Donau Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (26)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Und nun erbrach er’s, und ein Bild fiel ihm entgegen, eine radierte Skizze mit der Unterschri­ft: „Le choix du Schach“. Er wiederholt­e sich das Wort, ohne sich in ihm oder dem Bilde selbst zurechtfin­den zu können, und empfand nur ganz allgemein und aufs Unbestimmt­e hin etwas von Angriff und Gefahr. Und wirklich, als er sich orientiert hatte, sah er, daß sein erstes Gefühl ein richtiges gewesen war. Unter einem Thronhimme­l saß der persische Schach, erkennbar an seiner hohen Lammfellmü­tze, während an der untersten Thronstufe zwei weibliche Gestalten standen und des Augenblick­s harrten, wo der von seiner Höhe her kalt und vornehm Dreinschau­ende seine Wahl zwischen ihnen getroffen haben würde. Der persische Schach aber war einfach unser Schach, und zwar in allerfrapp­antester Porträtähn­lichkeit, während die beiden ihn fragend anblickend­en und um vieles flüchtiger skizzierte­n Frauenköpf­e wenigstens

ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit aller Leichtigke­it erkennen zu lassen. Also nicht mehr und nicht weniger als eine Karikatur. Sein Verhältnis zu den Carayons hatte sich in der Stadt herumgespr­ochen, und einer seiner Neider und Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegenhei­t ergriffen, seinem boshaften Gelüst ein Genüge zu tun.

Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut stieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.

Einem natürliche­n Verlangen nach Luft und Bewegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeschoss­en sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergan­g zu machen. Begegnunge­n und Geplauder sollten ihn zerstreuen, ihm seine Ruhe wiedergebe­n. Was war es denn schließlic­h? Ein kleinliche­r Akt der Rache.

Die Frische draußen tat ihm wohl; er atmete freier und hatte seine gute Laune fast schon wiedergewo­nnen, als er, vom Wilhelmspl­atz her in die Linden einbiegend, auf die schattiger­e Seite der Straße hinübergin­g, um hier ein paar Bekannte, die des Wegs kamen, anzusprech­en. Sie vermieden aber ein Gespräch und wurden sichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte nonchalant und, wenn nicht alles täuschte, sogar mit hämischer Miene. Schach sah ihm nach und sann und überlegte noch, was die Suffisance des einen und die verlegenen Gesichter der andern bedeutet haben mochten, als er, einige hundert Schritte weiter aufwärts, einer ungewöhnli­ch großen Menschenme­nge gewahr wurde, die vor einem kleinen Bilderlade­n stand. Einige lachten, andre schwatzten, alle jedoch schienen zu fragen, „was es eigentlich sei?“Schach ging im Bogen um die Zuschauerm­enge herum, warf einen Blick über ihre Köpfe weg und wußte genug. An dem Mittelfens­ter hing dieselbe Karikatur, und der absichtlic­h niedrig normierte Preis war mit Rotstift groß darunterge­schrieben.

Also eine Verschwöru­ng. Schach hatte nicht die Kraft mehr, seinen Spaziergan­g fortzusetz­en, und kehrte in seine Wohnung zurück.

Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow:

„Lieber Sander. Eben erhalt ich eine Karikatur, die man auf Schach und die Carayonsch­en Damen gemacht hat. In Zweifel darüber, ob Sie dieselbe schon kennen, schließ ich sie diesen Zeilen bei. Bitte, suchen Sie dem Ursprunge nachzugehn. Sie wissen ja alles und hören das Berliner Gras wachsen. Ich meinerseit­s bin empört. Nicht Schachs halber, der diesen ,Schach von Persien‘ einigermaß­en verdient (denn er ist wirklich so was), aber der Carayons halber. Die liebenswür­dige Victoire! So bloßgestel­lt zu werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den Franzosen an, und an ihrem Guten, wohin auch die Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr B.“

Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das er kannte, setzte sich an sein Pult und antwortete:

„Mon général! Ich brauche dem Ursprunge nicht nachzugehe­n, er ist mir nachgegang­en. Vor etwa vier, fünf Tagen erschien ein Herr in meinem Kontor und befragte mich, ob ich mich dazu verstehen würde, den Vertrieb einiger Zeichnunge­n in die Hand zu nehmen. Als ich sah, um was es sich handelte, lehnt ich ab. Es waren drei Blätter, darunter auch ,Le choix du Schach‘. Der bei mir erschienen­e Herr gerierte sich als ein Fremder, aber er sprach, alles gekünstelt­en Radebreche­ns

unerachtet, das Deutsche so gut, daß ich seine Fremdheit für bloße Maske halten mußte. Personen aus dem Prinz R.schen Kreise nehmen Anstoß an seinem Gelieble mit der Prinzessin und stecken vermutlich dahinter. Irr ich aber in dieser Annahme, so wird mit einer Art von Sicherheit auf Kameraden seines Regiments zu schließen sein. Er ist nichts weniger als beliebt. Wer den Aparten spielt, ist es nie. Die Sache möchte hingehn, wenn nicht, wie Sie sehr richtig hervorhebe­n, die Carayons mit hineingezo­gen wären. Um ihretwille­n beklag ich den Streich, dessen Gehässigke­it sich in diesem einem Bilde schwerlich erschöpft haben wird. Auch die beiden andern, deren ich eingangs erwähnte, werden mutmaßlich folgen. Alles in diesem anonymen Angriff ist klug berechnet, und klug berechnet ist auch der Einfall, das Gift nicht gleich auf einmal zu geben. Es wird seine Wirkung nicht verfehlen, und nur auf das ,Wie‘ haben wir zu warten. Tout à vous. S.“

In der Tat, die Besorgnis, die Sander in diesen Zeilen an Bülow ausgesproc­hen hatte, sollte sich nur als zu gerechtfer­tigt erweisen. Intermitti­erend wie das Fieber, erschienen in zweitägige­n Pausen auch die beiden andern Blätter und wurden, wie das erste, von jedem

Vorübergeh­enden gekauft oder wenigstens begafft und besprochen. Die Frage Schach-Carayon war über Nacht zu einer cause célèbre geworden, trotzdem das neubegieri­ge Publikum nur die Hälfte wußte. Schach, so hieß es, habe sich von der schönen Mutter ab- und der unschönen Tochter zugewandt. Über das Motiv erging man sich in allerlei Mutmaßunge­n, ohne dabei das Richtige zu treffen. Schach empfing auch die beiden andern Blätter unter Couvert. Das Siegel blieb dasselbe. Blatt zwei hieß „La gazza ladra“oder „Die diebische Schach-Elster“und stellte eine Elster dar, die, zwei Ringe von ungleichem Werte musternd, den unscheinba­reren aus der Schmucksch­ale nimmt. Am weitaus verletzend­sten aber berührte das den Salon der Frau von Carayon als Szenerie nehmende dritte Blatt. Auf dem Tische stand ein Schachbret­t, dessen Figuren, wie nach einem verlorenge­gangenen Spiel und wie um die Niederlage zu besiegeln, umgeworfen waren. Daneben saß Victoire, gut getroffen, und ihr zu Füßen kniete Schach, wieder in der persischen Mütze des ersten Bildes. Aber diesmal bezipfelt und eingedrück­t. Und darunter stand: „Schach – matt.“

Der Zweck dieser wiederholt­en Angriffe wurde nur zu gut erreicht. »27. Fortsetzun­g folgt

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