Der ungeratene Sohn
Paul Maar Die gestörte Beziehung zum Vater ist die Leerstelle im Leben des Kinderbuchautors
Paul Maar: Wie alles kam – Roman meiner Kindheit S. Fischer, 304 Seiten, 22 Euro
Wenn man den Sams-Erfinder Paul Maar fragt, aus welcher Quelle er seine über 70 berühmten Kinderbücher schöpft, dann gibt er gern eine Antwort, die fast schon wie ein Lehrsatz klingt. „Es gibt zwei Sorten von Kinderbuchautoren. Die mit einer besonders glücklichen Kindheit und die mit einer besonders unglücklichen.“
Von Astrid Lindgren etwa wisse man, dass ihre unbeschwerte Kinderzeit auf einem Bauernhof in Südschweden eingeflossen ist in ihre Geschichten. Bei ihm sei es gerade andersherum, ihn treibe die schwere Zeit in jungen Jahren an, Bücher zu schreiben, um eine Kindheit zu imaginieren, die er selbst nie hatte.
Nun hat der 82-Jährige für erwachsene Leser geschrieben, in einer schnörkellosen und klaren Sprache, durch die sich auch seine Kinderbücher auszeichnen. Eindringlich einfach, nie aber simpel, erzählt Maar in „Wie alles kam“von seiner Kindheit. Er zeichnet in präzisen Beobachtungen ein Bild vom Leben während der letzten Jahre des Krieges und der ersten danach, das neben der individuellen Färbung viel Grundsätzliches enthält über das Leben in dieser Zeit: über die Traumatisierung durch den Krieg, die städtischen Bombennächte und die ländliche Idylle, den Volkssturm, die Kapitulation, das Leben in Ruinen und den Wiederaufbau. Vor diesem Hintergrund erzählt Paul Maar von dem prägenden Spannungsfeld aus Herzenswärme und Geborgenheit, die er durch seine Stiefmutter und deren Familie fand, und der Abneigung und Härte, die ihm sein Vater zuteilwerden ließ.
Sieben Wochen nach seiner Geburt war seine leibliche Mutter gestorben, wenn Maar von seiner Mutter spricht, so ist es die zweite Frau seines Vaters. Mit ihr erlebt er, nachdem sein Vater 1942 in den Krieg eingezogen wurde, die Nächte im Luftschutzkeller. Mit ihr und der Großmutter väterlicherseits geht er schließlich aufs Land zur Familie der Stiefmutter, die in Obertheres einen Gasthof bewirtschaftet. Dort schließt Paul Maar lebenslange Freundschaften mit den Nachbarjungen und fühlt sich aufgehoben im Umfeld von Menschen, die mit Humor und Pragmatik der Zeit trotzen und das verträumte, zurückhaltende Kind frei von Gängeleien aufwachsen lassen.
Maar schildert dies nicht in der chronologischen Abfolge einer Autobiografie, sondern schreibt den „Roman seiner Kindheit“, wie es im
Ob er nicht mal ein Buch schreiben wolle? Als Campino vor einem Jahr im Gespräch mit unserer Redaktion erstmals über ein Ende der Toten Hosen nachdachte, wirkte die Antwort auf diese Frage nach einer anderen Betätigung noch verhalten: Für jemanden, der sich für seine Musik eh mit Textschreiben beschäftige, stehe das natürlich irgendwie in Aussicht, irgendwann …
Aber schwupps, schon ist’s passiert. Wohl hat die Corona-Pause vom Konzert-Geschäft beigetragen. Sicher jedenfalls war es nicht Campinos Bedürfnis, der Welt mitzuteilen, dass er inzwischen heimlich geheiratet, das ihn zum Schreiben gedrängt hat – auch wenn das nun die meisten Schlagzeilen macht, da er auf 350 Seiten auch mal von „meiner lieben Frau“spricht. Und es ist kein etwaiger Ausstieg nach bald 40 Jahren an der Spitze einer der erfolgreichsten deutschen Bands, dass er nun die Bilanz eines Rock-‘n’-RollLebens ziehen wollte – auch wenn
Untertitel heißt, in dem er „wie große und kleine Pfützen nach einem Starkregen“Erinnerungen an Ereignisse und Menschen in Verbindung miteinander bringt – oder auch nicht. „Schafft man es, mit einem Stock eine Furche zu einer benachbarten Pfütze in die feuchte Erde zu ziehen, verbindet sich der Inhalt der einen mit der anderen zu einer starken Erinnerung. Die meisten Pfützen bleiben aber isoliert.“
