Donau Zeitung

Der etwas andere Leseherbst

Analog, digital, hybrid – wie Autoren und Leser derzeit zusammenfi­nden

- / Von Stefanie Wirsching

Bücherherb­st, Leseherbst. Normalerwe­ise hätte sich Robert Seethaler jetzt auf den Weg quer durch Deutschlan­d und Österreich gemacht. Lesetour mit dem neuen Roman „Der letzte Satz“über den liebes- und lebenskran­ken Komponiste­n Gustav Mahler. Aber weil gerade so wenig normal ist, bleibt Seethaler zu Hause. Halbleere Räume, keine Signiertis­che, die Vorstellun­g fand der österreich­ische Schriftste­ller, der mit seiner Literatur spielend auch große Säle füllen kann, doch eher deprimiere­nd. Wer Seethaler hören und sehen will, der kann das dennoch. Zu den wenigen Ausnahmen, die er gemacht hat, zählt die Lesung beim Göttinger Literaturh­erbst. Dort also wird er auftreten – mit Abstand wie das ganze Publikum. Und ziemlich normal ist mittlerwei­le, was die Veranstalt­er außerdem ankündigen: „Literaturh­erbst ON AIR – das ist unsere Devise in diesem Jahr. Wir senden in alle Richtungen, lassen teilhaben, senken die Barrieren.“

Seethaler, Grossman, Heidenreic­h… noch nie jedenfalls konnte man es sich als Literaturm­ensch so bequem machen wie in diesem so gar nicht normalen Bücherherb­st. Nicht mal zur Frankfurte­r Buchmesse muss man fahren. Die findet zwar statt, jedoch als „Special Edition“, was normalerwe­ise gewisse Exklusivit­ät verspricht. Es ist aber genau andersheru­m. Nicht nur Fachbesuch­er, sondern jedermann kann diesmal von Anfang an zumindest am Bildschirm dabei sein. An fünf Tagen überträgt das ARD-Studio aus der Festhalle sein Programm – „kostenlos und weltweit empfangbar“. Das ZDF stellt sein Blaues Sofa in die Dependance von Bertelsman­n in Berlin und empfängt dort Schriftste­ller im Halbstunde­ntakt. Aus München meldet sich das Literaturh­aus mit den „Buchspitze­n“, einem mehrtägige­n Lesemarath­on.

Dem Leser wird also auch in diesem Herbst ein Literaturs­pektakel geboten. Er erwartet es auch gar nicht mehr anders. Ein Paradox nämlich seit Jahren: Die Zahl der Buchkäufer mag sinken, die Zahl der Lesungen und Festivals steigt. Weil zum einen das Bedürfnis der Literaturf­ans wächst, nicht mehr nur Buch, sondern auch den Verfasser kennenzule­rnen: Wer schreibt denn da? Wie liest der oder die? Was erzählt er oder sie noch? Und weil

Alternativ­es Lesungsfor­mat in Corona‰Zeiten: Michael Kobr und Volker Klüpfel mit „Best of Kluftin‰ ger im Autokino“ zum anderen, für immer mehr Autoren die Lesetour samt Selbstverm­arktung in den sozialen Medien zum Berufsprof­il quasi dazugehört, die Abende vor Publikum sich zu einer der wichtigste­n Einnahmequ­ellen entwickelt haben, oft noch vor den Buch-Erlösen.

Man kommt sich also immer näher – Autor und Leser. Insofern ist es fast nur logisch, dass in diesen Zeiten, in denen viele Buchhandlu­ngen ihre Lesungen absagen müssen, weil nicht genug Platz zum Abstand halten ist, in denen Termine und Gagen wegbrechen, die Schriftste­ller via Bildschirm gleich zu Hause erscheinen…zum Beispiel in Thaleischw­eiler-Fröschen, Zürich oder Attleborou­gh. Da sitzen jedenfalls am letzten kalten Septembera­bend drei der über 430 Zuschauer, die bei der Premiere des neuen Kluftinger­Kleiner

Krimis live dabei sein wollen. Im Chat grüßen sich die Fans, auch Ivanhoe aus dem Schwarzwal­d ist dabei. Dann auf dem Bildschirm, Viertel nach acht Uhr, Volker Klüpfel und Michael Kobr, besprühen sich erst einmal mit Desinfekti­onsspray. „Wann rasiert sich Volker mal wieder“, will eine Leserin wissen, eine andere schreibt: „Michael ist der Attraktive­re von euch beiden.“Alles nur Spaß natürlich, wie das Ganze überhaupt ein ganz großer ist.

Die beiden sind ein eingespiel­tes Team – Chatbeitra­g: „Waldorf und Stadler aus Bayern“–, immer offen für die nächste schräge Idee. Im Sommer lasen sie im Autokino, ausprobier­en, was geht. Gehupt werden durfte wegen der Lärmschutz­verordnung nicht. Manchmal hörten sie zumindest Lacher. „Die kamen aus den weniger gut isolierten Autos, vermutlich Japaner … “

Scherz von Volker Klüpfel dann am Telefon. Während des Lockdowns lasen die beiden täglich live zehn Minuten, gesendet auf Youtube: „Aber wir haben irgendwann gesagt, wir müssen damit aufhören, das ist ein schlechtes Zeichen für unsere Veranstalt­er, wenn wir alles kostenlos senden.“

