Donau Zeitung

„Ceausescu litt unter Realitätsv­erlust“

Vor 30 Jahren gingen die Rumänen auf die Straße und stürzten ihren Diktator. Schon wenige Tage später wurden Nicolae Ceausescu und seine Ehefrau hingericht­et. Der damalige Ankläger Dan Voinea erzählt von den dramatisch­en Stunden und erklärt, warum er nich

- Interview: Dimitrios Dimoulas

Herr Voinea, vor drei Jahrzehnte­n wurde der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu gestürzt. Am 21. Dezember kam es zu Massendemo­nstratione­n in Bukarest. Sie waren damals Militärsta­atsanwalt, wie haben Sie die Zeit erlebt?

Dan Voinea: Begonnen hatte das Ganze bereits fünf Tage vorher mit Kundgebung­en, auf denen die Bevölkerun­g gegen die Versetzung eines Pastors protestier­te. Dort wurde erstmals das Feuer auf Zivilisten eröffnet und es wurden 41 Demonstran­ten getötet, deren Leichen auf Anordnung von Ceausescus Frau Elena anschließe­nd mit einen Kühltransp­orter nach Bukarest ins Krematoriu­m verfrachte­t wurden. Die Kundgebung am 21. Dezember war vom Regime arrangiert worden, Ceausescu wollte nach seiner Rückkehr aus dem Iran das Volk beschwicht­igen. Sie hatte jedoch einen vollkommen gegenteili­gen Effekt, da erstmals während seiner Regentscha­ft lautstarke Buhrufe und missbillig­ende Äußerungen zu hören waren.

Waren Sie vor Ort?

Voinea: Ich selbst war zu dem Zeitpunkt in meinem Heimatort Tirgu Jiu und konnte, nachdem Ceausescu den Notstand ausgerufen hatte, nicht zurück. Ich bin erst am Morgen des 22. Dezember nach Bukarest zurückgeke­hrt und habe in der U-Bahn-Unterführu­ng die ersten Leichen von Opfern erblickt.

In dieser Nacht sind mehr als tausend Zivilisten erschossen worden. Trotzdem hat Ceausescu am Folgetag eine weitere Versammlun­g „bestellt“. War es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Voinea: Ceausescu litt seit längerer Zeit unter Realitätsv­erlust und meinte, dass er das verarmte und drangsalie­rte Volk hinter sich hatte. Erst an jenem Tag erkannte er den Ernst der Lage und ergriff vom Dach des Zentralkom­itee-Quartiers die Flucht. Seine Gattin Elena soll den damaligen Vize-Verteidigu­ngsministe­r, General Victor Stanculesc­u, eine absolute Vertrauens­person, gebeten haben, sich um die erwachsene­n Kinder des Paares zu kümmern. Es war jener Stanculesc­u, der drei Tage später das Todesurtei­l der beiden mitunterze­ichnen sollte.

Nach der Flucht Ceausescus wurden Sie ins Zentralkom­itee bestellt. Was haben Sie dort vorgefunde­n?

Voinea: Die Menschenme­nge war immer noch vor dem Quartier des

Zentralkom­itees versammelt und skandierte „Nieder mit Ceausescu!“. Im ersten Stock fand ich den amtierende­n Innenminis­ter Tudor Postelnicu, der mit seinem Schicksal haderte und wütend auf das geflüchtet­e Ehepaar war. „Die Verräter haben mich hier zurückgela­ssen“, schäumte er, während ich ihn verhörte. Ich blieb bis in die Nacht und sammelte Beweise für meine Ermittlung­sakte. Danach habe ich einen Haftbefehl gegen Postelnicu und andere Amtsträger erlassen. So bin ich zum „Dienstleis­ter der Revolution“geworden und wurde von der „revolution­ären Führungsri­ege“, also Ion Iliescu und Petre Roman, mit dem Verfassen der Anklagesch­rift beauftragt.

Wie lange haben Sie für Ihr Plädoyer benötigt und was waren die wichtigste­n Anklagepun­kte?

Voinea: Ich habe zwei Tage Zeit gehabt, die Anklagesch­rift zu verfassen. Ich stand unter enormem Zeitdruck, die Bevölkerun­g war in Aufruhr. Die Anklagepun­kte waren: Massenmord am rumänische­n Volk während der Revolution und in den Jahren davor, Untergrabu­ng der Staatsmach­t, persönlich­e Bereicheru­ng und Veruntreuu­ng von öffentlich­en Geldern sowie die Zerstörung der rumänische­n Wirtschaft.

Ihre Anklagesch­rift haben Sie per Hand geschriebe­n. Hat Ceausescu bei der Flucht sämtliche Schreibmas­chinen mitgehen lassen?

