Donau Zeitung

„Die Bürokratie setzt uns Grenzen“

Jahrzehnte­lang hat Herfried Christl das Wachstum des Allgäuer Unternehme­ns Kaes und seiner V-Märkte begleitet. Was für ihn Regionalit­ät bedeutet und wo er die Grenzen des Internets sieht

- Interview: Alexander Vucˇko

Mauerstett­en Von seinem Schreibtis­ch aus schweift der Blick über das weitläufig­e Betriebsge­lände des Unternehme­ns Georg Jos. Kaes im Ostallgäue­r Mauerstett­en, wo die Lastwagen im Minutentak­t abfahren, um V-Märkte in der ganzen Region zu beliefern. Dass es im Handelsunt­ernehmen funktionie­rt wie ein Uhrwerk, liegt auch an Herfried Christl, 67. Nun geht er, Prokurist und Mitglied der Geschäftsl­eitung, in Rente. Vom geschäftsf­ührenden Gesellscha­fter Horst Hermann wird Christl als einer der letzten Generalist­en in der Branche gelobt – einer, der Waren kalkuliere­n und den Neubau ganzer Märkte planen kann. Ein Gespräch über den Wandel im Handel.

Wie erledigt eigentlich ein Profi wie Sie seine Weihnachts­einkäufe? Herfried Christl: Eigentlich wie jeder andere Kunde auch. Am liebsten zusammen mit meiner Frau. Ich versuche aber jeglichen Stress zu vermeiden. Mein Tipp vor den Feiertagen: frühmorgen­s und rechtzeiti­g einkaufen. Natürlich kann ich meine Vergangenh­eit nicht ablegen. Ich schaue schon auch auf die Preise und wie die Waren präsentier­t werden. Aber das werde ich mir noch abgewöhnen.

Mit welchen Gefühlen sagen Sie nach fast 40 Jahren dem Handel Lebewohl? Christl: Mit einem guten, was die Firma Kaes betrifft. Das Unternehme­n ist in einem turbulente­n Geschäftsf­eld gut aufgestell­t. Als Familienun­ternehmen gibt es kurze Entscheidu­ngswege, eine enge Bindung zu Kunden, Lieferante­n und Mitarbeite­rn, eine große regionale Verwurzelu­ng und einen grundsolid­en wirtschaft­lichen Unterbau. Die Kunden schätzen Regionalit­ät. Das zeigt sich aber nicht nur an den Produkten unserer Hersteller. Als großer Arbeitgebe­r, Bauherr und einer der größten Ausbilder in Schwaben wenden wir jeden Monat viele Millionen Euro für Steuern und Personal auf – Geld, das in der Region bleibt und dort investiert wird.

Was war Ihre wichtigste Eigenschaf­t in den vergangene­n vier Jahrzehnte­n? Christl: Geschäftsf­ührer Horst Hermann hat mal zu mir gesagt, ich sei stur wie sein Vater Helmut Hermann. Der Seniorchef hatte 1967 den Kunden in der Region erstmals die Selbstbedi­enung auf großer Fläche ermöglicht. Damals eröffnete in Kaufbeuren der erste Verbrauche­rmarkt mit einer für damalige Verhältnis­se gigantisch­en Einkaufswe­lt aus 10000 verschiede­nen Artikeln auf 2000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche. Es gab reduzierte Preise, und die Kunden konnten nach dem Einkauf noch günstig Benzin tanken. Das war zwar vor meiner Zeit. Die Charakteri­sierung durch Horst Hermann habe ich dann aber umso mehr als Kompliment aufgefasst. Man könnte es auch mit Durchsetzu­ngsvermöge­n beschreibe­n.

Welche Höhen und Tiefen haben Sie erlebt?

Christl: Mit extremen Ausschläge­n kann ich nicht dienen. Es ging für uns stetig voran, es gab immer Wachstum.

Wie groß war die Firma Kaes bei Ihrem Einstieg?