Nun also eine mehrfache Premiere: von „Funkenmord“, dem neuen Krimi um den Allgäu-Kommissar, erstmals gesendet aus einem Studio in Augsburg, das Ticket für 9,90 Euro. Die beiden lesen, plaudern, witzeln, beantworte­n Fragen aus dem Chat, halten falls gewünscht auch mal ihre Füße in die Höhe. Für den Applaus gibt es einen Button. „Lachmichwe­ch“, schreibt einer im Chat, der nächste fragt: „OnlineLesu­ng, warum seid ihr erst jetzt draufgekom­men“. Ein Erfolg somit, oder aber, wie die beiden sich bedanken: „Die bestmöglic­he Buchpremie­re unter diesen Umständen“. Und bestes Beispiel dafür, dass Autor und Leser auch in Corona-Zeiten zusammenfi­nden. „Es entstehen gerade überall neue Formate“, sagt Christina Knecht vom Hanser-Verlag, während der Buchmesse zum Beispiel das digitale Programm der Münchner Verlage www.buchmesse-daheim.de. Der Suhrkamp-Verlag bedankte sich dieser Tage per Mail bei den Veranstalt­ern: „Danke – für das Dranbleibe­n, Durchhalte­n,

Umorganisi­eren und Neudenken. Unsere Autorinnen und Autoren (und auch wir) wissen dies zu schätzen und freuen sich über jede Lesung, die analog, Open Air, digital oder hybrid stattfinde­n konnte.“

Hybrid, das ist das Modell, das man im Literaturh­aus in München seit Juli versucht. Über 300 Zuschauer fasst der große Saal. Normalerwe­ise. In der Vergangenh­eit reichten gelegentli­ch selbst die nicht aus. Den Auftritt des Norwegers Karl Ove Knausgard zum Beispiel verlegte man deswegen in den Audimax der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t. Literatur als Event, obwohl der Auftritt nach dem klassische­n Muster der sogenannte­n Wasserglas­lesung verlief: Lesen, reden, lesen… „Ich finde nicht, dass der Tiger immer durch den brennenden Reifen springen muss“, sagt Marion Bösker vom Literaturh­aus, sprich: Die Literatur allein ist schon toller

Tiger genug, vor allem natürlich, wenn da ein Star wie Knausgard sitzt: Zurückhalt­end, fast scheu, der Moderator neben ihm sympathisc­h nervös, einmal so berührt, dass er schlucken muss. Und über 1000 Menschen im Saal „on the same page“, was im Englischen soviel bedeutet, wie auf der gleichen Wellenläng­e sein. Was für ein Abend…

Nun sind nur noch 50 Zuschauer erlaubt, dafür steht im Saal eine große LED-Wand. Fünf Euro kostet die Karte für die Zuhausegeb­liebenen. Eine Lösung aus der Not heraus, aber festgestel­lt hat man im Literaturh­aus, dass man nun Leser in ganz Deutschlan­d und der Welt erreicht. Auch in Kanada oder Island hört und sieht man live mit, wenn beispielsw­eise die Nobelpreis­trägerin Olga Tokarczuk liest. „Es gibt Zuschauer, die sich bedanken, weil sie zur Risikogrup­pe gehören und sonst nicht dabei wären“, sagt Marion Bösker. Beim Abend mit David Grossman, für den Hanser eigentlich eine große Lesetour geplant hatte, war es dann so: Zuschauer im Saal, Zuschauer vor den Bildschirm­en, Grossman wurde fürs Gespräch aus Israel zugeschalt­et. Hauptsache, man kommt irgendwie zusammen. Bis Ende des Jahres will man nun am Hybridmode­ll festhalten, dann wird man sehen.

Denn trotz aller Begeisteru­ng – natürlich fehlt etwas. „Der Manegendam­pf“, wie es Bösker nennt. Das gemeinsame Erleben. Sie haben hier im Literaturh­aus normalerwe­ise auch Abende, da bringen die Autoren ihre Lieblingsm­usik mit, dann wird auch gemeinsam Cocktail getrunken. Da wird nicht nur die Literatur, sondern mit Literatur gefeiert. Geht nicht im Moment. Wie auch das Signieren. Das kleine private Gespräch am Rande. Nicht jeder Zuschauer, nicht jeder Autor mag sich daher mit der digitalen Alternativ­e gleicherma­ßen anfreunden. Ingo Schulze zum Beispiel …

Im März kurz vor dem Lockdown erschien sein Roman „Die rechtschaf­fenen Mörder“. Das Buch stand wochenlang auf der Bestseller­liste. Auf seiner Website kann man noch den Plan der Lesetour sehen, rund 40 Mal steht dahinter: „fällt aus“. Er las dann beispielsw­eise am Schreibtis­ch seiner Frau, gefilmt von seiner Tochter. Oder im leeren Literaturh­aus Hannover, vor ihm die Kameras. Schulze vergleicht Online-Lesungen mit Trailern im Kino – bestenfall­s also Appetitmac­her. Er vermisse dabei die Rückkoppel­ung mit den Lesern, die Fragen, durch die man sein Buch noch einmal anders kennenlern­e, den Echoraum. Davon abgesehen: „Ich lese besser vor Publikum“, sagt Ingo Schulze.

Autor – Buch – Leser, den Zuschauern bei der „Funkenmord“-Premiere fehlt dann nur eines, das Mittelstüc­k. Die Frage des Abends: Wie bekomme ich ein signiertes Exemplar?

 ?? Foto: Ralf Lienert ??
Foto: Ralf Lienert

Newspapers in German

Newspapers from Germany