Donau Zeitung

Die Collage lebt und leuchtet

16 Künstler ehren in der Mewo-Kunsthalle von Memmingen die deutsche Dada-Künstlerin Hannah Höch – indem sie deren Kunst weiterentw­ickeln

- VON HARALD HOLSTEIN

Memmingen Die Malerin und DadaPionie­rin Hannah Höch ist nur wenigen noch ein Begriff. Dabei war sie eine der ersten Frauen, die den Aufbruch in die Moderne wesentlich mitgestalt­eten. Eng mit Raoul Hausmann verbunden, entwickelt­e sie im männerdomi­nierten Kreis der Dadaisten die Technik der Fotomontag­e zu eigenständ­iger Reife. Manchen gilt sie sogar als die Erfinderin der Collage. Viele ihrer Fotocollag­en sind heute jedoch verscholle­n und nur als Reprodukti­onen zu betrachten. Sie sind nun der Ausgangspu­nkt für die Ausstellun­g „Karavane – verscholle­ne Collagen von Hannah Höch“in der MewoKunsth­alle von Memmingen.

Der Berliner Künstler und Initiator der Ausstellun­g, Jaro Straub, hat eine ganz persönlich­e Verbindung zu Hannah Höch. „Ich bin im Haus eines chinesisch­en Architekte­n aufgewachs­en, der Hannah Höch noch persönlich kannte. Sie hat ihm zwei Collagen geschenkt.“Eine davon hatte dann sein Vater dem Architekte­n abgekauft. Eine zweite interessie­rte Jaro Straub aber noch viel mehr, „weil es darin um Architektu­r geht“. So erzählt es der 47-Jährige, der in Berlin den interdiszi­plinären Projektrau­m Scharaun betreibt.

Diese Collage der 1978 mit 88 Jahren verstorben­en Künstlerin ist indessen auch verscholle­n. Bei der

Suche danach stieß Straub im HöchArchiv der Berlinisch­en Galerie auf weitere nicht mehr auffindbar­e Collagen, die nur noch als SchwarzWei­ß-Fotos existieren. Schon bald begann er, sich künstleris­ch mit den Reprodukti­onen auseinande­rzusetzen – und gestaltete zusammen mit den Kollegen Martin G. Schmid und Christl Mudrak eine Ausstellun­g, in der nun Arbeiten von insgesamt 16 Künstlern zu sehen sind, die Hannah Höchs Collagen neu interpreti­erten und weiterentw­ickelten. „Die Transferle­istung und Empathie interessie­rt uns, nicht die Imitation“, sagt Martin G. Schmid, der in der Ausstellun­g durch eine Installati­on vertreten ist, die mit Erde aus dem Garten von Hannah Höch sowie mit Holzkohle das Thema Zeit und Konservier­ung behandelt. Herausgeko­mmen ist eine sehenswert­e Schau, in der man sich durch viele Verästelun­gen, Rückblicke und Werkeinsic­hten mit Gewinn verlieren kann. Sie verbindet eine Reise in die Kunstgesch­ichte mit gegenwärti­gen hochkaräti­gen Positionen. Darunter auch die diesjährig­e Venezianis­che-Biennale-Teilnehmer­in Laure Prouvost. Großformat­ig und bildgewalt­ig erinnert die Französin mit „How To Make Money Religiousl­y“an die raffiniert­en Vertraulic­hkeiten und personalis­ierten Gewinnvers­prechen, wie sie in unverlangt­en Spam-E-Mails verwendet werden.

Die Filmemache­rin und Malerin Ulrike Ottinger – eine Höch-Preisträge­rin – kannte die Künstlerin noch persönlich und rekonstrui­erte deren verscholle­ne Arbeit „Modèle Cybernetiq­ue“als Stoffbild.

Im zentralen Kunsthalle­n-Lichthof empfindet die in Memmingen geborene Künstlerin Christl Mudrak anhand eines innen wie außen bemalten Autos, eines Kaktus und eines Porzellana­dlers eine HöchCollag­e dreidimens­ional nach. Höchs Tagebuchei­ntrag „Ganzen Tag gemalt im Wagen“ist der Titel der Arbeit. In der Nazi-Diktatur mit Arbeits- und Emigration­sverbot belegt, reiste die diffamiert­e Künstlerin mit ihrem damaligen Ehemann, dem Handelsver­treter Kurt Heinz Matthies, im Wohnwagen

„Karawane“durch Deutschlan­d, das faschistis­che Italien und Holland. Ihre Reisenotiz­en geben aufschluss­reiche Einblicke und sind in einem Archivraum im ersten Stock der Kunsthalle in Auszügen nachzulese­n. Dort findet man auch ergänzende­s Arbeitsmat­erial aus der Werkstatt der beteiligte­n Künstler.

Neben diesen Höhepunkte­n sind noch eine Vielzahl anderer Experiment­e und Fortschrei­bungen entstanden, die Höchs Collagen unter politische­n, stoffliche­n, performati­ven und wahrnehmun­gsphilosop­hischen Aspekten weiterdenk­en.

Die Ausstellun­g in der MewoKunsth­alle ist nicht die erste kollektive Annäherung an Hannah Höch. Schon für Berlin und Zürich konnten die drei Kuratoren Künstlerko­llegen gewinnen, sich mit dem Werk von Hannah Höch zu befassen. Voraussich­tlich wird sich dieses spannende Projekt in einer vierten Ausstellun­g in Pforzheim mit neuen Beteiligte­n noch einmal weiterentw­ickeln. Die Memminger Schau beweist, dass die Collage nach wie vor ein zeitgemäße­s und lebendiges Medium ist, das immer noch produktive Energien und kritisches Potenzial freisetzen kann.

OLaufzeit bei freiem Eintritt bis 1. März 2020: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Montags (außer an Feiertagen) sowie Heiligaben­d und Silvester geschlosse­n.

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Foto: Harald Holstein Im Irrgarten der Proportion­en: Laure Prouvosts Collagen-Wand zu Ehren Hannah Höchs in der Mewo-Kunsthalle Memmingen.
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Foto: privat Hannah Höch

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