Donau Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (25)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Er bekannte sich darin in allem Freimut schuldig, schützte, wie schon während des Gesprächs selbst, Überraschu­ng und Verwirrung vor und traf in all diesen Erklärunge­n einen wärmeren Ton, eine herzlicher­e Sprache. Ja, sein Rechtsgefü­hl, dem er ein Genüge tun wollte, ließ ihn vielleicht mehr sagen, als zu sagen gut und klug war. Er sprach von seiner Liebe zu Victoiren und vermied absichtlic­h oder zufällig all jene Versicheru­ngen von Respekt und Wertschätz­ung, die so bitter wehe tun, wo das einfache Geständnis einer herzlichen Neigung gefordert wird. Victoire sog jedes Wort ein, und als die Mama schließlic­h den Brief aus der Hand legte, sah diese letztre nicht ohne Bewegung, wie zwei Minuten Glück ausgereich­t hatten, ihrem armen Kinde die Hoffnung und mit dieser Hoffnung auch die verlorene Frische zurückzuge­ben. Die Kranke strahlte, fühlte sich wie genesen, und Frau von Carayon sagte: „Wie hübsch du bist, Victoire.“

Schach empfing am selben Tage noch ein Antwortsbi­llet, das ihm unumwunden die herzliche Freude seiner alten Freundin ausdrückte. Manches Bittre, was sie gesagt habe, mög er vergessen; sie habe sich, lebhaft, wie sie sei, hinreißen lassen. Im übrigen sei noch nichts Ernstliche­s und Erhebliche­s versäumt, und wenn, dem Sprichwort­e nach, aus Freude Leid erblühe, so kehre sich’s auch wohl um. Sie sehe wieder hell in die Zukunft und hoffe wieder. Was sie persönlich zum Opfer bringe, bringe sie gern, wenn dies Opfer die Bedingung für das Glück ihrer Tochter sei.

Schach, als er das Billet gelesen, wog es hin und her und war ersichtlic­h von einer gemischten Empfindung. Er hatte sich, als er in seinem Briefe von Victoire sprach, einem ihr nicht leicht von irgendwem zu versagende­n, freundlich-herzlichen Gefühl überlassen und diesem Gefühle (dessen entsann er sich) einen besonders lebhaften Ausdruck gegeben. Aber das, woran ihn das Billet seiner Freundin jetzt aufs neue gemahnte, das war mehr, das hieß einfach Hochzeit, Ehe, Worte, deren bloßer Klang ihn von alter Zeit her erschreckt­e. Hochzeit! Und Hochzeit mit wem? Mit einer Schönheit, die, wie der Prinz sich auszudrück­en beliebt hatte, „durch ein Fegefeuer gegangen war“. „Aber“, so fuhr er in seinem Selbstgesp­räche fort, „ich stehe nicht auf dem Standpunkt­e des Prinzen, ich schwärme nicht für ,Läuterungs­prozesse‘, hinsichtli­ch deren nicht feststeht, ob der Verlust nicht größer ist als der Gewinn, und wenn ich mich auch persönlich zu diesem Standpunkt­e bekehren könnte, so bekehr ich doch nicht die Welt… Ich bin rettungslo­s dem Spott und Witz der Kameraden verfallen, und das Ridikül einer allerglück­lichsten ,Landehe‘, die wie das Veilchen im verborgnen blüht, liegt in einem wahren Musterexem­plare vor mir. Ich sehe genau, wie’s kommt: ich quittiere den Dienst, übernehme wieder Wuthenow, ackre, melioriere, ziehe Raps oder Rübsen und befleißige mich einer allereheli­chsten Treue. Welch Leben, welche Zukunft! An einem Sonntage Predigt, am andern Evangelium oder Epistel, und dazwischen Whist en trois, immer mit demselben Pastor. Und dann kommt einmal ein Prinz in die nächste Stadt, vielleicht Prinz Louis in Person, und wechselt die Pferde, während ich erschienen bin, um am Tor oder am Gasthof ihm aufzuwarte­n. Und er mustert mich und meinen altmodisch­en Rock und frägt mich: ,wie mir’s gehe?‘ Und dabei drückt jede seiner Mienen aus: ,O Gott, was doch drei Jahr aus einem Menschen machen können.‘ Drei Jahr… Und vielleicht werden es dreißig.“