So erzählt Maar auch von seiner großen Liebe zu Nele, die er im letzten Gymnasialjahr kennenlernte und die später seine Frau wurde. Sie kommt aus einer Theaterfamilie – ihr Bruder ist der später berühmte Kameramann Michael Ballhaus – und verkörpert mit ihrer Wildheit und Unkonventionalität eine Welt, die Paul Maar in den Bann zieht. Durch sie findet er den Mut, eine das Kind psychisch unter Druck setzt und körperlich züchtigt. Paul ist „der ungeratene Sohn, der so gar nicht seinen Vorstellungen von einem drahtigen, sportbegeisterten Jungen entspricht, sondern mit Brille auf der Nase und krummem Rücken verweichlicht im Sessel lümmelte, ein Buch in der Hand“. Zeichnen und Lesen sind nicht mehr nur Lieblingsbeschäftigungen für den jungen Paul, sondern werden – wenngleich oder gerade weil vom Vater missbilligt – zur Rückzugsmöglichkeit auf eine innere Insel. Die Rückkehr des Vaters aus der Kriegsgefangenschaft sechs Jahre nach Kriegsende ist d e r Einschnitt in Paul Maars Kindheit. „Den Vater meiner frühen Kindheit habe ich als ausgeglichenen, unternehmungslustigen, fröhlichen Menschen in Erinnerung. Zum Vater, der mir fremd war, der mich schlug und mir Angst machte, wurde er erst, als er verbittert als König ohne Land im dörflichen Exil ausharren musste.“Selbst als der Vater über 90-jährig in einem Heim dem Sterben entgegensieht, ist es den beiden Männern nicht möglich, ihr zerrüttetes Verhältnis zu kitten. Bis heute bleibt die gestörte Beziehung zum Vater die große Leerstelle im Leben des Kinderbuchautors.
Als das Manuskript vollendet war, erhielt Maar aus dem Nachlass seiner Mutter Briefe, die ihr der Vater von der Front schrieb und aus denen in warmen Worten die Liebe und Fürsorge für den kleinen Sohn sprechen. Wie, so fragt sich Maar, konnte der liebende Vater später zum Schreckensmann werden? Er kommt zu der Erkenntnis, dass es auch die Enttäuschung des Vaters über die Ablehnung des Sohnes war, als er aus dem Krieg nach Hause kam, die diesen so veränderte. Saison nach Jahrzehnten wieder geschafft hat, weshalb die Spiele auch das Gerüst fürs Buch liefern.
Natürlich, Campino zitiert die Liverpooler Trainerlegende Bill Shankly: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist.“Und er drückt auch selber auf die Tube: „Fußballspiele können als Gegenpol zur sozialen Isolation dienen, die das Internet und die Welt der Computer mit sich bringen. Manche Momente im Stadion hinterlassen ein bleibendes Gefühl, das noch Jahre später abrufbar ist (...). Nur das gemeinsam Erlebte ist wirklich geschehen, der Rest ist auf Dauer wertlos.“Aber Spaß und Pathos beiseite: Ist das interessant?
Außer für eine Gruppe, die Toten-Hosenund Fußball-Fans ist, aber den FC Bayern nicht mag? Gegen den hat die Band in einem Song Stellung bezogen, was Uli Hoeneß poltern ließ: „Die Toten Hosen?
Andrea Petkovic: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten, 20 Euro
Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft mal ersticken wird.“– Und Campino jetzt hinzufügen lässt: „Es gehört zu den schönsten Dingen, die je über uns gesagt wurden.“
Aber sonst? Ja, interessant, wie aus dem in Düsseldorf geborenen Andreas Frege der Liverpool-Liebhaber geworden ist. Weil darin die Familiengeschichte aufgehoben ist: Die Mutter eine Britin, die es wagte, nach dem Krieg einen Deutschen zu heiraten; ihr Vater, der es vom Arbeiterkind bis ins Parlament schaffte; und ihr Sohn, der als eines von sechs Kindern am englischen Vorbild des Punkrock zum Star in Deutschland wurde und zum Brexit nun auch die britische Staatsbürgerschaft annimmt – Campino! Alles, was eigentlich wichtiger und interessanter ist als Fußball. Bloß bleibt es hier befremdlich untergeordnet. Und vor allem: Mehr als hinschreiben tut Campino das letztlich alles nicht, kein Fluss, kein Zug, kein Stil drin. Schade.
Campino: Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde Piper,
368 Seiten, 22 Euro