Ein Groß-Talent aus der Region
Roman Ehrlich Von Neuburg auf die Malediven – und eine Paradies-Vision vom Weltuntergang
tot? Auf die Suche nach ihnen machen sich der Vater der Schauspielerin und eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin. Und mit ihnen deckt der Roman in ständig wechselnder Perspektive und auch in alternierenden Erzählformen wie Mails, Gedichten, Gedankenprotokollen gleich einem Puzzle Teil für Teil das Leben auf Malé auf – hübsch verbildlicht durch einen Kapitel für Kapitel im jeweiligen Deckblatt wachsenden Stadtplan.
Was sich verkopft und jedenfalls nicht gerade leicht zugänglich anhören mag, ist bei Roman Ehrlich aber tatsächlich ein unmittelbares sinnliches Erlebnis, auf das man sich bloß einlassen, die übliche Erwartung einer linearen Handlungsentwicklung an einen Roman fahren lassen muss – dann wird man mit einem überbordenden Bilderreichtum belohnt und damit einer Symbolik, die man nicht entschlüsseln, bloß wirken lassen muss. Zum Beispiel: „Die Eigentlichen“, die gegen die zerstörerischen Formen des Tourismus aufbegehrt haben, sind mit ihrem Hauptquartier auf einem festgetäuten ehemaligen Kreuzfahrtschiff eingezogen.
Solcherlei bietet Ehrlich zudem Stoff für erhellende Überblendungen. Die ehemaligen Luxus-Urlaubsinseln, von denen nur noch ein
Das alles erzählt Ohde schnörkellos, aber umso eindringlicher. Ihre Zeilen sind mit Leben und Lebenswahrheiten aufgeladen. In der IchErzählerin wird anschaulich, wie nah Hoffen und Resignieren, Wollen und Verzagen beieinanderliegen können. Da gelingt Ohde ein Bildungsroman der anderen Art. Nicht an Klugheit, sondern an Selbstbewusstsein und Selbstliebe mangelt es der Ich-Erzählerin. Aber wie soll sie in diesem Umfeld dazu in der Lage sein, wenn alle – Vater, Freunde, Lehrer – sie immer nur auf ihre Unzulänglichkeit hingewiesen haben.
Dazu zeichnet Ohde auch noch das Bild dieses Vororts, der sich als Frankfurt-Sindlingen entschlüsseln lässt. Sie spürt verschiedenen Milieus nach von den einfachen Arbeitern bis zu den Führungskräften in Einfamilienhäusern mit Garten. Der 1988 in Frankfurt geborenen und jetzt in Leipzig lebenden Schriftstellerin ist da ein packendes Debüt gelungen. zufällig gefundener, alter Reiseführer zeugt, und was aus ihnen geworden ist: „Das Paradies (...) ist eine Kulisse, eine Scheinwelt der ultimativen Häuslichkeit, wo nicht gearbeitet werden muss, wo es keine Verbindlichkeiten, keine Verantwortung gibt und keine Widersprüche, keine politische und soziale Realität…“Und „dass all das jetzt am Versinken ist im ewig gleichmütigen Element des Meeres“zeigt, „dass die Illusion nicht aufrechterhalten werden kann und also auch das Angebot nicht mehr steht, sich von ihr über die wahren Verhältnisse hinwegtäuschen zu lassen …“
Es ist der bisher beste, weil konsequenteste Roman Ehrlichs: sinnlich reich, gedanklich interessant. Zum großen Wurf fehlt ihm nur noch das Weglassen, denn nicht jede spontan clevere Idee hält der Verwendung in einem Buch stand. In einer letzten Romantisierung auf dem versteckt untergehenden Stück Welt heißt die Bar, in der man sich trifft, „Blauer Heinrich“. Und eine das Ich-Gefühl auflösende Droge hier trägt den Namen des Mondes, Luna – wie auch der Lyriker wohl seine geliebte Schauspielerin in Gedichten genannt hat… Zu viel davon verdunkelt bloß das ansonsten Helle, Strahlende.
Roman Ehrlich: Malé
S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro