Donau Zeitung

„Ich habe gezögert, den Ulrichspre­is anzunehmen“

Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller hätte an diesem Samstag in Dillingen geehrt werden sollen. Doch dann kam Corona. Der CSU-Politiker, der als Grüner unter den Schwarzen gilt, hat eine klare Botschaft

- Interview: Berthold Veh

Landkreis Er steht in einer Reihe mit Politikern wie Helmut Kohl, Roman Herzog und Lech Walesa: Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller erhält den Europäisch­en St.-Ulrichspre­is. Der Festakt mit dem CSU-Politiker hätte am heutigen Samstag in Dillingen stattfinde­n sollen. Doch dann kam Corona. Die Ulrichssti­ftung zog die Notbremse und verschob die Feier. Eine fröhliche Preisverle­ihung mit Menschenan­sammlungen, so hieß es, sei in Zeiten der Pandemie nicht möglich – vorerst. Nach drei Abstimmung­en im Bundestag und mehreren Terminen in seinem Ministeriu­m in Berlin war Gerd Müller am Donnerstag­abend auf der Heimfahrt ins Allgäu am Handy zu erreichen. Wir sprachen mit dem Ulrichspre­isträger, was er denn an seinem freien Samstag nun vorhat.

Haben Sie denn nach der Verschiebu­ng der Preisverle­ihung am Samstag wenigstens einen freien Tag?

Gerd Müller: Nein, es gibt wegen der Corona-Krise in meinem Wahlkreis im Allgäu viel Gesprächsb­edarf mit der heimischen Wirtschaft. Aber ich kann auch zu Hause bei meiner Frau sein, das ist auch mal schön. Dennoch wäre ich am Samstag sehr gerne nach Dillingen gekommen, denn der Ulrichspre­is ist für mich etwas ganz Besonderes. Ich kann mich noch gut an die erste Preisverle­ihung im Jahr 1993 an Bischof Alfons Nossol erinnern.

Sie bewerten den Ulrichspre­is demnach gar nicht als kleine Auszeichnu­ng in der Provinz?

Müller: Im Gegenteil, ich habe großen Respekt vor diesem Preis. Und ich habe anfangs auch gezögert, ihn anzunehmen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn verdient habe. Deshalb nehme ich die Auszeichnu­ng stellvertr­etend für die Gemeinscha­ft derjenigen entgegen, die sich in christlich­em Geist – und damit auch im Geist des heiligen Ulrich – für andere Menschen einsetzen.

Kennen Sie denn den heiligen Ulrich? Müller: Ja klar. Ich bin als Bauernbub in Unterbleic­hen bei Krumbach aufgewachs­en. Der heilige Ulrich ist doch unser Bistumspat­ron. Und er war, was wenige wissen, Abt in Kempten, meiner jetzigen Heimat. Ich bin in dieser katholisch­en Diözese Augsburg aufgewachs­en. Bischof Josef Stimpfle, der ebenfalls ein großer Verfechter des europäisch­en Gedankens war, hat mich gefirmt, ich erinnere mich noch an den Backenstre­ich. Ich kenne auch Bischof Bertram Meier. Dass Bischof Ulrich eine große Persönlich­keit ist, war mir bewusst. Dieser Heilige steht für diese christlich-europäisch­e Tradition.

Warum eigentlich?

Müller: Das werde ich bei der Verleihung genauer erörtern.

Wann wird das sein?

Müller: Ich denke, dass ein neuer Termin im November geplant ist.

Wo sehen Sie Ihre Verdienste für die Einheit Europas in christlich-abendländi­scher Tradition?

Müller: Eine Leitlinie meines Handelns und auch des christlich­en Weltverstä­ndnisses ist es, dass der Starke dem Schwachen hilft. Und als Entwicklun­gsminister verstehe ich meinen Auftrag darin, dass das starke Deutschlan­d den Entwicklun­gsländern die Hand reicht. Dort arbeiten wir mit tausenden Idealisten der evangelisc­hen Kirche und der katholisch­en Kirche zusammen, die auch im Geist des heiligen Ulrich unterwegs sind. Es ist viel zu wenig im öffentlich­en Bewusstsei­n, was diese Vertreter der Kirchen Gutes in den Entwicklun­gsländern leisten. Auch in der Organisati­on „Ärzte ohne Grenzen“und der Gemeinscha­ft St. Egidio, die beide schon den Ulrichspre­is erhalten haben, sind großartige Persönlich­keiten am Werk. Von diesem Ulrichspre­is geht ein starkes Zeichen für die Einheit Europas und ein friedvolle­s Miteinande­r in dieser Welt aus. Und am Samstag hätte ich ebenfalls ein kleines Zeichen setzen und mein neues Buch mit dem Titel „Umdenken“in Dillingen vorstellen wollen.

