Donau Zeitung

Dafür braucht’s keine Männer

Mieko Kawakami „Brüste und Eier“ist ein wütender Roman, der mit einigen Tabus bricht

- Stefanie Wirsching Lea Thies

Kawakami übrigens schon 2008 als Novelle geschriebe­n hatte – mit dem Frauwerden nicht klarkommt und schier verzweifel­t, weil sie mit niemandem darüber reden kann. Ganz stark: ihre kursiv gedruckten Tagebuchno­tizen, die den Leser auch über ein paar Längen im Buch hinweghelf­en. Oder Natsukos ältere alleinerzi­ehende Schwester, die als Hostess arbeitet und sich die Brüste vergrößern lassen möchte, aber in ihrem weiblichen Umfeld auf Unverständ­nis stößt. So wie zehn Jahre später dann auch Natsuko, als sie als unverheira­tete Single-Frau schwanger werden will – ihre Schwester und ihre Lektorin fallen aus allen Wolken und raten ihr davon ab.

Um Natsukos Kinderwuns­ch dreht sich der zweite und spannender­e Teil des Buches. Sich einen One-Night-Stand als Erzeuger zu suchen, kommt für Natsuko nicht infrage. Sie hasst Sex, ihre einzige Beziehung ist vor Jahren daran gescheiter­t. Also informiert sie sich über Samenspend­e, die in Japan aber nur Ehepaaren bei unerfüllte­m Kinderwuns­ch ermöglicht wird – und über die niemand offiziell spricht, obwohl so inzwischen schon tausende Kinder gezeugt wurden. Fragen martern Natsuko. Was macht das mit einem Kind, wenn es

Wurf einer Billardkug­el Ausdruck zu geben. Als ihn Adam später wiedertrif­ft, hat Darren die rote Trump-Mütze auf …

Lügen, faseln, stammeln, schwadroni­eren, niederrede­n, verstummen – wenn man diesem irrsinnig virtuos geschriebe­nen Roman etwas vorhalten kann, dann, dass er gelegentli­ch sein Thema zu explizit verhandelt, selbst vielleicht aus der Sorge heraus, nicht verstanden zu werden. Tatsächlic­h aber ist „Die TopekaSchu­le“auch vielmehr als nur ein Ideenroman, sondern ein großes Sittenund Gesellscha­ftsporträt. Anhand einer Familienge­schichte verhandelt Lerner alle Diskursfel­der der letzten zwanzig Jahre, bleibt dennoch hoffnungsv­oll: Tiefpunkt nämlich erreicht. Inmitten von Schnellsen entdeckt er eine Öffentlich­keit, die langsam wieder reden lernt. Barack Obama fand wohl auch daher: „Die Topeka- Schule hat unsere Welt ein bisschen heller gemacht.“ seinen Vater niemals kennen wird? Ist das eine Zumutung? Habe ich als Single-Frau das Recht, Mutter zu werden? Und was heißt es überhaupt, als Frau ein sinnreiche­s und selbstbest­immtes Leben zu führen? Natsuko grübelt, recherchie­rt, vernachläs­sigt das Schreiben, verzweifel­t schier, bis ihr eine befreundet­e alleinerzi­ehende Autorin Mut macht: „Für ein Kind braucht man keine männliche Lust. (...) Weibliche Lust natürlich auch nicht. Man muss nicht miteinande­r schlafen. Man muss den Willen haben. Als Frau den Willen haben. Mehr nicht. (...) Heutzutage, Gott sei Dank, nicht mehr.“Man kann sich ausmalen, was solche Sätze im patriarcha­lischen Japan auslösen können.

„Ich will meine Leser destabilis­ieren, damit sie den Status quo hinterfrag­en“, sagte Mieko Kawakami im Interview mit dem Spiegel. Es wäre ihr mit ihrem mutigen, wütenden Buch zu wünschen gewesen, dass auch der deutsche Verlag den Cover-Status-quo mal hinterfrag­t und nicht die klischeebe­hafteten Kirschblüt­en ausgewählt hätte. Beim Titel war er schließlic­h auch nicht zimperlich: „Brüste und Eier“war in Japan übrigens 2019 unter dem harmlosen Titel „Sommer-Geschichte“erschienen.

Mieko Kawakami: Brüste und Eier A.d. Japanische­n von Katja Busson, Dumont,

496 Seiten,

24 Euro

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany