Dafür braucht’s keine Männer
Mieko Kawakami „Brüste und Eier“ist ein wütender Roman, der mit einigen Tabus bricht
Kawakami übrigens schon 2008 als Novelle geschrieben hatte – mit dem Frauwerden nicht klarkommt und schier verzweifelt, weil sie mit niemandem darüber reden kann. Ganz stark: ihre kursiv gedruckten Tagebuchnotizen, die den Leser auch über ein paar Längen im Buch hinweghelfen. Oder Natsukos ältere alleinerziehende Schwester, die als Hostess arbeitet und sich die Brüste vergrößern lassen möchte, aber in ihrem weiblichen Umfeld auf Unverständnis stößt. So wie zehn Jahre später dann auch Natsuko, als sie als unverheiratete Single-Frau schwanger werden will – ihre Schwester und ihre Lektorin fallen aus allen Wolken und raten ihr davon ab.
Um Natsukos Kinderwunsch dreht sich der zweite und spannendere Teil des Buches. Sich einen One-Night-Stand als Erzeuger zu suchen, kommt für Natsuko nicht infrage. Sie hasst Sex, ihre einzige Beziehung ist vor Jahren daran gescheitert. Also informiert sie sich über Samenspende, die in Japan aber nur Ehepaaren bei unerfülltem Kinderwunsch ermöglicht wird – und über die niemand offiziell spricht, obwohl so inzwischen schon tausende Kinder gezeugt wurden. Fragen martern Natsuko. Was macht das mit einem Kind, wenn es
Wurf einer Billardkugel Ausdruck zu geben. Als ihn Adam später wiedertrifft, hat Darren die rote Trump-Mütze auf …
Lügen, faseln, stammeln, schwadronieren, niederreden, verstummen – wenn man diesem irrsinnig virtuos geschriebenen Roman etwas vorhalten kann, dann, dass er gelegentlich sein Thema zu explizit verhandelt, selbst vielleicht aus der Sorge heraus, nicht verstanden zu werden. Tatsächlich aber ist „Die TopekaSchule“auch vielmehr als nur ein Ideenroman, sondern ein großes Sittenund Gesellschaftsporträt. Anhand einer Familiengeschichte verhandelt Lerner alle Diskursfelder der letzten zwanzig Jahre, bleibt dennoch hoffnungsvoll: Tiefpunkt nämlich erreicht. Inmitten von Schnellsen entdeckt er eine Öffentlichkeit, die langsam wieder reden lernt. Barack Obama fand wohl auch daher: „Die Topeka- Schule hat unsere Welt ein bisschen heller gemacht.“ seinen Vater niemals kennen wird? Ist das eine Zumutung? Habe ich als Single-Frau das Recht, Mutter zu werden? Und was heißt es überhaupt, als Frau ein sinnreiches und selbstbestimmtes Leben zu führen? Natsuko grübelt, recherchiert, vernachlässigt das Schreiben, verzweifelt schier, bis ihr eine befreundete alleinerziehende Autorin Mut macht: „Für ein Kind braucht man keine männliche Lust. (...) Weibliche Lust natürlich auch nicht. Man muss nicht miteinander schlafen. Man muss den Willen haben. Als Frau den Willen haben. Mehr nicht. (...) Heutzutage, Gott sei Dank, nicht mehr.“Man kann sich ausmalen, was solche Sätze im patriarchalischen Japan auslösen können.
„Ich will meine Leser destabilisieren, damit sie den Status quo hinterfragen“, sagte Mieko Kawakami im Interview mit dem Spiegel. Es wäre ihr mit ihrem mutigen, wütenden Buch zu wünschen gewesen, dass auch der deutsche Verlag den Cover-Status-quo mal hinterfragt und nicht die klischeebehafteten Kirschblüten ausgewählt hätte. Beim Titel war er schließlich auch nicht zimperlich: „Brüste und Eier“war in Japan übrigens 2019 unter dem harmlosen Titel „Sommer-Geschichte“erschienen.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier A.d. Japanischen von Katja Busson, Dumont,
496 Seiten,
24 Euro