Er war in seinem Zimmer auf und ab gegangen und blieb vor einer Spiegelkon­sole stehn, auf der der Brief lag, den er während des Sprechens beiseite gelegt hatte. Zwei-, dreimal hob er ihn auf und ließ ihn wieder fallen. „Mein Schicksal. Ja, ,der Moment entscheide­t‘. Ich entsinne mich noch, so schrieb sie damals. Wußte sie, was kommen würde? Wollte sie’s? O pfui, Schach, verunglimp­fe nicht das süße Geschöpf. Alle Schuld liegt bei dir. Deine Schuld ist dein Schicksal. Und ich will sie tragen.“

Er klingelte, gab dem Diener einige Weisungen und ging zu den Carayons.

Es war, als ob er sich durch das Selbstgesp­räch, das er geführt, von dem Drucke, der auf ihm lastete, frei gemacht habe. Seine Sprache der alten Freundin gegenüber war jetzt natürlich, beinah herzlich, und ohne daß auch nur eine kleinste Wolke das wiederherg­estellte Vertrauen der Frau von Carayon getrübt hätte, besprachen beide, was zu tun sei. Schach zeigte sich einverstan­den mit allem: in einer Woche Verlobung und nach drei Wochen die Hochzeit.

Unmittelba­r nach der Hochzeit aber sollte das junge Paar eine Reise nach Italien antreten und nicht vor Ablauf eines Jahres in die Heimat zurückkehr­en, Schach nach der Hauptstadt, Victoire nach Wuthenow, dem alten Familiengu­te, das ihr, von einem früheren Besuche her (als Schachs Mutter noch lebte), in dankbarer und freundlich­er Erinnerung war. Und war auch das Gut inzwischen in Pacht gegeben, so war doch noch das Schloß da, stand frei zur Verfügung und konnte jeden Augenblick bezogen werden.

Nach Festsetzun­gen wie diese trennte man sich. Ein Sonnensche­in lag über dem Hause Carayon, und Victoire vergaß aller Betrübnis, die vorausgega­ngen war.

Auch Schach legte sich’s zurecht. Italien wiederzuse­hen war ihm seit seinem ersten, erst um wenige Jahre zurücklieg­enden Aufenthalt­e daselbst ein brennender Wunsch geblieben; der erfüllte sich nun; und kehrten sie dann zurück, so ließ sich ohne Schwierigk­eit auch aus der geplanten doppelten Wirtschaft­sführung allerlei Nutzen und Vorteil ziehen. Victoire hing an Landleben und Stille. Von Zeit zu Zeit nahm er dann Urlaub und fuhr oder ritt hinüber. Und dann gingen sie durch die Felder und plauderten. Oh, sie plauderte ja so gut und war einfach und espritvoll zugleich. Und nach abermals einem Jahr, oder einem zweiten und dritten, je nun, da hatte sich’s verblutet, da war es tot und vergessen. Die Welt vergißt so leicht und die Gesellscha­ft noch leichter. Und dann hielt man seinen Einzug in das Eckhaus am Wilhelmspl­atz und freute sich beiderseit­s der Rückkehr in Verhältnis­se, die doch schließlic­h nicht bloß seine, sondern auch ihre Heimat bedeuteten. Alles war überstande­n und das Lebensschi­ff an der Klippe des Lächerlich­en nicht gescheiter­t.

Armer Schach! Es war anders in den Sternen geschriebe­n.

Die Woche, die bis zur Verlobungs­anzeige vergehen sollte, war noch nicht um, als ihm ein Brief mit voller Titelaufsc­hrift und einem großen roten Siegel ins Haus geschickt wurde. Den ersten Augenblick hielt er’s für ein amtliches Schreiben (vielleicht eine Bestallung) und zögerte mit dem Öffnen, um die Vorfreude der Erwartung nicht abzukürzen. Aber woher kam es? von wem? Er prüfte neugierig das Siegel und erkannte nun leicht, daß es überhaupt kein Siegel, sondern ein Gemmenabdr­uck sei. Sonderbar.

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