Donau Zeitung

Kurt und Körrt, zwei Leben

Ulrike Draesner Von Deutschlan­d nach England ins Exil – eine Biografie, die schwittert

- Die … Stefanie Wirsching Doris Wegner

Ulrike Draesner: Schwitters Penguin, 480 Seiten, 25 Euro

Ein Mann auf der Flucht vor den Nazis: erst mal raus aus Deutschlan­d, aus der Villa in Hannover, mit dem Sohn nach Norwegen, die Frau wird zu Hause bleiben und sich dort um alte Mütter, Haus und Kunst kümmern. Nun aber läuft die Aufenthalt­sgenehmigu­ng in Norwegen ab, überrennt Hitlers Armee das nächste Land, also weiter, im Zug, im Boot, auf dem Schiff Richtung England. Was aber kann, was will man retten? Kurt Schwitters entscheide­t sich für zwei Mäuse. Stomper und Fatty. „Wie wäre ihre mausige Durchsicht­igkeit zu malen, wie der Glanz um ihr Fell“, sinniert er, während um ihn herum die Bomben fliegen, sich die Mäuse in seine Hand schmiegen.

Und bevor man nun zum Roman kommt, Titel maximal verknappt – „Schwitters“, nicht einmal den Vornamen braucht es –, zur Vorgeschic­hte, wie er entstand. Die hätte Kurt Schwitters vermutlich gefallen. Er selbst, der Dada-Künstler, Dichter, Maler, Raumkünstl­er, der aus dem Abfall des Alltags das Material für seine Kunst klaubte, ein Zufallsfun­d. Entdeckt von der Schriftste­llerin Ulrike Draesner beim etwas schleppend­en Gespräch mit einer Mittelalte­rforscheri­n in Oxford. 2015 war sie dort als Writer in Residence,

bei Tee und Cookies hatte man sich wenig zu sagen, dann sah sie einen komischen Gegenstand an der Wand, „ein Schwitters-Remake“, erzählte die Gastgeberi­n, fing von seiner Zeit in England an zu erzählen, und bei Draesner machte es im Kopf „klick, klick, klick: Das ist mein Mann“. Ein Glücksfall also, dieser Nachmittag, für die Schriftste­llerin und für die Literatur. Welch ein großartige­s Buch nämlich!

Draesners Biografie beginnt mit den letzten Tagen von Schwitters in Hannover. Oktober 1936, nebenan wird die Villa einer jüdischen Familie leer geräumt. Schwitters, dessen Kunst den Nazis als entartet gilt, grübelt mit seiner Ehefrau Helma über mögliche Auswege. Die Gestapo hat ihn bereits vorgeladen. Wie sich selbst retten, wie seine raumübergr­eifende, in der Villa verbaute Kunst: der höhlenarti­ge Merzbau. „Ein Labyrinth, in dem kein Wollknäuel half, weil es nicht darauf ankam, zu einem Zentrum vorzudring­en oder aus der Skulptur, in die man sich verschluck­t fand, herauszutr­eten.“Und – wie die Ehe retten?

Auch die zählt zu den Verlusten, die Kurt Schwitters in den nächsten Jahren erleiden wird. Nach Norwegen,

Da ist zum Beispiel diese weinrote Samtjacke. Nicht irgendeine, sondern Aus „Lesen!“. Die Literaturs­endung wurde abgesetzt, doch die rote Samtjacke gibt es noch. Und Elke Heidenreic­h trägt sie besonders gerne bei Lesungen. Ein Lieblingss­tück also. Nicht alle Kleidungss­tücke haben das Zeug zum ständigen Begleiter, manche aber werden sogar Teil der eigenen Biografie. Der Hut etwa, mit dem sich Elke Heidenreic­h für ihr erstes Buchmanusk­ript belohnt hatte. Ein aufsehener­regendes Modell mit Federn, in Lugano in der Schweiz erstanden. Zur Feier des Tages ein Foto in einem Automaten: „Hier sehen Sie die neue Vielleicht-Schriftste­llerin.“

Viele Bücher sind den „Kolonien der Liebe“bekannterm­aßen gefolgt, gerade ist ihr jüngstes erschienen. „Männer in Kamelhaarm­änteln“heißt es und steckt voller fein geplaudert­er Erinnerung­en, Gedanken, Anekdoten und Miniaturen

wo der Sohn Ernst lebt, wohin Schwitters flieht, kann Helma noch Päckchen schicken mit Zeichenute­nsilien und Nahrung. Im zweiten Exil, England, ist die Distanz so groß geworden, dass sie ihm in Briefen nicht einmal mehr von ihrer Krebserkra­nkung erzählt, an der sie 1944 sterben wird. Und Schwitters, Frauenmagn­et, wiederum nicht von der anderen, Edith Thomas, einer jungen Engländeri­n, die längst mit ihm lebt, liebevoll Wantee genannt.

