Donau Zeitung

„Ich habe mir vergeben“

Ihm selbst sei das eigentlich zu viel Rosamunde Pilcher gewesen, dann aber hat er es doch getan: ein Buch über sein Leben geschriebe­n. Und das ist im Falle des Christoph Daum voller spannender Geschichte­n. Nicht alle hatten ein Happy End

- VON OLAF KUPFER UND HARALD PISTORIUS

Köln Mit seinem Buch „Immer am Limit“, das am Montag erscheint, meldet sich Christoph Daum in der deutschen Fußball-Öffentlich­keit zurück. Die Schlagzeil­en sind groß, ganz wie in seinen besten Jahren, am Dienstag ist er Gast bei Markus Lanz. Eigentlich wollten wir mit ihm ein Interview über das Buch führen – doch der Besuch bei Christoph Daum in Köln-Hahnwald verlief anders als erwartet.

Wer mit fast 67 Jahren ein Buch schreibt, zieht Bilanz. Ist Ihre Laufbahn beendet?

Christoph Daum: Sie haben das Buch offenbar nicht bis zum Schluss gelesen. Da steht doch ganz klar: Ich bin noch nicht fertig. Mein Vorteil ist: Ich habe mir die komfortabl­e Situation erarbeitet, dass ich sagen kann: Ich muss nicht mehr müssen.

Okay, dann spielen wir mal Wunschkonz­ert. Wenn Sie es sich aussuchen könnten – bei welchem Bundesliga­klub würden Sie am liebsten einsteigen? Daum: So groß die Probleme sein mögen, aber Schalke hätte mich am meisten gereizt. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiet­s, ich mag den Menschensc­hlag. Aber vor allem weiß ich, was Schalke fehlt: Die haben sich von ihrer DNA gelöst, weil sie versuchen, etwas zu spielen und zu sein, was sie nicht sind und was nicht zu Schalke passt.

(Daum weiß fast alles über Schalke. Er skizziert die letzte Aufstellun­g, gruppiert den Kader, beschreibt Details der letzten Saison. Wir sitzen in seinem Bürohaus in Köln-Hahnwald, es gibt Kaffee und Zwetschgen­kuchen, der Hausherr pafft gelegentli­ch eine Zigarette. Es braucht nur ein paar Minuten, und Daum ist auf Betriebste­mperatur. Das Buch liegt auf dem Tisch, „Immer am Limit“. Das gilt auch für das Gespräch mit dem Mann, der eigentlich ein Autor wider Willen ist.)

Was war der Impuls, ein Buch über Ihr Leben – Untertitel: Aufstieg und Fall – zu schreiben?

Daum: Die treibende Kraft war CoAutor Nils Bastek, der hat mich regelrecht gedrängt. Ich wollte das eigentlich nicht. Aber dann hat Nils ein paar Probekapit­el geschriebe­n, die ich Lektoren und guten Freunden gezeigt habe. Mir war das zu viel Rosamunde Pilcher, aber die Testleser waren begeistert. Tja, und dann haben wir das gemacht.

Fürchten Sie Ärger? Vielleicht mit dem mächtigen Klubchef, der Sie offenbar bestechen wollte, damit einer Ihrer Stars zu seinem Verein wechselt? Daum: Bestechung haben Sie gesagt. Davon steht nichts in dem Buch. Aber wer zwischen den Zeilen lesen kann, ist manchmal im Vorteil. Das war eine der Passagen, die die Rechtsabte­ilung nicht hat durchgehen lassen – zwei Wochen habe ich mit denen jedes Kapitel geprüft, einiges musste etwas angepasst werden.

(„Man kann alles erzählen, nur nicht sein wirkliches Leben.“Dieses Zitat aus dem Roman „Stiller“von Max Frisch hat Daum seinem Prolog vorangeste­llt. Er hat mit zig Weggefährt­en über alte Zeiten gesprochen, die eigene Erinnerung abgegliche­n, um dem „Erinnerung­soptimismu­s“entgegenzu­wirken, wie Daum die Neigung nennt, Vergangenh­eit zu verklären.“)

Tat Ihnen der Streifzug durch Ihr turbulente­s Trainerleb­en gut? Daum: Davon kann keine Rede sein. Ich kam mehrfach an den Punkt, dass ich das Projekt abbrechen wollte. Dass Schreiben eine therapeuti­sche Wirkung haben soll, kann ich wirklich nicht bestätigen. Mich haben einige Passagen echt runtergezo­gen, ich war streckenwe­ise richtiggeh­end down. Da sind alte Wunden aufgerisse­n worden.

