Wie wir in Zukunft abheben
Corona trifft die Luftfahrtbranche bis ins Mark. Nichts bleibt mehr, wie es ist. Auch die Passagiere müssen sich umstellen, wenn sie künftig einchecken wollen
Augsburg In einer Zeit, als Corona ausschließlich das Bier war, das die Limette braucht, hatte eine Fluglinie bei den Passagieren einmal nachgefragt, wann sie sich im Flieger richtig entspannen. Heraus kam: Fluggäste fühlen sich dann am wohlsten, wenn es kurz vor dem Abflug „Boarding completed“heißt und klar ist, dass der Nachbarsitz frei bleibt. Man hat Platz, kann sich ausbreiten. Abheben bitte.
Wie wird das Fliegen sein, in dem sogenannten neuen Normalzustand, an den sich alle erst noch gewöhnen müssen? In dem der 1,50-MeterAbstand das Maß der Stunde bleibt? Die Antworten lauten: neu, anders, auf jeden Fall zeitaufwendiger. Und: mit Maske. Was auch damit zu tun hat, dass im Flugzeug die so verinnerlichten 1,50 Meter Abstand wohl nicht immer zur Verfügung stehen. Noch bis zum 14. Juni gilt die weltweite Warnung des Auswärtigen Amtes für touristische Reisen ins Ausland wegen Covid-19. Wenn diese nach und nach aufgehoben wird, wenn die Urlaubszeit beginnt, dann wird es enger in den Fliegern.
Noch ist es leer. Auch am Flughafen München. Über 100 Flugzeuge sind dort geparkt, rund 1000 Passagiere kommen pro Tag, 40 bis 50 Starts und Landungen, davon die Hälfte Frachtflüge. Im letzten Jahr waren es rund 130 000 Fluggäste pro Tag bei etwa 1150 Flügen von Passagierfliegern und Frachtern. Aber am Freitag gab der Airport bekannt, sich auf das „Wiederhochfahren des Flugverkehrs“vorzubereiten. Passend dazu teilte das bayerische Verkehrsministerium mit, dass auch in Flugzeugen ab Montag Maskenpflicht besteht. Und nicht nur da, sondern sobald man die „notwendigen Abfertigungsgebäude“betritt. Die Regel gilt auch für das Kontrollund Servicepersonal, soweit es in Kontakt mit den Leuten kommt. Der Flughafen wird über die neuen Verhaltensregeln verstärkt informieren, die Reinigungsintervalle werden erhöht, Spender mit Desinfektionsmittel bereitgestellt. Wo Passagiere sich stauen könnten, sollen Bodenmarkierungen helfen, den Mindestabstand zu wahren. Dort, wo Passagiere und Mitarbeiter in direktem Kontakt stehen, wurden zusätzlich Plexiglasscheiben installiert. Nach Möglichkeit sollen alle online einchecken. Zudem gibt es Automaten – vier davon vor der Sicherheitskontrolle – mit Schutzmasken, Desinfektionstüchern und anderen Hygieneartikeln.
Diese Maßnahmen sind allerdings wohl erst der Anfang. Das Beratungsunternehmen SimpliFlying hat kürzlich eine Studie über „keimfreies Reisen“vorgestellt, die mögliche Veränderungen in der Flugindustrie beschreibt. Und zwar nicht die der Marktstrukturen oder der Airlines wie der Lufthansa, die nach wie vor rund eine Million Euro pro Stunde verliert. Skizziert wurde das, was sich grundlegend für die Passagiere ändern könnte. SimpliFlying hat dabei 70 verschiedene Bereiche identifiziert, in denen sich Reisende wohl umstellen müssen:
Es sei wie nach 9/11. Alles ändert sich. Kamen damals die verschärften Sicherheitschecks hinzu, braucht es künftig diverse weitere Prozeduren, bevor man abheben kann. Dazu könnte beim Check-in das Hochladen eines Immunitätsnachweises gehören, der beweist, dass man Covid-19-Antikörper im Blut hat. Konnte man früher ein bis drei Stunden vor Abflug erscheinen, müssten es bald vier Stunden sein. Denn wer mit dem Flieger starten will, muss künftig vielleicht noch durch eine Art „Desinfektionstunnel“, vorbei am Fieber-Scanner, durch Gesundheitscheck. Die Taschen würden nicht nur auf Waffen geprüft, sondern vorher noch durch UV-Strahlen gereinigt und danach entsprechend gekennzeichnet. Ins Flugzeug dürfe man erst, wenn man über eine Nachricht auf dem Handy aufgerufen werde. Schlange stehen war gestern, On-Board-Verköstigung wie im Restaurant auch. Künftig gäbe es Abgepacktes. Das obligatorische Sicherheitsvideo vor dem Start würde durch eine Desinfektionssequenz erweitert. Man kann das immer weiter durchdeklinieren. Das evidente Ergebnis der Studie lautet jedenfalls: „Die Luftfahrt wird nie wieder sein wie zuvor.“
Das Risiko, sich in Flugzeugen mit Covid-19 zu infizieren, sei laut Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) „extrem gering“. Bei der Rückverfolgung von Infektionsketten sei europaweit „bislang kein einziger Fall“ bekannt geworden, bei dem eine Ansteckung mit Covid-19 an Bord eines Flugzeugs erfolgt sei. Die Kabinenluft, schreibt der BDL, werde durch spezielle Hochleistungspartikelfilter gereinigt, deren Abscheidegrad dem Standard der „Filter eines klinischen Operationssaals“entspreche.
Der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg fasst das Kommende so zusammen: „Die Airlines müssen sehr viel kommunizieren, um das Vertrauen bei den Kunden herzustellen. Wir alle müssen uns auf das neue Reisen ein bisschen charmant einlassen, es kennenlernen und üben.“Er sagt aber auch: „Wenn ich nervös bin, weil mein Sitznachbar niest, sollte ich doch besser in Balkonien Urlaub machen.“Außerdem könne man sich Sicherheit ja auch kaufen. Früher habe man vom Champagner im Flugzeug geschwärmt, künftig sei es eben der Sitz, der neben einem frei bleibe. „Gerade am Anfang werden die Airlines versuchen, das anzubieten“, glaubt Schellenberg.
Könnte eine Möglichkeit sein. Wenn, dann möchte jeder schließlich entspannt fliegen.
Künftig heißt es wohl, bis zu vier Stunden vorher da sein