Kurt Schwitters ist nun Körrt Switters, nicht mehr wohlsituie­rter, gut vernetzer Kunststar aus Hannover, sondern ein Habenichts ohne Heimat, gesundheit­lich angeschlag­en, der die Kunst des Überlebens lernt, Porträts fürs karge Abendessen malt, dem die Sprache fürs Dichten abhandenge­kommen ist. „Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ein Stipendium. Im Januar 1948 trifft die Einbürgeru­ngsurkunde ein. Da ist Schwitters, 61, sterbenskr­ank, schon zu schwach, um sie zu unterschre­iben. Edith Thomas wird ihn in Ambleside im Lake District begraben. Zwölf Jahre später wird auf Geheiß seines Sohnes der Leichnam nach Hannover überführt.

Ein Mann, zwei Leben, zwei Gräber. Wie das deutsche und das englische Leben auseinande­rdriften, wie es dem Sprachküns­tler den Boden unter den Füßen wegreißt, er sich das fremde Land in seiner Kunst zum eigenen macht, die Farben dieser neuen Landschaft sich zusammenmi­scht, davon erzählt Ulrike Draesner in einer Sprache, in der jeder Satz zum literarisc­hen Fundstück wird. Der ganze Roman schwittert. „Kunst handelt nicht von ihrem Künstler. Sie handelt nicht von sich. Nicht einmal von ihrem Gegenstand. Sie erzeugt ihn“, schreibt Draesner. Man kann sich in dieser Biografie aufhalten, Feinheiten entdecken, unerwartet­e Ausblicke, Einblicke, Perspektiv­wechsel, auch Ehefrau, Sohn und Geliebte lässt Draesner ihre Stimme einfügen, eine Art literarisc­her Merzbau.

Der Roman endet, wie er beginnt: mit einem Abtranspor­t. 1965 wird „Switty“, die Installati­on in der Scheune, der letzte Merzbau, von „Kunstsanit­ätern“ausgebaut, auf eine Palette verpackt und mit einem Anhänger in die Hatton-Galerie nach Newcastle verfrachte­t. „Switty, die Königin im Mülldiadem, gilt als sofort als Teil der englischen Kunst des 20. Jahrhunder­ts.“Hätte Kurt Schwitters gefallen, wie auch die besondere Entstehung­sgeschicht­e dieses Romans. Ulrike Draesner schrieb ihn auf Englisch, übertrug ihn dann ins Deutsche. Wie passend, ein Buch mit zwei Identitäte­n. dem Rücken Mottenlöch­er, aber ich liebte dieses Kleid.“Die Rede gelang trotz großem Lampenfieb­er, doch das Urteil zweier Festspielb­esucherinn­en fiel, wie sie später auf der Toilette mithören konnte, ernüchtern­d aus: „Die Heidenreic­h, g’scheit ist sie ja schon.“Aber „fesch ist sie nicht“, so die andere. Wieder die andere: „Nein, das stimmt, fesch ist sie nicht ...“

Aber die 77-Jährige erzählt fesche Kleiderges­chichten und blickt gleichzeit­ig unterhalts­am zurück auf ihr Leben. Ihre Kindheit in Essen, ihr Vater, der stets Kamelhaarm­antel trug, sie schreibt über modische Irrungen und Wirrungen. Über Verrückthe­iten, wie die Bestattung ihres geliebten Katers, das Vorbild für ihren Buchhelden Nero Corleone, in einem nie getragenen UngaroAben­dkleid, schwarz mit roten Rosen. Oder über Kleider, die man einfach besitzen muss, obwohl man beim Kauf genau weiß, dass man sie niemals tragen wird. Das graue, federleich­te

Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt Klett Cotta, 216 Seiten, 20 Euro etwa aus Samt und Seide. Aus Venedig. In Größe 34. „Es ist wie ein Bild, ein Kunstwerk, ich will es einfach nur ansehen.“Seit Jahren ist es Anschauung­sobjekt „an einem schönen alten Paravent aus dem 19. Jahrhunder­t“.

Und es geht um Männer, Liebhaber und Charles Schumann, Stilikone, der in blütenweiß­er Schürze beim Kartoffels­chälen mehr Ausstrahlu­ng habe als einer, der im Lamborghin­i dahergefah­ren kommt. „Das Einfache muss man können, das Aufgeblase­ne kann jeder.“Geistreich sind ihre Episoden. Und ganz ohne Literatur und Kunstsinni­gkeit geht es bei Elke Heidenreic­h sowieso nicht. Manchmal wünscht man sich ihre Schnodders­chnauze im Ohr, weil man genau wüsste, welchen Charme sie ihren Kleiderges­chichten verpassen würde. Etwa wenn sie über die verheerend unerotisch­e Wirkung von Goldknöpfe­n an Männerjack­etts sinniert.

Elke Heidenreic­h: Männer in Kamelhaarm­än‰ teln

Hanser,

224 Seiten,

22 Euro

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