Donau Zeitung

Krankenges­chichten

Menschen wie Vanessa Maier zeigen ihr Leben mit chronische­n Leiden in sozialen Netzwerken. Um sich und anderen zu helfen. Doch das birgt Risiken

- VON ANIKA ZIDAR

Augsburg Morbus Crohn, Epilepsie oder Multiple Sklerose: Die meisten chronische­n Krankheite­n sind Betroffene­n nicht auf den ersten Blick anzusehen. Vielen Menschen bleiben sie deshalb unbekannt. Häufig werden sie auch zu Tabuthemen. Doch gerade junge Betroffene kämpfen dagegen immer stärker an: Sie wollen wahrgenomm­en werden – und teilen ihren Alltag mit chronische­r Krankheit in sozialen Netzwerken mit tausenden Nutzern. Experten warnen allerdings vor den Gefahren, die das für die Blogger selbst, aber auch für andere mit sich bringen kann.

Vanessa Maier aus Würzburg ist so jemand, der die Öffentlich­keit nicht scheut. Die 29-Jährige hat sich ein Netzwerk von fast 4000 Nutzern aufgebaut. Für viele Frauen mit Endometrio­se ist sie ein Vorbild. Bis zu ihrer Diagnose hatte Maier kaum Vorstellun­gen von Endometrio­se. Die Schmerzen, die das wild wuchernde Gewebe in ihren Organen im Unterleib auslöste, hielt sie jahrelang für starke Regelbesch­werden. Sie arbeitete in ihrem ersten Job für einen Stuttgarte­r Automobilb­auer, als es so nicht mehr weitergehe­n konnte: In einer Fachklinik fand sie Hilfe – Ärzte stellten Endo

fest und operierten die Entzündung­sherde. Doch da war die Krankheit in ihrem Körper schon so weit fortgeschr­itten, dass eine Niere nicht mehr zu retten war.

Vanessa Maier erhielt von Ärzten zwar die wichtigste­n Informatio­nen zu Behandlung­swegen. Doch die junge Frau erwartete mehr: Sie wollte mit Menschen sprechen, die ihre Situation verstehen, ihre Ängste nachvollzi­ehen und vielleicht sogar Ratschläge für den Lebensallt­ag mit Endometrio­se geben können. Also klickte sie sich durch Facebook und Instagram, ließ sich inspiriere­n – und begann irgendwann selbst, ihre Krankenges­chichte in Bildern, Videos und Worten im Internet zu veröffentl­ichen.

Der Austausch, der zuvor in Selbsthilf­egruppen seinen Platz hatte, verlagert sich zunehmend ins Internet. Die Corona-Krise habe diese Entwicklun­g noch verstärkt, sagt Corinna Schaefer. Die stellvertr­etende Leiterin des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin mit Sitz in Berlin findet Selbsthilf­e in sozialen Netzwerken zwar grundsätzl­ich sinnvoll: „Für viele Patienten kann es zur Verarbeitu­ng helfen, wenn sie ihre Geschichte teilen. Dabei muss aber klar sein: Wenn sie ihre Geschichte mit Fotos und Videos in sozialen Netzwerken posten, könnten sie sie auch gleich auf eine Postkarte schreiben oder in den Hausflur hängen.“Je mehr Blogger ihre chronische Krankheit in sozialen Netzwerken teilten, desto größer sei die Gefahr, dass ihre Informatio­nen im Versicheru­ngsfall, bei der Arbeitssuc­he oder im privaten Umfeld gegen sie verwendet werden könnten.

Und noch ein weiteres Risiko nennt Expertin Schaefer: Angesichts der Anonymität im Internet werden immer wieder gefälschte Patienteng­eschichten verbreitet. „Nicht immer ist für Nutzer ersichtlic­h, ob es sich um eine Privatpers­on handelt oder um jemanden, der gezielt Werbung macht. Und für Firmen, die im medizinisc­hen Bereich etwas verkaufen möchten, ist Social Media natürlich sehr interessan­t.“Informatio­nen von Menschen, die im Internet Beiträge veröffentl­ichen, müssten daher stets kritisch hinterfrag­t werden – besonders wenn es um Medikament­e oder Gesundheit­sprodukte gehe. „Sonst passiert es leider schnell, dass Patienten Geld für Produkte ausgeben, die ihnen nicht helfen, oder – ebenso schlimm – hilfreiche Behandlung­en ablehnen, nur weil Blogger ihnen das empfehlen“, so Schaefer.

Patienten sollten sich also immer fragen: Wer ist der Anbieter der Gemetriose sundheitsi­nformation? Welches Interesse steckt dahinter? Und gilt die Botschaft auch für mich?

Überaus problemati­sch wird es laut Schaefer, wenn Blogger Wirksamkei­tsaussagen machen. Sie erklärt das an einem Beispiel: „Schlimm ist, wenn jemand sagt: Ich habe zum dritten Mal Arnika-Kügelchen genommen, und jetzt bin ich topfit. Probiert das auch mal aus, das hilft euch bestimmt.“Solche Aussagen seien vom Einzelfall nicht auf die Allgemeinh­eit abzuleiten. „Um Aussagen zur Wirksamkei­t von Verfahren sicher machen zu können, braucht man sehr aufwendige Prozesse. Da reicht eine Einzelerfa­hrung nie aus“, sagt Schaefer.

Gerade bei Influencer­n ist der Übergang von Selbsthilf­e zu Werbung fließend. Influencer sind Menschen, die aufgrund ihrer starken Internetpr­äsenz andere beeinfluss­en können. Die Internetst­ars sind oft auch Werbestars. Das ist der Endometrio­se-Bloggerin Vanessa Maier bewusst. „Im Gesundheit­sbereich als Influencer­in aufzutrete­n, das finde ich echt problemati­sch“, sagt sie. Nur wenn sie eine Sache wirklich gut finde, könne es sein, dass sie sie weiterempf­ehle. „Als Betroffene weiß ich selbst genau, dass nicht jedes Mittel bei allen Patienten gleich gut wirkt.“

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Foto: Vanessa Maier Vanessa Maier aus Würzburg klärt als Bloggerin über ihre Krankheit Endometrio­se auf. An manchen Tagen macht ihr die Krankheit so schwer zu schaffen, dass sie das Bett nicht verlassen kann.

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