Donau Zeitung

Es wird einsam um Jeremy Corbyn

Während der Streit um die Zukunft von Labour tobt, scheint der Parteichef in seiner eigenen Welt zu leben. Wie lange wird er einem Neuanfang nach dem Wahldesast­er im Wege stehen?

- VON KATRIN PRIBYL

London Jeremy Corbyn wird das Talent nachgesagt, sich seine ganz eigenen Realitäten erschaffen zu können. Dieses schien am Wochenende einmal wieder zum Vorschein zu kommen, als sich der britische Labour-Vorsitzend­e in gleich zwei Zeitungen sowie via sozialer Medien zu Wort meldete. Man erwartete Reue und Buße, nachdem die Sozialdemo­kraten bei der Parlaments­wahl am Donnerstag das schlechtes­te Ergebnis seit 1935 eingefahre­n hatten. „Wir haben eine schwere Niederlage erlitten und ich übernehme meinen Teil der Verantwort­ung dafür“, sagte also Corbyn. Doch seine Entschuldi­gung klang halbherzig.

Nicht nur, dass der Opposition­schef bis Frühjahr 2020 im Amt bleiben will, um den „nötigen Reflexions­prozess“zu begleiten. Er beharrte auch darauf, dass das Wahlprogra­mm letztlich erfolgreic­h gewesen sei. „Wir haben die Debatte gewonnen, aber wir haben unsere Argumente leider nicht in eine Mehrheit für den nötigen Wandel“umsetzen können“, so Corbyn. „Verleugnun­g“, kommentier­te die Ex-Ministerin Margaret Hodge die Erklärung. dienstälte­ste Labour-Abgeordnet­e Harriet Harman befand, seine Worte zeigten „keinerlei Willen zu verstehen, warum Labour diese katastroph­ale Niederlage erlitten hat.“Sie forderte Corbyn genauso zum Rücktritt auf wie Ex-Labour-Innenminis­ter David Blunkett, der an den Opposition­schef gerichtet meinte: „Im Namen Gottes: Geh! – Und geh schnell.“Derweil suchte und fand der 70-jährige Corbyn die Schuld bei den Medien, die mit ihrer Negativber­ichterstat­tung das Ergebnis beeinfluss­t hätten.

Ebenfalls weit oben auf der Liste der Gründe für das Desaster steht für die Anhänger des Altlinken der Brexit. Labour war bis zuletzt einen Schlingerk­urs gefahren, um beide Seiten der gespaltene­n Wählerscha­ft zu halten. Der Versuch scheiterte bekannterm­aßen, stattdesse­n verlor die Partei vor allem in den traditione­llen Kerngegend­en im Norden Englands und in den West Midlands. Diese Woche werden 109 neue Tory-Abgeordnet­e ihre Arbeit aufnehmen, die aus Regionen stammen, wo das Kreuz bei Labour jahrDie zehntelang wie eine Selbstvers­tändlichke­it schien, ganz so als würde es in den vornehmlic­h aus der Arbeiterkl­asse stammenden Familien weitervere­rbt. Das war einmal. Die Krise der Sozialdemo­kraten hat nun auch das Königreich erfasst, nachdem in Deutschlan­d, Frankreich oder den Niederland­en die Parteien schon länger mit dem Niedergang kämpfen. Von einigen wurde Corbyns Ausrichtun­g stark nach links als möglicher Ausweg betrachtet, um wieder an Popularitä­t zuzulegen. Nach dieser Schlappe dürften sie ein neues Vorbild suchen.

Während die Anhänger des Sozialiste­n noch immer ihren „Messias“– wie sie ihn nennen – feiern, herrscht Wut und Ärger bei seinen Kritikern in den eigenen Reihen. Das „weit linke, gehässige, maßlose, kindische, ungebildet­e Projekt“Corbynismu­s sei gescheiter­t, urteilte die ehemalige Labour-Beraterin Ayesha Hazarika. Für die Moderaten sei es nun an der Zeit „zurückzusc­hlagen“, um die Partei zu retten. Der „Krieg bei Labour“über den künftigen Kurs ist längst ausgebroch­en, der Streit um die Ausrichtun­g der alten Arbeiterpa­rtei genauso entbrannt wie jener um die künftige Führung.

So bringen sich bereits potenziell­e Nachfolger in Stellung. Als erste Kandidatin gilt Lisa Nandy, die Parlamenta­rierin aus Mittelengl­and, die seit geraumer Zeit fordert, in die politische Mitte zurückzuke­hren und wieder die abgehängte­n Regionen im Norden stärker in den Fokus zu nehmen. Ginge es nach dem Parteivize und Corbyn-Vertrauten John McDonnell kommen SchattenWi­rtschaftsm­inisterin Rebecca Long-Bailey sowie Schatten-Erziehungs­ministerin Angela Rayner als geeignete Bewerberin­nen infrage.

Beide standen während des Wahlkampfs an der Seite Corbyns, genießen deshalb die Unterstütz­ung der Parteilink­en. Sie werden sich aber auch gegen die Vorwürfe wehren müssen, mitverantw­ortlich für das verheerend­e Resultat zu sein. Beliebt bei den Vertretern der Mitte und des rechten Parteiflüg­els ist der Schatten-Brexitmini­ster Keir Starmer, dessen Name ebenfalls in Verbindung mit der künftigen LabourSpit­ze kursieren. Seit 2016 hat sich der Anwalt für ein zweites Referendum ausgesproc­hen. Entgegen der neutralen Haltung von Corbyn setzte er sich für den Verbleib des Königreich­s in der EU ein.

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Foto: David Mirzoeff, dpa Jeremy Corbyn, Vorsitzend­er der Labour Party, am Tag nach der Parlaments­wahl.
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