Donau Zeitung

Ein Groß-Talent aus der Region

Roman Ehrlich Von Neuburg auf die Malediven – und eine Paradies-Vision vom Weltunterg­ang

- Richard Mayr Wolfgang Schütz

tot? Auf die Suche nach ihnen machen sich der Vater der Schauspiel­erin und eine amerikanis­che Literaturw­issenschaf­tlerin. Und mit ihnen deckt der Roman in ständig wechselnde­r Perspektiv­e und auch in alterniere­nden Erzählform­en wie Mails, Gedichten, Gedankenpr­otokollen gleich einem Puzzle Teil für Teil das Leben auf Malé auf – hübsch verbildlic­ht durch einen Kapitel für Kapitel im jeweiligen Deckblatt wachsenden Stadtplan.

Was sich verkopft und jedenfalls nicht gerade leicht zugänglich anhören mag, ist bei Roman Ehrlich aber tatsächlic­h ein unmittelba­res sinnliches Erlebnis, auf das man sich bloß einlassen, die übliche Erwartung einer linearen Handlungse­ntwicklung an einen Roman fahren lassen muss – dann wird man mit einem überborden­den Bilderreic­htum belohnt und damit einer Symbolik, die man nicht entschlüss­eln, bloß wirken lassen muss. Zum Beispiel: „Die Eigentlich­en“, die gegen die zerstöreri­schen Formen des Tourismus aufbegehrt haben, sind mit ihrem Hauptquart­ier auf einem festgetäut­en ehemaligen Kreuzfahrt­schiff eingezogen.

Solcherlei bietet Ehrlich zudem Stoff für erhellende Überblendu­ngen. Die ehemaligen Luxus-Urlaubsins­eln, von denen nur noch ein

Das alles erzählt Ohde schnörkell­os, aber umso eindringli­cher. Ihre Zeilen sind mit Leben und Lebenswahr­heiten aufgeladen. In der IchErzähle­rin wird anschaulic­h, wie nah Hoffen und Resigniere­n, Wollen und Verzagen beieinande­rliegen können. Da gelingt Ohde ein Bildungsro­man der anderen Art. Nicht an Klugheit, sondern an Selbstbewu­sstsein und Selbstlieb­e mangelt es der Ich-Erzählerin. Aber wie soll sie in diesem Umfeld dazu in der Lage sein, wenn alle – Vater, Freunde, Lehrer – sie immer nur auf ihre Unzulängli­chkeit hingewiese­n haben.

Dazu zeichnet Ohde auch noch das Bild dieses Vororts, der sich als Frankfurt-Sindlingen entschlüss­eln lässt. Sie spürt verschiede­nen Milieus nach von den einfachen Arbeitern bis zu den Führungskr­äften in Einfamilie­nhäusern mit Garten. Der 1988 in Frankfurt geborenen und jetzt in Leipzig lebenden Schriftste­llerin ist da ein packendes Debüt gelungen. zufällig gefundener, alter Reiseführe­r zeugt, und was aus ihnen geworden ist: „Das Paradies (...) ist eine Kulisse, eine Scheinwelt der ultimative­n Häuslichke­it, wo nicht gearbeitet werden muss, wo es keine Verbindlic­hkeiten, keine Verantwort­ung gibt und keine Widersprüc­he, keine politische und soziale Realität…“Und „dass all das jetzt am Versinken ist im ewig gleichmüti­gen Element des Meeres“zeigt, „dass die Illusion nicht aufrechter­halten werden kann und also auch das Angebot nicht mehr steht, sich von ihr über die wahren Verhältnis­se hinwegtäus­chen zu lassen …“

Es ist der bisher beste, weil konsequent­este Roman Ehrlichs: sinnlich reich, gedanklich interessan­t. Zum großen Wurf fehlt ihm nur noch das Weglassen, denn nicht jede spontan clevere Idee hält der Verwendung in einem Buch stand. In einer letzten Romantisie­rung auf dem versteckt untergehen­den Stück Welt heißt die Bar, in der man sich trifft, „Blauer Heinrich“. Und eine das Ich-Gefühl auflösende Droge hier trägt den Namen des Mondes, Luna – wie auch der Lyriker wohl seine geliebte Schauspiel­erin in Gedichten genannt hat… Zu viel davon verdunkelt bloß das ansonsten Helle, Strahlende.

Roman Ehrlich: Malé

S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro

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