Tödlicher Schlag in Augsburg: So läuft der Prozess
Am Dienstag startet die Verhandlung um die tödliche Gewalttat am Königsplatz. Kaum eine Tat hat die Menschen in der Region so bewegt, kaum ein Fall so viel Aufmerksamkeit hervorgerufen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen
Augsburg Am Dienstag geht es los, pünktlich um 9 Uhr. Oder auch nicht ganz so pünktlich, schließlich müssen erst einmal alle Beteiligten eintreffen inklusive des Hauptverdächtigen, der aus der U-Haft aus dem Jugendgefängnis in Neuburg-Herrenwörth nach Augsburg gebracht wird. Der Medienrummel um den Prozess um den tödlichen Schlag am Königsplatz dürfte groß sein, das Interesse gewaltig. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Um welche Vorwürfe geht es in der Anklage der Staatsanwaltschaft? Die Anklage richtet sich gegen drei junge Menschen aus Augsburg. Ein 17-Jähriger ist der Hauptverdächtige: Er soll am 6. Dezember vergangenen Jahres einem 49-jährigen Passanten einen Faustschlag ins Gesicht verpasst haben, durch den der Mann starb. Eine Schlagader war eingerissen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Heranwachsenden Körperverletzung mit Todesfolge vor. Die beiden anderen Angeklagten, 18 und 20 Jahre alt, müssen sich verantworten, weil sie, ebenso wie der Hauptverdächtige, nach der tödlichen Attacke einen Begleiter des 49-Jährigen geschlagen haben sollen. In ihrem Fall geht es um gefährliche Körperverletzung.
Was war die Vorgeschichte der Tat? Die Tat ereignete sich am Königsplatz in Augsburg, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt in der Innenstadt. Dort war das spätere Opfer zusammen mit seiner Ehefrau und einem befreundeten Paar zu Fuß unterwegs, sie hatten zuvor den Weihnachtsmarkt in Augsburg besucht. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die beiden Paare am Königsplatz auf eine andere Gruppe trafen – sieben Jugendliche und junge Männer. Ein junger Mann aus dieser Gruppe soll den 49-Jährigen nach einer Zigarette gefragt haben, woraufhin sich ein Streit zwischen den Beteiligten entwickelte. Das spätere Opfer soll den jungen Mann, der ihn nach der Zigarette gefragt hatte, aus der Gruppe mit den Händen weggestoßen haben. Es folgte der tödliche Schlag von der Seite, der laut Anklage unvermittelt erfolgte. Die Frage, was unmittelbar vor der Tat geschehen ist, dürfte ein wichtiger Bestandteil des Prozesses werden.
Werden die Corona-Maßnahmen den Prozess beeinflussen?
Auf den Ablauf der Verhandlung selbst dürften die Corona-Verordnungen vermutlich keinen Einfluss haben – auf andere Vorgänge im und um den Gerichtssaal allerdings schon. Die Jugendkammer des Landgerichtes, vor der der Prozess stattfindet, hat für die Verhandlung extra einen besonders großen Saal in einem Justizgebäude ausgewählt, in dem nur selten Strafverfahren stattfinden.
Dennoch ist die Zahl für Zuschauer und Pressevertreter begrenzt. Für Zuschauer stehen acht Plätze zur Verfügung, für Medien zwölf. Ob Zuschauer und Prozessbeteiligte während der Verhandlung Maske tragen müssen, ist Entscheidung des Gerichtes.
Warum hat der Fall eine solche Tragweite?
Dass der Fall eine enorme Anteilnahme und Aufmerksamkeit erregt hat, liegt zum einen an den schwerwiegenden Folgen des Schlages. Tödliche Gewaltdelikte gibt es in Augsburg vergleichsweise selten, noch seltener im öffentlichen Raum und bei Zufallsbegegnungen wie jener am Königsplatz. Zum anderen spielen auch die besonderen Umstände eine Rolle. Der Getötete arbeitete als Berufsfeuerwehrmann bei der Stadt Augsburg, mehr als 100 Mitglieder der Feuerwehr gedachten kurz nach der Tat ihres getöteten Kollegen am Königsplatz. Im Internet sorgte der Fall schnell für Diskussionen, Spekulationen – und teils auch für Hass und Hetze. In der siebenköpfigen Gruppe junger Männer und Jugendlicher haben viele einen Migrationshintergrund, der Hauptverdächtige hat neben der deutschen etwa die türkische und die libanesische Staatsbürgerschaft. Der Fall hat aber auch eine enorme Tragweite, weil er viele juristische Wendungen vollzog und die Staatsanwaltschaft von ursprünglichen Tatvorwürfen im Ermittlungsverfahren abrücken musste.
Anfangs saßen sieben Verdächtige in U-Haft. Warum sitzen nicht alle von ihnen auf der Anklagebank?
Bei vier früheren Beschuldigten wurde das Verfahren eingestellt, sie sind also keine Verdächtigen mehr in dem Fall, sondern lediglich Zeugen. Anfangs lautete der Verdacht auf Totschlag gegen den 17-jährigen Hauptverdächtigen – und auf Beihilfe dazu bei allen anderen sechs, was für viel frostige Stimmung zwischen Anwälten und Ermittlern sorgte. Tatsächlich hatte es schnell Zweifel an der früheren Darstellung der Ermittler gegeben, wonach sich das spätere Opfer am Königsplatz umgedreht habe, auf die Gruppe zugegangen und plötzlich „umringt“von sieben jungen Männern gewesen sei. Auf dem Video der Frontscheibenkamera eines Taxis, einer sogenannten Dashcam, ließ sich eher ein kurzes Handgemenge zwischen dem 49-jährigen späteren Opfer und den Jugendlichen erahnen, ehe einer von ihnen den Mann mit einem Schlag niederstreckte. Auch waren keine sieben umringenden jungen Männer zu erkennen – zwei von ihnen standen etwa zu der Zeit einige Meter vom Tatort entfernt.
Für die Tat aber wanderten nach Anträgen der Staatsanwaltschaft zunächst alle sieben Verdächtigen in U-Haft, ehe sie mit Ausnahme des
Hauptverdächtigen im März nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde des Verteidigers Felix Dimpfl endgültig freikamen. Ein ungewöhnlicher Vorgang.
Teils sollen die früheren Verdächtigen für die Zeit im Gefängnis finanziell entschädigt werden, etwa der junge Mann, dessen Frage nach einer Zigarette offenbar der Auslöser des Streits gewesen war. Laut Gesetz bekommen Menschen, die zu Unrecht inhaftiert waren, 25 Euro für jeden Tag im Gefängnis. Bei rund drei Monaten Untersuchungshaft bedeutet dies potenziell eine Summe von etwa 2200 Euro.
Wer wird an dem Prozess vor der Jugendkammer teilnehmen?
Die Jugendkammer des Landgerichtes ist zuständig für das Verfahren, weil zwei Angeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt waren. Sie besteht aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Vorsitzender Richter ist Lenart Hoesch, 64. Die Kammer hat in den vergangenen Jahren viele spektakuläre Fälle verhandelt, etwa den Missbrauchsprozess gegen den Kinderarzt Harry S. und die Verhandlung gegen den früheren Landtagsabgeordneten Linus Förster.
Manche der Angeklagten werden von zwei Anwälten verteidigt. Im Fall vom mutmaßlichen Hauptverdächtigen ist es Rechtsanwalt Marco Müller. Der 18-Jährige wird von Felix Hägele vertreten, der 20-Jährige von Moritz Bode und Ulrich Swoboda. Angehörige des verstorbenen Opfers wollen als Nebenkläger am Prozess teilnehmen und werden von den Anwälten Florian Engert, Marion Zech und Isabel Kratzer-Ceylan vertreten. Staatsanwalt Michael Nißl vertritt die Staatsanwaltschaft.
Wie wird der Prozess ablaufen?
Die Kammer hat acht Verhandlungstage angesetzt und 45 Zeugen geladen. Sollte der 17-Jährige verurteilt werden, liegt die maximal mögliche Haftstrafe bei zehn Jahren. Selbst bei einem Mord kann ein Gericht keine längere Haft bei noch nicht volljährigen Straftätern verhängen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Richter für den tödlichen Schlag nicht die Höchststrafe verhängen werden.