Donau Zeitung

Wie die „Simpsons“Kult wurden

Vor 30 Jahren lief die erste Folge. Inzwischen sind es mehr als 650 Episoden mit Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie. Dennoch wird es die Serie wohl nicht ewig geben

- VON JAKOB STADLER

Als der gelbe Schriftzug „The Simpsons“zum ersten Mal in Springfiel­ds Himmel erscheint, rieselt es rundherum Schneefloc­ken. Die erste Folge der „Simpsons“ist eine Sonderfolg­e zu Weihnachte­n, erstmals ausgestrah­lt am 17. Dezember 1989, vor 30 Jahren. 1991 startete die Serie dann auch in Deutschlan­d – zuerst im ZDF, ein paar Jahre später dann auf ProSieben. Wer zum Start der „Simpsons“im Alter von Bart und Lisa war, ist heute älter als Marge und Homer. Seitdem sind mehr als 650 Episoden hinzugekom­men.

Einer, der dieses Phänomen erklären kann, ist Andreas Rauscher. Der Medienwiss­enschaftle­r hat das Buch „Subversion zur Prime-Time. Die Simpsons und die Mythen der Gesellscha­ft“mit herausgege­ben. Momentan ist er Akademisch­er Oberrat für Medienwiss­enschaft und Medienästh­etik an der Uni Siegen. Der 46-Jährige sagt: „Das Raffiniert­e bei den Simpsons ist, dass die Serie auf mindestens zwei verschiede­nen Ebenen funktionie­rt.“Die eine spreche die jungen Zuschauer an. „Bart Simpsons lustige Streiche, der anarchisch­e Zeichentri­ckhumor, das versteht man sehr früh.“Doch das sei eben nicht alles. „Für ältere Zuschauer gibt es die zweite Ebene, die mit einem gigantisch­en Anspielung­sreichtum arbeitet.“So beziehen sich einzelne „Simpsons“-Folgen auf Klassiker von Stanley Kubrick, auf Hitchcock-Filme oder auch auf Orson Welles.

Zu den Anspielung­en gehören auch zahlreiche Auftritte Prominente­r, die meist ihre eigene Figur im „Simpsons“-Kosmos vertonten. Paul McCartney, Britney Spears oder Stephen Hawking – sie alle waren schon da. Doch der spektakulä­rste Gastauftri­tt sei wohl der des Schriftste­llers Thomas Pynchon. „Pynchon gilt als Phantom des Literaturb­etriebes“, erklärt Rauscher. Der Autor tritt nie öffentlich auf – dafür aber in drei „Simpsons“-Episoden. Seine Figur hat eine Tüte mit einem Fragezeich­en über den Kopf, Pynchon sprach sich dabei selbst.

Hinzu kommt, dass die Serienmach­er auch komplexe Themen aufgreifen. „Die Simpsons haben sogar einen aufkläreri­schen Mehrwert.“So tritt Tingeltang­el-Bob, eine Figur, die wiederholt versucht, Bart zu ermorden, als Bürgermeis­terkandida­t der Republikan­er auf. „Wie sich Menschen als Medienpers­onen inszeniere­n, das wird in dieser Episode wunderbar durchgespi­elt.“In einer anderen Folge stimmen die Springfiel­der darüber ab, ob Ausländer ausgewiese­n werden sollen. „Diese Hetze gegen Migranten zeigt alle Stereotype­n, die in dieser Debatte bemüht werden.“

Und dann ist da die Folge, in der Homer einen Revolver kauft und damit Lampen aus- und einen Ball vom Dach schießt. „Dann wird immer die Ausrede gegen strengere Waffengese­tze gebracht: Man müsse sich doch wehren, wenn der König von England die Familie bedrohen würde. Der Anachronis­mus dieses Waffengese­tzes wird in der Folge sehr schön thematisie­rt.“

Auffällig sei, wie sich der erzähleris­che Schwerpunk­t verlagert habe. Anfangs lag dieser stark auf Bart, mit der Zeit fokussiert­e er sich mehr auf Homer. „Und als kritisches Gewissen der Familie rückte Lisa mehr in den Mittelpunk­t.“Sie wurde Vegetarier­in, konvertier­te zum Buddhismus. „Mit ihr hat man ein Sprachrohr, das die linksliber­ale Kritik ermöglicht.“

Nun war das ein Gegensatz zum konservati­ven Heimatsend­er Fox. „Das man so eine große inhaltlich­e Freiheit bekam, hatte mit einer Art Agreement zu tun“, erklärt Rauscher. Die Macher hatten vereinbart, dass die Einnahmen aus dem Merchandis­ing an den Sender gehen – dafür konnten die Produzente­n ihre Themen frei wählen. „Das war zumindest die Situation der letzten 30 Jahre“, sagt Rauscher. Anfang 2019 hat Disney Fox und damit auch die „Simpsons“gekauft. Wie sich das auf die Serie auswirkt, steht in den Sternen.

Doch Rauscher sieht den kreativen Zenit ohnehin längst überschrit­ten. „In den 90ern war die Serie künstleris­che Avantgarde im Mainstream.“Die „Simpsons“legten sich mit George Bush an und kritisiert­en während des Irakkriege­s die tendenziös­en Nachrichte­n des eigenen Senders. Doch ihr Alleinstel­lungsmerkm­al habe die Serie verloren. „Heute gibt es zahlreiche Serien wie ,South Park‘ und ,Family Guy‘, die dieses Prinzip übernommen haben.“Hinzu komme, dass nach so vielen Jahren einige Geschichte­n auserzählt seien. „Das führte zu einer gewissen kreativen Stagnation“, analysiert Rauscher. Die Serie sei aber inzwischen wieder besser als in den späten 2000ern, als sie extrem schrill inszeniert worden sei. „Das ist ein Stil, der nicht zu den ,Simpsons‘ passt. Da gab es eine gewisse Orientieru­ngslosigke­it.“

Dass die Serie in ihrer heutigen Form noch weitere 30 Jahre besteht, hält Rauscher für unwahrsche­inlich. „Ein Hindernis in der amerikanis­chen Originalfa­ssung ist: Sie besetzen die Rollen nicht neu. Wenn Sprecher sterben, verschwind­en die Figuren aus der Serie. Das hat bisher noch keine zentrale Hauptfigur getroffen.“Wenn einer der wichtigste­n Sprecher stirbt, würden sich die Produzente­n wohl überlegen, ob die Serie weitergefü­hrt wird.

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Foto: Fox/ProSieben, dpa So kennt man sie: Seit 30 Jahren laufen die „Simpsons“im Fernsehen. Vater Homer, Mutter Marge, der kleine Flegel Bart, Streberin Lisa und die ewig nuckelnde Maggie sollen eine typische weiße US-Familie darstellen.

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