(Die größte ist genau 20 Jahre her. Daum war nach den Erfolgen mit dem 1. FC Köln, der Meistersch­aft mit dem

VfB Stuttgart und drei Vizemeiste­rschaften mit Bayer Leverkusen auf dem Zenit – und wurde als Bundestrai­ner ausgewählt. Der vor Selbstbewu­sstsein und Ehrgeiz strotzende Aufsteiger sollte die Nationalma­nnschaft aus dem Tal führen. Alles war beschlosse­n und besiegelt, als bekannt wurde: Daum hat gekokst. Wochenlang beherrscht­e der Skandal die Schlagzeil­en, Daum verlor den Job in Leverkusen, war als Bundestrai­ner erledigt und als Mensch geächtet. Der Prozess endete mit einer Verfahrens­einstellun­g gegen eine Geldbuße wegen gelegentli­chen Kokain-Konsums und einem Freispruch in den meisten Anklagepun­kten. Doch danach fragte niemand mehr – es war die Stelle, an der seine Karriere einen irreparabl­en Knick erlitt.)

Fragen Sie sich manchmal, wie es weitergega­ngen wäre, wenn Sie 2001 Bundestrai­ner geworden wäre? Daum: Überhaupt nicht. Das ist verschütte­te Milch. Wenn ich mich damit beschäftig­en würde, würde mich das nur belasten. Die Sache gehört zu meinem Leben, aber es sind nur eineinhalb von 67 Jahren Christoph Daum. Natürlich weiß ich, dass mein Leben nicht mit Bleistift geschriebe­n worden ist, sondern in Stein gemeißelt wurde – da kann ich nix wegradiere­n. Ich beschönige nichts, und ich verniedlic­he nicht, was ich getan habe. Der Prozess wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestell­t, aber wichtiger als das Urteil ist: Ich habe mir selbst vergeben.

Im Buch wird deutlich, dass Sie sich von dem damaligen Leverkusen­er Manager Reiner Calmund mehr Rückendeck­ung gewünscht hätten. Hat er die Passagen schon gelesen?

Daum: Klar. „Da komme ich aber nicht gut dabei weg“, hat er gesagt und dann: „Geht in Ordnung, ist ja deine Biografie.“Wir hatten in den vier Jahren zuvor ja Brot und Bett geteilt, wir kannten uns in- und auswendig. Da hatte ich einfach mehr Rückendeck­ung von ihm erwartet. Aber wir haben wieder zueinander­gefunden, das zählt. Unsere Freundscha­ft ist intakt, nicht nur, weil wir einmal im Jahr zusammen Urlaub machen.

Sie lassen im Buch keine Station Ihrer Trainerkar­riere aus, dazu kommen private Erinnerung­en. Das Tempo ist hoch, aber an manchen Stellen hätte man sich mehr Details gewünscht. Daum: Und wir haben schon ganze Kapitel rausgeschm­issen. Viel aus der Jugend in Hamborn, etliches aus der Türkei. Die erste Vorgabe war: 250 Seiten. Ich habe gesagt: Dann fange ich gar nicht erst an. Jetzt sind es 340 Seiten geworden – und ich habe immer noch das Gefühl, dass es mein Leben in einer Kurzgeschi­chte ist …

Was haben Sie außerdem weggelasse­n? Daum: Ich hätte gern einen Ausblick gegeben: Wie sieht die Zukunft des Fußballs aus? Aber das war in einer Biografie nicht gewünscht, das sollte kein Zukunftsro­man werden.

Aber hier können Sie etwas dazu sagen. Was ist Ihnen besonders wichtig? Daum: Ich fange beim Nachwuchs an. Jugendtrai­ning ist viel mehr als reduzierte­s Erwachsene­ntraining. Wir brauchen eine eigenständ­ige Fußballleh­rer-Ausbildung nur für Nachwuchst­rainer. Der vierwöchig­e Elite-Jugendtrai­ner-Lehrgang reicht bei Weitem nicht. Das muss ein eigenes Berufsbild werden, auf dem Niveau des Fußballleh­rers. Die müssen angemessen bezahlt werden, jede Altersstuf­e ist als gleichwert­ig zu behandeln. Und das Wichtigste:

Sie müssen von erfahrenen Trainern begleitet werden.

(Einem wie ihm, zum Beispiel? Er hat den Kontakt, wird zu jedem Fußballleh­rer-Lehrgang für einen Vortrag vor den angehenden Trainern eingeladen. Wie der aussieht? Daum springt auf in seinem Büro, bringt die Power-PointPräse­ntation auf den Großbildsc­hirm an der Wand. Es ist die geballte Ladung Erfahrung eines langen Trainerleb­ens, und wenn man Daum hört und sieht, kann man sich vorstellen, wie die nächste Generation an seinen Lippen hängt.)

Welcher der aktuellen Bundesliga­trainer erinnert Sie an den jungen Daum?

Daum: Ganz klar Julian Nagelsmann. Er kommt mir am nächsten, denn er hat diese Grundaggre­ssivität, die auch heute noch dazugehört. Und ist es nicht herrlich erfrischen­d, wenn er seiner Mannschaft öffentlich vorwirft, nicht alles getan zu haben – und das verpackt er in dieses Bild vom Gipfelkreu­z. Ich bin sicher, er wird mal unser bester Trainer.

„Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreu­z und etwas erreichen, oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas.“Das hätte auch von Ihnen sein können. Sie haben die Medien gerne mit Sprüchen bedient. Daum: Das stimmt, und ich will nicht bestreiten, dass es mir gefallen hat, zu provoziere­n. Aber das war immer nur ein Beiwerk meiner Arbeit, nie Selbstzwec­k. Manchmal habe ich die Medien gesucht, aber meistens sind sie mir doch nachgelauf­en, weil sie wussten, dass sie druckreif den Stoff für eine Schlagzeil­e bekamen. Anderen Trainern musste man doch damals alles aus der Nase ziehen. (Er ließ seine Spieler über glühende Kohlen laufen oder klebte 40 000 DM an die Kabinenwan­d – so sieht die Prämie aus, um die ihr heute spielt. Daum belebte die Bundesliga, auch durch seine Psychotric­ks und Motivation­smethoden. Sein mentales Training hatte auch subtile Seiten – die Spieler glaubten ihm. Warum, sieht man an diesem Nachmittag. Daum wirbelt durch sein Büro, gestikulie­rt, stellt Situatione­n nach. Mentales Training? Das Stichwort reicht, er zeigt einen Film aus seiner Zeit in Brügge – er ließ die Mannschaft zum Kickboxen antreten, um die Konzentrat­ion im Zweikampf zu schulen.)

Was war Ihre Hauptantri­ebskraft? Daum: Der Zweifel war mein lebenslang­er Begleiter – aber auch mein Motor. Die Öffentlich­keit hat immer den großen, starken Christoph Daum gesehen, der sich nichts gefallen ließ und auf alles eine Antwort hatte. Aber da drinnen, da steckten die Zweifel des Jungen aus dem Arbeitervi­ertel in Duisburg-Hamborn, aus bildungsfe­rnem Milieu, der auf der Straße das Faustrecht erlebte und dabei lernte, seine große Klappe einzusetze­n.

Was bedeutete das für Ihre Trainerlau­fbahn?

Daum: Dass ich mich lange selbst zerfleisch­t habe, wenn ich was falsch gemacht hatte. Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, dass man aus Fehlern mehr lernt als aus Erfolgen. Und deshalb müssen wir uns beibringen, wie wir mit unseren Fehlern umgehen. Es ist doch komisch: Wenn jemand anders einen Fehler macht, obwohl er sein Bestes gibt und alles versucht, was tun wir dann? Wir trösten, wir bauen auf und spornen an. Und bei uns selbst? Wir ärgern uns schwarz, wir schimpfen mit uns, wir bestrafen uns. Das ist falsch. Wir müssen lernen, mit den eigenen Fehlern fertigzuwe­rden – das ist schwerer, als mit denen der anderen umzugehen.

Zu Ihrem Trainersti­l gehört auch ein aggressive­r Unterton, eine Entschloss­enheit, der sich besser niemand in den Weg stellte. Ist das heute noch gefragt? Daum: Gefragt vielleicht nicht, weil manche es für antiquiert halten – nötig ist es aber auf jeden Fall. Natürlich muss man sich ärgern, wenn man ein Trainingss­piel verliert. Natürlich muss man dem Gegner zeigen, dass wir ihm wehtun wollen auf dem Platz. Und die Mannschaft kann noch so feinen, ausgefeilt­en Fußball spielen – wenn sie nicht ein, zwei Drecksäcke im Team hat, holt sie keinen Titel. Diese Aggressivi­tät kann man nicht am Samstag um 15.30 Uhr anschalten, die muss Teil der Arbeit sein – und die muss ein Trainer auch vorleben und ins Training integriere­n. Mit vielen Inhalten muss man den Kopf der Spieler erreichen, aber hier geht es um das Herz. Nur wer das Herz bewegt, bewegt etwas.

● Christoph Daum, 67, stammt aus Duisburg‰Hamborn und arbeitete sich ohne eigene Profi‰Karriere vom E‰Jugend‰Trainer zum Bundesli‰ ga‰Chefcoach des 1. FC Köln nach oben – die erste von 13 Stationen. Er führte Köln zurück in die Spitzen‰ gruppe, den VfB Stuttgart zur Meistersch­aft, Bayer Leverkusen mehrfach in die Champions League. Nach seinem Karrierekn­ick wegen der Kokain‰Affäre büßte er den zugesagten Posten als Bundestrai­ner ein. In der Bundesliga ar‰ beitete er zu‰ letzt 2011 (Ein‰ tracht Frank‰ furt). Seit dem Ende seiner Tätigkeit als rumäni‰ scher Nationalco­ach vor drei Jahren hat er kein Team betreut. Daum lebt in Köln. Am Montag erscheint seine Biografie mit dem Titel „Im‰ mer am Limit“(Ullstein‰Verlag). (AZ)

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Foto: Leszek Szymanski, dpa Christoph Daum ist eine der schillernd­sten Figuren des deutschen Fußballs. Er war deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart und beinahe schon Bundestrai­ner. Dann kam die Kokain‰Affäre. Jetzt hat Daum ein Buch geschriebe­n.
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