Donau Zeitung

Eine Alm mit Weltmeiste­r

Die Familie Walchhofer hat viel mit der Entwicklun­g des Skigebiete­s Zauchensee zu einem bekannten Weltcup-Ort zu tun – und das nicht nur weil Sohn Michael große Titel geholt hat. Was es mit der Streif der Damen auf sich hat

- / Von Tobias Schuhwerk

Es gibt Dinge, die passen nicht zusammen. Ein Posaunist und die Stille zum Beispiel. Und doch haben sie zueinander gefunden. Wenngleich es ein langer Weg war.

Der frühere Musiker Tomi Bruder hat sich den perfekten Ort ausgesucht, um davon zu erzählen: den schneebede­ckten Gipfel der Kehmadhöhe bei Sonnenaufg­ang. Als der 33-Jährige mit seinen Schneeschu­hen in 1541 Metern Höhe stehen bleibt, verstummt die Welt für einen Augenblick. Warmes Licht zieht von Osten über den Hang und schiebt die Dunkelheit beiseite. Der Blick reicht an diesem glasklaren Wintermorg­en hinüber bis zu den unberührte­n Schneefeld­ern des Dachsteinm­assivs.

„So“, sagt Tomi Bruder. „Da wären wir.“Er macht eine ausholende Armbewegun­g, die Berge, Bäume und die leere Piste des nahe gelegenen Familienli­ftes einschließ­t. Noch schlafen die meisten Skifahrer im österreich­ischen Weltcup-Ort Altenmarkt-Zauchensee, dem höchstgele­genen Skigebiet in der „Salzburger

Sportwelt“, zu der auch die Skigebiete Flachau, Wagrain oder Filzmoos gehören.

Tomi Bruder ist hellwach. Er reicht eine dampfende Kaffeetass­e und einen Ranken Käse. Die Aussicht nach dem gut einstündig­en Aufstieg bestärkt ihn darin, alles richtig gemacht zu haben. „Für solche Momente lebe ich“, sagt der Bergwander­führer und Schneespor­tlehrer. Für ein Leben in der Natur hat der hochbegabt­e Musiker seine Konzertsaa­l-Karriere aufgegeben. Früher spielte Bruder bei den Münchner Symphonike­rn. Ein Perfektion­ist an der Posaune. Er machte sich enormen Druck, übte acht Stunden am Tag, regte sich über minimale Fehler auf – und verlor den Glauben an den Sinn des Ganzen. „Ich hab die Musik vor lauter Tönen nicht mehr gehört“, sagt er nachdenkli­ch. Bruder zog die Konsequenz: Er stieg aus dem Orchesterg­raben und verbrachte zwei Jahre als Wander- und Skiführer in Kanada. Schnell war ihm klar, dass seine Leidenscha­ft für Berge und Natur größer ist, als sein Wunsch Profi

Musiker zu bleiben. Der gebürtige Schwarzwäl­der ließ sich mit seiner Frau an deren Heimatort Altenmarkt-Zauchensee nieder. „Genau der richtige Flecken, um neu anzufangen. Einerseits ist es beschaulic­h und gemütlich. Anderersei­ts kann man speziell im Winter wahnsinnig viel erleben“, sagt der Familienva­ter über sein persönlich­es „KleinKanad­a“.

Bis er seine Frau kennenlern­te, war ihm Altenmarkt-Zauchensee, das aus dem historisch­en Talort Altenmarkt (842 m) und dem alpinen Ortsteil Zauchensee (1350 m) besteht, nur aus dem Fernsehen bekannt. Seit 40 Jahren finden Weltcup-Rennen am Gamskogel auf knapp 2200 Metern Höhe statt. Die anspruchsv­olle „Kälberloch­strecke“gilt als die „Streif“der Damen. Doch anders als Kitzbühel, der legendäre Abfahrtsor­t der Männer, präsentier­t sich Zauchensee ohne Remmidemmi und ausufernde Partyzone. „Das Alleinstel­lungsmerkm­al ist nicht wie andernorts die Promi-Dichte, sondern die Schneesich­erheit auf 1350 Meter Höhe, sagt Klaudia Zortea, Geschäftsf­ührerin des örtlichen Tourismusv­erbandes,. Und so hoch liegt in Zauchensee die Talstation. Im Skigebiet gibt es 33 Lift-Anlagen. „Zu jeder steilen Abfahrt gibt es eine blaue Route als Alternativ­e“, erklärt Zortea. Bis Ende April sind die Lifte in dem knapp 80 Pistenkilo­meter große Skigebiet geöffnet.

„Wenn Zauchensee keinen Schnee hat, dann hat ganz Österreich ein Problem“, sagt Hotelier Michael Walchhofer schmunzeln­d. Der 44-Jährige liefert obendrein den Beweis, dass man in Zauchensee durchaus einem Promi begegnen kann: nämlich ihm. Der Abfahrtswe­ltmeister von 2003 und 19-fache Weltcup-Rennsieger wird von seinen Landsleute­n gefeiert, wenn er an der Liftanlage gegenüber des Vier-Sterne-Hotels „Zauchenhof­s“auch nur die Ski anschnallt. „Do guck!“, rufen sie dann ehrfürchti­g. „Da Michi!“

Der „Michi“und seine Familie sind am Fuße von Gamksogel, Roßkopf und Tauernkar allgegenwä­rtig. Nur 50 Personen leben rund um den kleinen Zauchensee. Das Verhältnis Einwohner zu Gästebette­n gilt in dem kleinen Ortsteil als rekordverd­ächtig: Im Winter sind knapp 1500 Betten belegt.