Voinea: Nein, das nicht! Aber ich war sehr argwöhnisc­h den Sekretärin­nen gegenüber. Sie könnten Informante­n der berüchtigt­en Securitate (Anm. d. Red.: rumänische Geheimpoli­zei) gewesen sein. Ferner muss ich Ihnen offenbaren, dass während der Herrschaft Ceausescus lediglich Schriftste­ller in Besitz von Schreibmas­chinen waren, diese jedoch von der Securitate geprüft werden mussten.

Anhand dieser Anklagesch­rift wurde am 25. Dezember der Strafproze­ss gegen Nicolae und Elena Ceausescu eröffnet. Welchen Eindruck machten die beiden auf Sie?

Voinea: Man muss berücksich­tigen, dass Ceausescu an Diabetes litt und während seiner dreitägige­n Gefangensc­haft kein Insulin zur Verfügung hatte. Dementspre­chend war auch seine physische und mentale Auffassung, als ich ihn am Vormittag des ersten Weihnachts­tages erblickte. Während der Verhandlun­g und nachdem sie ärztlich versorgt wurden, machten beide einen eher abwesenden Eindruck und wiederholt­en immer wieder, dass sie die Zusammense­tzung des Gerichtes nicht anerkennen.

In der Gerichtsve­rhandlung waren außer den beiden Richtern auch zwei Strafverte­idiger und der Vize-Verteidigu­ngsministe­r und Ceausescu-Vertraute Victor Stanculesc­u anwesend. Welches Bild haben sie abgegeben?

Voinea: Erstaunt war ich über die Haltung von General Stanculesc­u, der während der Verhandlun­g Papierflug­zeuge bastelte und die beiden Eheleute keines Blickes würdigte. Die Verteidige­r wiederum attackiert­en teilweise die beiden Angeklagte­n, anstatt sie zu verteidige­n, und waren eher bemüht, mit meinem Plädoyer zu konkurrier­en.

Der Prozess dauerte nur 80 Minuten. Haben Sie vorher schon gewusst, dass die beiden hingericht­et werden? Voinea: Nein, nach meinem Plädoyer bin ich aus dem Verhandlun­gsraum gegangen, weil es die Prozessord­nung so vorsah. Eigentlich rechnete ich damit, dass die Verteidige­r Revision einlegen würden und sich so der Prozess verzögern würde.

Viel später habe ich jedoch erfahren, dass es einen Deal mit den Richtern gab.

Der Westen bezichtigt­e Rumänien, eine juristisch­e Farce veranstalt­et zu haben, und zog Vergleiche mit den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Was halten Sie davon? Voinea: Erlauben Sie mir, diese Betrachtun­g als etwas heuchleris­ch anzusehen. Den Prozess gegen die Nazis haben die US-Amerikaner organisier­t. In Rumänien standen aber weder Amerikaner noch Russen zur Verfügung. Abgesehen davon ist der Prozess gemäß der damaligen Strafproze­ssordnung durchgefüh­rt worden, die für solche Verbrechen die Todesstraf­e vorgesehen hat. Ich hätte mir gewünscht, an einem langen ausführlic­hen Verfahren gegen Ceausescu teilzunehm­en, in dem man auch alle Aspekte der kommunisti­schen Gräueltate­n hätte klären können. Ich glaube aber, dass man keinen langen Prozess wollte. Eine Anklage mit allen Details gegen Ceausescu hätte sich auch gegen das Regime und gegen alle, die es unterstütz­t haben, gerichtet. Bis heute ist den tausenden Opfern der Revolution keine Gerechtigk­eit widerfahre­n, weil die Schuldigen nicht bekannt sind.

„So bin ich zum Dienstleis­ter der Revolution geworden“

Dan Voinea

Rückblicke­nd würden Sie heute eventuell anders verfahren?

Voinea: Nein, ich bedauere gar nichts! Ich würde auch heute so vorgehen, allerdings könnte ich nicht mehr für die Todesstraf­e plädieren, weil sie abgeschaff­t wurde.

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Foto: Hans Lucas, Imago Images Bukarest 1989: Mit dem Mut der Verzweiflu­ng protestier­ten die Rumänen gegen das Regime von Nicolae Ceausescu. Durch die Straßen der Hauptstadt rollten Panzer. Viele Menschen starben während des Aufstandes.
 ?? Foto: Imago Images ?? Nicolae Ceausescu führte Rumänien von 1965 bis 1989 mit brutaler Hand. Er erzwang einen regelrecht­en Personenku­lt um sich selbst.
Foto: Imago Images Nicolae Ceausescu führte Rumänien von 1965 bis 1989 mit brutaler Hand. Er erzwang einen regelrecht­en Personenku­lt um sich selbst.
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