„…dass immer die Möglichkeit des großen Gewinns bestand“
der Seite derjenigen, die zu viel hergeben und zu wenig kriegen dafür“.
Dazwischen wird immer wieder Zucker gestreut, dieses süße, die Gier entfachende Gift. Am pointiertesten ist die Metapher, das Streben nach Mehr am freien Markt, die unheilvolle Liaison von Lust und ungezügelter Wirtschaft, in einem Zitat aus einer Adam-Smith-Biografie. Da wird beschrieben, wie der Vater der klassischen Nationalökonomie „einmal beim Tee, ohne sich überhaupt an den Tisch zu setzen, Zucker um Zucker aus einer Zuckerschale genommen habe, bis die Gastgeberin, eine ältere Dame, zuletzt
Blochin berichtet nüchtern wie ein Uhrmacher von seinen Hinrichtungen im Akkord, von der Liste, die Tag für Tag abzuarbeiten ist – „das Alphabet des Todes, sozusagen. Aber jetzt werde ich auch schon poetisch.“Blochin nimmt sich Zeit für den durch Folter schon zerschundenen „Kandidaten“Isaak Babel. Er trinkt Wodka mit ihm, dem „armseligen Poetenrest“, unterhält sich mit ihm über Literatur, genießt auf sentimental vergiftete Weise seine Macht, verhöhnt den Schriftsteller und sagt zu Babel: „Die Wahrheit aber, die reine und letzte Wahrheit, mein Freund, die sagt immer nur eine Kugel.“
Blochin erschießt Babel im Keller. „Nach dem Abdrücken hatte ich wieder dieses Sirren in den Ohren, wie von einer winzigen Feder oder einem elektrischen Draht, aber er starb lautlos, sank hin wie ein Haufen Kleider.“
Ralf Rothmann, 67, der zuletzt in den beiden Romanen „Im Frühling nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, als die Schale zu sich ,auf ihre eigenen Knie‘ zu nehmen, um den Zucker vor Smiths ,unökonomischen Zugriffen‘ zur retten“.
Auch Elmiger taucht immer wieder auf, analysiert den Text, seine Entstehung, sein Leistungsvermögen, über das verhinderte „Erzählen“. Denn es sei einfach so, „dass immer alles Mögliche geschieht, während ich da an meinem Schreibtisch sitze (...), Leute in orangenen Westen gehen mit Zollstöcken auf dem Dach des Nachbargebäudes umher, und jemand schickt mir eine Nachricht aus Antigua Guatemala, und das muss natürlich alles erzählt werden, weil das ja die Bedingungen sind, unter denen der Text entsteht, also die Verhältnisse, in denen ich schreibe“.
Dabei forscht Elmiger der eigenen Lust, dem Lebenshunger, der eigenen zerstörerischen Begierde nach Zucker nach: Dazu gibt es immer wieder Episoden mit einem gewissen C., der zunächst nicht so greifbar ist, wie sich die das Verhältnis beschreibende Frau wünscht. Die dann doch erfahrene Liebe genügt aber letztlich nicht. Es ist das künstliche Ich von Elmiger.
Sie selbst, Jahrgang 85, ist Schweizerin und lebt in Zürich. 2010 debütierte sie mit „Einladung an die Waghalsigen“, vier Jahre später erschien der Roman „Schlafgänger“. Ausgezeichnet wurde sie schon mehrfach. Nun, sechs Jahre später, also „Aus der Zuckerfabrik“. Das Ergebnis ihrer Recherche könne „eine flüchtige Form der Erkenntnis sein“, die es so vielleicht nur in der Literatur gebe, sagt Elmiger. Dazu gehört ganz unbedingt auch dieser gezuckerte Satz: „Je vivais le plaisir comme une future douleur.“Vergnügen, erlebt wie ein künftiger Schmerz. sterben“und „Der Gott jenes Sommers“aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs erzählte, zeigt in der kurzen Form, wie virtuos und vielstimmig er zu schreiben vermag. Da ist die Geschichte einer international gefragten Musikerin, die kurz nach Berlin zurückkehrt und sich ihren Erinnerungen überlässt. Sie spricht mit niemandem über ihre ärztliche Diagnose. Dann steigt sie in ihrem Hotelzimmer auf einen Stuhl …
In „Geronimo“erzählt Rothmann autofiktional und atmosphärisch dicht von seiner eigenen Kindheit im Ruhrgebiet, von seinem Vater, der Melker war und dann als Bergmann arbeitete. Eines Tages werden der Junge und sein Vater von einem verwirrten Mann vor der Schule mit einer Waffe bedroht: kein Indianerspiel. Der Vater meistert die Situation. Rothmann zeichnet in der Erzählung das Porträt eines schweigsamen, melancholischen Mannes, der alles Vertrauen in ihn
Zsuzsa Bánk: Sterben im Sommer S. Fischer, 240 Seiten, 22 Euro rechtfertigt. Tote Bergleute im Ruhrgebiet, die Jahrzehnte nach ihrem Tod im Stollen mumifiziert geborgen werden und um deren Abtransport örtliche Bestatter Schlange stehen: Daraus macht Rothmann eine Geschichte über einen altgedienten 70-jährigen Beerdigungsunternehmer namens Egon, der gewahr wird, dass er in der Zeche seinen eigenen Vater einlädt und im Leichenwagen durchs Schneegestöber fährt – „seinen dreiundzwanzigjährigen Vater.“
Mit Sympathie für seine Figuren und Gespür für Milieus zeichnet Rothmann, ein Meister des poetischen Realismus, Lebensbilder. So in „Der Dicke Schmitt“, eine Story, in der ein auf dem Bau jobbender Student von einem strengen Oberpolier erzählt, der sich süchtig in die Arbeit stürzt und hinter dessen ruppiger Fassade das Drama eines Lebens aufscheint, das vom Schicksal der Tochter und Schuldgefühlen geprägt ist.
Ralf Rothmann: Hotel der Schlaflosen Suhrkamp, 200 Seiten, 22 Euro