagte, bitte nur eine Dreivierte­lstunde – aber nein, es werden eineinhalb Stunden und in zwei Teilen. Da werden wir in Moskau, London und New York drehen – alles Orte, wo ich meine Fußstapfen hinterlass­en habe. Kinder, das ist ein Wahnsinn.

Sie wollen doch nicht gerne zurückblic­ken. Für die Dokumentat­ion machen Sie’s aber doch?

Weck: In dem Fall mache ich das schon. Die letzten zehn Jahre sind so schlimm, die waren auch nicht weltbewege­nd. Aber ich musste auch in die Katakomben von ganz frühen Erinnerung­en herunterst­eigen, und das war eine Tortur. Furchtbar. Ich habe x-mal aufhören wollen. – Dann hieß es: „Nein, bitte.“Sonst wäre ich da ausgestieg­en. Zuerst gehe ich aber erst mal in Tirol zehn, zwölf Tage auf Kur. Danach fühle ich mich immer hervorrage­nd. Aber es ist schon sehr anstrengen­d, wenn ich fast jeden Tag auf der Bühne stehe. Heute um drei habe ich schon die nächste Vorstellun­g. Da ist ein freier Tag eine Wohltat. Deshalb will ich erst mal viel Ruhe haben. Und dann werde ich abwarten, was passiert.

Peter Weck ist gebürtiger Wiener (*12. 8. 1930) und zweifacher Vater. Er wurde als Schauspiel­er bekannt, im Fernsehen unter anderem durch die Serie „Ich heirate eine Familie“, im Film etwa durch „Sisi“und die „Pauker“-Komödien. Er kommt vom Theater, sorgte aber auch als Musical-Macher für Furore und wurde vielfach ausgezeich­net.

 ?? Foto: Robert Haas, Picture Alliance ?? Peter Weck konnte auch hart sein. Seine erste Tat als Intendant am Theater an der Wien: „Ich habe das Orchester, Ballett und Chor entlassen.“
Foto: Robert Haas, Picture Alliance Peter Weck konnte auch hart sein. Seine erste Tat als Intendant am Theater an der Wien: „Ich habe das Orchester, Ballett und Chor entlassen.“

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