„Ja Buale, was willsch denn du“– „Ich möchte, bitte, Schnaps“
Siegfried Welty, Diedorf
In den letzten Tagen des April 1945 und als Augsburg schon von den US-Truppen kampflos eingenommen worden war, verhängten diese eine totale Ausgangssperre. Wie dies genau bekannt gemacht wurde – über Radio oder Lautsprecherdurchsagen –, weiß ich nicht.
Es war ein angenehm warmer Nachmittag und die Tartarenmeldungen setzten sich über die Menschen in den Vorgärten fort: So z. B.: In Pfersee über die Lutzstraße, Ludwig-Thoma-Straße, Uhlandstraße. Mein Elternhaus erreichten sie in der Arnulfstraße mit einer Spannweite von standrechtlichen Erschießungen durch wahlweise versprengte SS-Leute oder
Amerikaner bis zu geschenktem, bis dahin unbekanntem Nahrungsmittel „Dschuinggam“. In Erinnerung ist mir ein besonders würfelförmiges Exemplar mit starkem Zimtgeschmack.
Elektrisierend war jedoch die von mehreren Gärten kolportierte Botschaft, bei der nahegelegenen Zuckerwarenfabrik Reitenberger käme man an Schnaps. Ein gewisser Wahrheitsgehalt schien begründbar, war doch bekannt, dass diese Firma Schnapsbohnen für das wo auch immer noch kämpfende Heer produzierte. Meine Mutter stattete mich mit der Blechmilchkanne für den Transport entrahmter Frischmilch aus, hob den Achtjährigen über den Nachbarzaun, und so ging es stafettenartig bis in den Wirtsgarten der Gaststätte „Linde“. Gegenüber sah ich das mannshohe Holztor, das den weitläufigen Fabrikhof vom Reitenberger abschloss. Davor drängelte sich etwa ein Dutzend Männer, die mich am Empfang sofort über das Tor hievten. Ich rutschte die Lattenwand herab und ging zielbewusst auf eine Handvoll Männer in Lederjacken zu. Einer fragte mich: „Ja Buale, was willsch denn du?“Ich antwortete: „Ich möchte, bitte, Schnaps.“Ein besonders Freundlicher nahm meine Milchkanne, füllte sie mit Schnapsbohnen und Drops und sagte: „Für Schnaps bist du noch zu klein“, führte mich zu dem geschlossenen Hoftor, setzte mich auf die Kante, wo mich Hilfsbereite in Empfang nahmen, mir aber, nach einem Blick in die Milchkanne und die obenauf liegenden Drops, keine weitere Aufmerksamkeit schenkten.
Auf meinem Rückweg über die Gärten wurde ich befragt und vorsichtig weitergereicht. Meine Mutter war nicht überrascht über das Durcheinander in dem nur noch halb vollen Behältnis und überließ mir ungeprüft den Ertrag. Mein Geschmackssinn für Süßes, der bis dahin nun Kunsthonig und Vierfruchtmarmelade (1 Teil Zuckerrübe, 1 Teil Feldrübe, 1 Teil Saurübe, 1 Teil rote Farbe) kannte, wurde damit bis zum heutigen Tag veredelt.