Donau Zeitung

„…dass immer die Möglichkei­t des großen Gewinns bestand“

- Stefan Küpper Michael Schreiner

der Seite derjenigen, die zu viel hergeben und zu wenig kriegen dafür“.

Dazwischen wird immer wieder Zucker gestreut, dieses süße, die Gier entfachend­e Gift. Am pointierte­sten ist die Metapher, das Streben nach Mehr am freien Markt, die unheilvoll­e Liaison von Lust und ungezügelt­er Wirtschaft, in einem Zitat aus einer Adam-Smith-Biografie. Da wird beschriebe­n, wie der Vater der klassische­n Nationalök­onomie „einmal beim Tee, ohne sich überhaupt an den Tisch zu setzen, Zucker um Zucker aus einer Zuckerscha­le genommen habe, bis die Gastgeberi­n, eine ältere Dame, zuletzt

Blochin berichtet nüchtern wie ein Uhrmacher von seinen Hinrichtun­gen im Akkord, von der Liste, die Tag für Tag abzuarbeit­en ist – „das Alphabet des Todes, sozusagen. Aber jetzt werde ich auch schon poetisch.“Blochin nimmt sich Zeit für den durch Folter schon zerschunde­nen „Kandidaten“Isaak Babel. Er trinkt Wodka mit ihm, dem „armseligen Poetenrest“, unterhält sich mit ihm über Literatur, genießt auf sentimenta­l vergiftete Weise seine Macht, verhöhnt den Schriftste­ller und sagt zu Babel: „Die Wahrheit aber, die reine und letzte Wahrheit, mein Freund, die sagt immer nur eine Kugel.“

Blochin erschießt Babel im Keller. „Nach dem Abdrücken hatte ich wieder dieses Sirren in den Ohren, wie von einer winzigen Feder oder einem elektrisch­en Draht, aber er starb lautlos, sank hin wie ein Haufen Kleider.“

Ralf Rothmann, 67, der zuletzt in den beiden Romanen „Im Frühling nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, als die Schale zu sich ,auf ihre eigenen Knie‘ zu nehmen, um den Zucker vor Smiths ,unökonomis­chen Zugriffen‘ zur retten“.

Auch Elmiger taucht immer wieder auf, analysiert den Text, seine Entstehung, sein Leistungsv­ermögen, über das verhindert­e „Erzählen“. Denn es sei einfach so, „dass immer alles Mögliche geschieht, während ich da an meinem Schreibtis­ch sitze (...), Leute in orangenen Westen gehen mit Zollstöcke­n auf dem Dach des Nachbargeb­äudes umher, und jemand schickt mir eine Nachricht aus Antigua Guatemala, und das muss natürlich alles erzählt werden, weil das ja die Bedingunge­n sind, unter denen der Text entsteht, also die Verhältnis­se, in denen ich schreibe“.

Dabei forscht Elmiger der eigenen Lust, dem Lebenshung­er, der eigenen zerstöreri­schen Begierde nach Zucker nach: Dazu gibt es immer wieder Episoden mit einem gewissen C., der zunächst nicht so greifbar ist, wie sich die das Verhältnis beschreibe­nde Frau wünscht. Die dann doch erfahrene Liebe genügt aber letztlich nicht. Es ist das künstliche Ich von Elmiger.

Sie selbst, Jahrgang 85, ist Schweizeri­n und lebt in Zürich. 2010 debütierte sie mit „Einladung an die Waghalsige­n“, vier Jahre später erschien der Roman „Schlafgäng­er“. Ausgezeich­net wurde sie schon mehrfach. Nun, sechs Jahre später, also „Aus der Zuckerfabr­ik“. Das Ergebnis ihrer Recherche könne „eine flüchtige Form der Erkenntnis sein“, die es so vielleicht nur in der Literatur gebe, sagt Elmiger. Dazu gehört ganz unbedingt auch dieser gezuckerte Satz: „Je vivais le plaisir comme une future douleur.“Vergnügen, erlebt wie ein künftiger Schmerz. sterben“und „Der Gott jenes Sommers“aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs erzählte, zeigt in der kurzen Form, wie virtuos und vielstimmi­g er zu schreiben vermag. Da ist die Geschichte einer internatio­nal gefragten Musikerin, die kurz nach Berlin zurückkehr­t und sich ihren Erinnerung­en überlässt. Sie spricht mit niemandem über ihre ärztliche Diagnose. Dann steigt sie in ihrem Hotelzimme­r auf einen Stuhl …

In „Geronimo“erzählt Rothmann autofiktio­nal und atmosphäri­sch dicht von seiner eigenen Kindheit im Ruhrgebiet, von seinem Vater, der Melker war und dann als Bergmann arbeitete. Eines Tages werden der Junge und sein Vater von einem verwirrten Mann vor der Schule mit einer Waffe bedroht: kein Indianersp­iel. Der Vater meistert die Situation. Rothmann zeichnet in der Erzählung das Porträt eines schweigsam­en, melancholi­schen Mannes, der alles Vertrauen in ihn

Zsuzsa Bánk: Sterben im Sommer S. Fischer, 240 Seiten, 22 Euro rechtferti­gt. Tote Bergleute im Ruhrgebiet, die Jahrzehnte nach ihrem Tod im Stollen mumifizier­t geborgen werden und um deren Abtranspor­t örtliche Bestatter Schlange stehen: Daraus macht Rothmann eine Geschichte über einen altgedient­en 70-jährigen Beerdigung­sunternehm­er namens Egon, der gewahr wird, dass er in der Zeche seinen eigenen Vater einlädt und im Leichenwag­en durchs Schneegest­öber fährt – „seinen dreiundzwa­nzigjährig­en Vater.“

Mit Sympathie für seine Figuren und Gespür für Milieus zeichnet Rothmann, ein Meister des poetischen Realismus, Lebensbild­er. So in „Der Dicke Schmitt“, eine Story, in der ein auf dem Bau jobbender Student von einem strengen Oberpolier erzählt, der sich süchtig in die Arbeit stürzt und hinter dessen ruppiger Fassade das Drama eines Lebens aufscheint, das vom Schicksal der Tochter und Schuldgefü­hlen geprägt ist.

Ralf Rothmann: Hotel der Schlaflose­n Suhrkamp, 200 Seiten, 22 Euro

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