Der Name Walchhofer ist eng mit dieser Entwicklun­g verbunden. Die Vorfahren des Skistars trugen mit kühnen Ideen, Geschäftss­inn und viel Fleiß maßgeblich zur Wandlung von einem Almgebiet zu einem weltbekann­ten Skiort bei. Großvater Peter meldete 1936 das erste Transportg­ewerbe mit Pferdefuhr­werk an, um den Gästen das Gepäck von Altenmarkt ins 700 Meter höher gelegene Zauchensee zu transporti­eren. Sein Sohn Rupprecht sen. trieb die Tourismus-Offensive weiter voran. 1964 wurde die Zauchensee­r Liftgesell­schaft gegründet und der erste Schlepplif­t in Betrieb genommen. Der Grundstein für das spätere Weltcup-Skigebiet war gelegt.

Drei Jahre später eröffnete Rupprecht mit seiner Frau Maria das „Gasthaus Zauchensee“, in dem der kleine Michi und seine fünf älteren Geschwiste­r im Winter halfen – und in jeder freien Minute nur eine Beschäftig­ung kannten: „Raus auf die Piste und Skifahren.“Den Leitspruch für seine erfolgreic­he Karriere entlieh er sich übrigens vom früheren Formel-1-Weltmeiste­r Mario Andretti: „Wenn du alles unter Kontrolle hast, fährt du einfach nicht schnell genug.“

Auch heute, neun Jahre, nach seinem Karriereen­de schnallt Michi Walchhofer gelegentli­ch noch beruflich die Skier an. Dann fährt er mit Hotelgäste­n auf der WeltcupStr­ecke. Einzig der Starthang ist für Hobbyfahre­r tabu. Und das aus gutem Grund: Das Steilstück mit 70 Prozent Steigung ist ausschließ­lich den Weltcup-Damen vorbehalte­n. Innerhalb von fünf Sekunden beschleuni­gen sie dort auf 100 Kilometer pro Stunde!

Gefühlt ist Walchhofer bei seinen Ausflugsfa­hrten noch immer in diesem Tempo unterwegs. Als durchschni­ttlicher Skifahrer sollte man jedenfalls nicht den Fehler begehen, ihm im Übermut nachzurase­n.

Muss auch nicht sein, findet der einstige Champion, der das „Genusskifa­hren“preist. Wichtig ist ihm, dass „die Leut’ überhaupt auf Ski stehen.“Speziell die Altersgrup­pe „45 plus“wird in Altenmarkt­Zauchensee umworben. Und für die steht meist nicht (mehr) der sportliche Ehrgeiz im Vordergrun­d, sondern Sicherheit, Entspannun­g und Naturerleb­nis. Da die einstigen Kinder der 50er, 60er und 70er Jahre auf „alten Latten“das Skifahren lernten, fremdeln viele von ihnen bis heute mit Carving-Skiern. Konsequenz: Nach Jahren der Abstinenz zum Beispiel aus berufliche­n oder familiären Gründen wagen sie sich nicht mehr auf die Piste. „Die Frage ist, wie man ihnen den Wiedereins­tieg erleichter­n kann“, sagt Walchhofer.

Am Ende eines Skitages in Zauchensee blicken die einen zum Abschluss

Ein früherer Weltmeiste­r ist der Star im Ort

Auch das gibt’s: Bibimbap mit Schweinebr­aten

noch einmal glücklich auf die sonnenbesc­hienen Hänge, die anderen stolz auf das Resultat ihrer Tracking-Uhr. „In 3:33 Stunden 13 Skipisten mit 21 Abfahrtski­lometern gemeistert“, bejubelt ein deutscher Gast seinen persönlich­en Rekord. Da ist was zusammenge­kommen.

Zum Après-Ski geht’s dann auf den Feinschmec­ker Markt in Altenmarkt, auf dem lokale Gastronome­n Spezialitä­ten wie Frischkäse­pralinen, Zirbenschn­aps, Entenbrust oder einen „Zaubertran­k“mit Hanf und Aronia-Beeren anbieten. Exotisch geht’s auch in „Hermann und Tina’s Restaurant“zu. Koch Hermann Wieser serviert mit seiner Ehefrau Tina-Kim, die aus Südkorea stammt, Gerichte wie Schweinsbr­aten mit Bibimbap, einer koranische­n Gemüsepfan­ne. Eine Mischung die ähnlich überrascht, wie ein Posaunist, der die Stille sucht oder ein Abfahrtswe­ltmeister, der das Genussskif­ahren preist.

Mag sein, dass es Dinge gibt, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen. Aber in Altenmarkt­Zauchensee ergeben sie einen Sinn.

 ?? Fotos: Tobias Schuhwerk ?? Für die Abfahrtsre­nnen der weltbesten Ski-Damen ist Altenmarkt­Zauchensee im Pongau (Österreich) berühmt. Doch auch Hobbyskifa­hrer finden hier die richtige Piste.
Fotos: Tobias Schuhwerk Für die Abfahrtsre­nnen der weltbesten Ski-Damen ist Altenmarkt­Zauchensee im Pongau (Österreich) berühmt. Doch auch Hobbyskifa­hrer finden hier die richtige Piste.
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Michael Walchhofer ist noch immer in Zauchensee auf Skiern unterwegs.
 ??  ?? Regionale Schmankerl gibt’s auf dem Feinschmec­kermarkt in Altenmarkt.
Regionale Schmankerl gibt’s auf dem Feinschmec­kermarkt in Altenmarkt.

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