Und dann bist Du wieder candy
Dorothee Elmiger Das Protokoll einer kreisenden Recherche – ziemlich raffiniert!
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik Hanser, 272 Seiten, 23 Euro
Zum Verlangen gehört das Bereuen. Weiß zum Beispiel jeder, der mal eines dieser halben Eimerchen Maoam-FruchtKracher in dichter Taktung verarbeitet und sich danach, bald schon, den Bauch gehalten hat. Nun haben dragierte Kaubonbons mit Brausepulver-Füllung aus der Produktion der Firma Hans-Riegel-Bonn nichts mit Dorothee Elmiger zu tun. Außer vielleicht, dass das Buchcover farblich an die Geschmackssorten Orange und Himbeere erinnert, dass die Kracher unwiderstehlich süß sind, dass lose Assoziationen im Deutungsgestrüpp einfach passieren, dass die Kracher „Aus der Zuckerfabrik“kommen, dass Elmigers zuletzt erschienener Text so heißt. Und es dabei um Raffiniertes geht.
Ein Text. Als Buch gebunden. Nominiert für den Deutschen Buchpreis, auf der Shortlist. Diesen allerdings einer Gattung zuzuordnen, wird schon schwierig. Ein Roman ist er jedenfalls kaum. Eine Collage eher, Überblendungen, Filmszenen, Erinnerungsfetzen, Zitate, Eintragungen, literarische Selbstreflexionen aus dem Erzähl-Labor, Uneindeutiges, aber doch miteinander verbunden.
Elmiger selbst beschreibt es so: „Vielleicht das Protokoll einer kreisenden, unordentlichen Recherche zu den Gräben, auf die der Kapitalismus so dringend angewiesen ist, und zu einigen (historischen) Versuchen, diese Gräben mit einem oder beiden Füßen zu überwinden; auch Träume von Müttern und Festmahlen sind darin verzeichnet, einiges über Kutschen, Ekstasen und Kleist.“
Wer jetzt noch nicht gleich auf Zucker ist, dem ist erst mal nicht zu helfen. Auf Elmigers RechercheProtokoll muss man sich einlassen wollen. Es ist das literarische Gegenteil einer Haribo-Süßigkeit, wenn man so will. Nicht einfach erzählte Geschmackskonzentration, sondern klug Verstreutes, intelligent zerbröselt. Inhaltlich sowieso.
Es gibt verschiedenste Erzählstränge. Da ist der Schweizer LottoMillionär aus dem Kanton Bern, der Ende der 70er ein Vermögen gewinnt und wenige Jahre später alles wieder verloren hat. Da ist Ellen West, eine Patientin des Schweizer Psychiaters Ludwig Binswanger, die an einer schweren Essstörung leidet und sich am Ende einer Reihe erfolgloser Behandlungsversuche umbringt. Da ist Theresa von Avila, die Karmelitin und Mystikerin, die auf ein weltliches Leben verzichtet und ihre Erfüllung im Kloster sucht.
Wassili Michailowitsch Blochin (1895–1955) war ein gefühlloser Vollstrecker, ein williger Massenmörder des NKWD. Während der „Säuberungen“unter Stalin tötete er persönlich mehrere tausend Menschen mit seiner Dienstpistole. Blochin erschoss auch den jüdischen Schriftsteller Isaak Babel. Das Zusammentreffen dieser beiden Männer stellt Ralf Rothmann in den Mittelpunkt seiner erschütternden Erzählung „Hotel der Schlaflosen“.
Rothmann, und das ist ein literarischer Kunstgriff, erzählt aus Blochins Perspektive – das gibt der Erzählung einen beklemmenden Ton. Es ist, als ob der Leser sich 23 Seiten lang aufbäumen muss gegen die sadistische Lakonie und beflissene Gleichgültigkeit Blochins. „Die Maßnahmen fanden im Keller statt“– so lautet der erste Satz dieser Geschichte aus dem Moskauer „Hotel der Schlaflosen“, der längsten und besten der elf Erzählungen in Rothmanns gleichnamigem Band.
Max Frisch spielt eine Rolle. Montauk. Es geht nach Haiti, zu Zuckerrohr-Plantagen. Heinrich von Kleists „Die Verlobung in St. Domingo“wird zitiert. François-Dominique Toussaint Louverture, der freigelassene Sklave und spätere Freiheitskämpfer, tritt auf.
Elmigers Buch, das so auch dem Kolonialismus und seinen mörderischen Folgen nachspürt, ist dabei natürlich politisch. Es geht um Rassismus, um Geschlechter-Rollen, um – wie bei dem gefallenen LottoKönig und seinem Chef – Klassengrenzen, darum, dass „der Kapitalismus schon immer empfindlich angewiesen war auf eine vielfache Spaltung des sogenannten Proletariats, auf eine Akkumulation von Spaltungen (...), die jene voneinander trennen, die im Prinzip auf der gleichen Seite stehen, nämlich auf