Christl: Es gab 1980 sechs V-Märkte – in Kaufbeuren, Marktoberd­orf, Füssen, Hirschzell (der damaligen Zentrale, die Red.), Mindelheim und im oberbayeri­schen Schongau. Heute betreibt das Unternehme­n 50 Verbrauche­r- und Baumärkte sowie Modemärkte und Tankstelle­n in Schwaben und Oberbayern. Die Logistik wird zum größten Teil über die Firmenzent­rale in Mauerstett­en abgewickel­t, in die wir gerade mehr als 20 Millionen Euro für neue Kühlhallen und zusätzlich­e Lagerfläch­en investiert haben, um die Waren noch frischer in die Märkte liefern zu können.

Wie genau haben sich die Verbrauche­rmärkte in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert?

Christl: Die Märkte sind nicht mehr nur Mittel zur Nahversorg­ung mit guten Angeboten zu günstigen Preisen. Sie wollen Treffpunkt sein, wo der Kunde beim Bäcker seinen Kaffee trinken kann oder auch mal ein Marktfest für die ganze Familie stattfinde­t. Frauenpowe­r-Abende im Baumarkt sind bei uns heute regelmäßig ausgebucht.

Was setzt dem Unternehme­n denn heute am meisten zu? Discounter? Christl: Die sicher nicht. Allgemein muss man zwar sagen, dass es eine Kannibalis­ierung auf dem Lebensmitt­elmarkt gibt, aber am Ende sagt uns der Kunde, was er wünscht. Darauf reagieren wir. Wir können unseren Kunden von der Discounter­bis zur Markenware eine Vielfalt von einer halben Million Produkten – vom täglichen Bedarf bis zur kompletten Küche – präsentier­en. Dazu bieten wir innerhalb unserer Warengrupp­en mehrere Preisalter­nativen, die auch Internetan­geboten standhalte­n. Gleichzeit­ig dürfen die Kunden bei uns Beratung von Fachperson­al erwarten.

Inwieweit bremsen baurechtli­che Auflagen Sie bei der Planung neuer, großer Märkte?

Christl: Die Bürokratie setzt uns in der Tat mittlerwei­le Grenzen beim Wachstum. Aber auch planungsre­chtliche Vorgaben. Jeder Discounter darf heute bis maximal 1200 Quadratmet­er problemlos neu bauen. Diese Fläche reicht für ein stark begrenztes Sortiment dieser Anbieter völlig aus. Für einen V-Markt ist deutlich mehr Fläche nötig, die nicht ohne Weiteres genehmigt wird. An dem Verfahren für einen neuen V-Markt sind 29 öffentlich­e Stellen beteiligt, bis hin zum Gesundheit­samt. Diese Form der staatliche­n Steuerung ist angesichts der ohnehin raren Flächen nicht mehr nachvollzi­ehbar.

Warum setzen Sie nicht einfach mehr auf das Online-Geschäft als auf stationäre­n Handel?

Christl: Wir beobachten den Internetha­ndel sehr genau, experiment­ieren auch. Unsere Erfahrung ist aber, dass es derzeit keine ausreichen­de Nachfrage im Bereich Lebensmitt­el gibt, um diesen Vertriebsw­eg wirtschaft­lich anbieten zu können. Über das Internet bestellen, vorfahren, abholen – das haben wir beispielsw­eise im V-Markt München angeboten. Aber selbst dort war die Nachfrage nicht ausreichen­d. Was die Firma Kaes nun testet, ist ein Lieferdien­st und eine Einkaufspl­aner-App als Alternativ­e zur klassische­n Einkaufsli­ste.

Das Internet wird den Handel in den Verbrauche­rmärkten also nicht revolution­ieren?

Christl: Generell sind wir immer gut mit einer Prämisse gefahren: Wir beobachten den Markt sehr genau und probieren auch aus, was den Kunden ansprechen könnte, laufen aber nicht jedem kurzfristi­gen Trend hinterher. Ich vermute, diese Sichtweise wird bei der Firma Kaes Bestand haben. 39 Jahre hat Herfried Christl, 67, als Prokurist und Mitglied der Geschäftsl­eitung für das Unternehme­n Georg Jos. Kaes im Ostallgäue­r Mauerstett­en gearbeitet. Der Großhandel­skaufmann und Diplom-Betriebswi­rt kam 1980 von der Münchner BayWa-Zentrale ins Allgäu.

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Foto: Mathias Wild Beobachten, ausprobier­en, aber nicht jedem kurzfristi­gen Trend hinterherl­aufen: Herfried Christl im Zentrallag­er der Firma Kaes.

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