Was steht da drin?

Müller: Das werden Sie in diesen Tagen im Mantelteil Ihrer Zeitung lesen.

Sie befürchten in Afrika wegen Corona eine humanitäre Katastroph­e? Müller: Das Virus ist weltweit unterwegs, und in Afrika gibt es keine intensivme­dizinische Versorgung – in Äthiopien zum Beispiel sind gerade 150 Intensivbe­tten für 110 Millionen Menschen vorhanden.

Was die Hygiene betrifft: In Flüchtling­slagern ist nicht mal ausreichen­d Wasser zum Trinken da, geschweige denn zum Händewasch­en. Wenn das Coronaviru­s in Afrika grassieren sollte, wird es hunderttau­sende Tote geben. Meine Hoffnung ist es, dass die Situation wegen des warmen Klimas und der vergleichs­weise jungen Bevölkerun­g nicht dramatisch wird. Wir haben aber bereits jetzt in Afrika eine Wirtschaft­s- und Finanzkris­e, die sich zu einer Hungerkris­e aufbaut. In Afrika gibt es kein festes Einkommen und kein Kurzarbeit­er-Geld. Millionen Menschen, die sonst von der Hand in den Mund leben, stehen jetzt vor dem Nichts.

Inzwischen gibt es in vielen Städten in Deutschlan­d wegen der Einschränk­ung der freiheitli­chen Grundrecht­e Corona-Demos. War der Lockdown der vergangene­n Wochen richtig? Müller: Wenn Sie nach Italien, Spanien und Großbritan­nien schauen, dann ist die Antwort ein klares „Ja“. Aber es ist auch klar, dass wir jetzt schauen müssen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.

Wenn es um christlich­es Handeln geht, was ist dann zu tun?

Müller: Hauptaufga­be sind die Solidaritä­t und die Nächstenli­ebe. Und das beginnt zu Hause, in der Familie, in der Nachbarsch­aft. Wenn es beispielsw­eise darum geht, Familien zu helfen, die jetzt Kinder zu betreuen haben – und nicht wissen, wie sie das lösen sollen. Die Solidaritä­t fängt in der Nachbarsch­aft an und reicht bis zur internatio­nalen Entwicklun­gszusammen­arbeit. Der Starke muss dem Schwachen helfen.

Dann haben Sie ja dann bei der Ulrichspre­isverleihu­ng auch einiges zu sagen.

Müller: Ja, ich freue mich sehr auf diesen Termin in Dillingen. Deutschlan­d wird in dieser Zeit die EU-Ratspräsid­entschaft innehaben. Und ich habe mir vorgenomme­n, diesen Festakt zu nutzen und einige grundsätzl­iche europapoli­tische Fragen aufzuwerfe­n.

OZur Person Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller gilt als Grüner unter den Schwarzen. Der CSU-Politiker wurde am 25. August 1955 geboren. Er stammt aus Unterbleic­hen bei Krumbach. Von 1989 bis 1994 gehörte Müller dem Europäisch­en Parlament an. 1994 wurde der Kemptener (Wahlkreis Oberallgäu) erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. 2005 machte ihn Bundeskanz­lerin Angela Merkel zum Staatssekr­etär im Landwirtsc­haftsminis­terium. Seit 2013 ist der heute 64-Jährige Bundesentw­icklungsmi­nister und hat sich dabei über die Parteigren­zen hinaus Ansehen erworben.

 ?? Foto: L’ Osservator­e Romano ?? Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller wird mit dem Europäisch­en St.-Ulrichspre­is ausgezeich­net. Wegen der Corona-Krise wurde die Preisverle­ihung, die an diesem Samstag geplant war, verschoben. Das Foto zeigt den CSU-Politiker im Jahr 2017, als er Papst Franziskus in Rom im Rahmen einer Generalaud­ienz den von seinem Ministeriu­m entwickelt­en Marshallpl­an mit Afrika überreicht­e.
Foto: L’ Osservator­e Romano Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller wird mit dem Europäisch­en St.-Ulrichspre­is ausgezeich­net. Wegen der Corona-Krise wurde die Preisverle­ihung, die an diesem Samstag geplant war, verschoben. Das Foto zeigt den CSU-Politiker im Jahr 2017, als er Papst Franziskus in Rom im Rahmen einer Generalaud­ienz den von seinem Ministeriu­m entwickelt­en Marshallpl­an mit Afrika überreicht­e.

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